Journalistin Sailer spricht über Rolle der Frauen im Vatikan

Nicht auf ein Podest stellen

Wie lebt es sich als Frau im männerlastigsten Staat der Welt? Die Journalistin Gudrun Sailer kennt diesen Alltag seit knapp 20 Jahren. Dass der Vatikan in Zukunft Frauen in Führungspositionen zulassen will, rechnet sie hoch an.

Gudrun Sailer / © privat
Gudrun Sailer / © privat

Himmelklar: Seit 2003 arbeiten Sie als Journalistin im Vatikan. Hat die Frage nach der Rolle von Frauen in der Kirche und der Kurie sich in der Zeit verändert?

Gudrun Sailer (Redakteurin Radio Vatikan/Vatican News): Mein Eindruck ist, dass die Frauenfrage in den Ländern deutscher Sprache schon seit längerer Zeit massiv da ist. Also schon als ich gekommen bin, gab es Debatten darüber, was der rechte Platz von Frauen in der Kirche denn sei und was eigentlich geschehen müsse. Es gab schon damals ein gewisses Unbehagen mit dem Status quo. Dass es da solche eine klare Trennung gab, zwischen der Gruppe der Priester und allen anderen, den Laien.

Also für mich war das ein kontinuierlicher Prozess. Jetzt mit dem Synodalen Weg in Deutschland hat das natürlich noch mal einen Zahn zugelegt, keine Frage. Und die Debatte ist längst auch im Vatikan angekommen. Der Heilige Stuhl hat eine gewisse Äquidistanz, einen gleichen Abstand - zumindest hypothetisch - gegenüber allen Ortskirchen, so auch der Deutschen. Es gibt viele Ortskirchen, in denen Frauen in der Kirche schon lange ein Thema sind, das viele bewegt. Ich spreche da jetzt zum Beispiel von Amazonien, von Lateinamerika. Wir hatten ja 2019 hier die Amazonien Synode und ich glaube, da ist es vielen im Vatikan, auch Bischöfen und Kardinälen wirklich mit neuer Dringlichkeit bewusst geworden, dass es eine Ortskirche gibt, die schon ganz weit vorangegangen ist, die viele Anliegen hat, aber auch viele Realitäten, die einfach schon da sind und die im Vatikan so dringlich gar nicht wahrgenommen wurden. Das Thema der Frau in der Kirche ist da und das Thema wird nicht mehr weggehen. Und das ist als Botschaft schon längst beim Heiligen Stuhl angekommen,

Himmelklar: Wie sieht das bei Papst Franziskus aus? Auf der einen Seite setzt er so viele Frauen wie niemand vorher in Verantwortungspositionen, auf der anderen Seite sieht er bei den Weihefragen ja keinen wirklichen Spielraum.

Sailer: Wir haben mit Franziskus, denke ich, einen Papst, dem klar ist, dass die Kirche ohne Frauen nicht existiert. Und das ist der erste Papst, der das auch so formuliert hat. Er ist ein Papst, der sehr klar wahrnimmt, dass es ein Schmerzpunkt ist, ein neuralgischer Punkt in der Kirche. Das unterscheidet ihn, glaube ich, auch von den beiden Päpsten vor ihm, dass er sieht, dass es auch ein mit Leid behaftetes Thema ist für viele Frauen in der Weltkirche.

Er neigt allerdings auch so wie Johannes Paul II. ein bisschen dazu, Frauen auf ein Podest zu stellen, also zu sagen: "Die sind zu gut. Viel zu gut für die Niederungen, mit denen wir hier zu tun haben." Das ist auch eine Art und Weise, Frauen zu entfernen, wenn man sie auf ein Podest stellt.

Gleichzeitig haben wir hier aber auch einen Papst, der sich klar bekennt zu einer geteilten Verantwortung, von Männern und Frauen, von Geweihten und Nichtgeweihten der Kirche. Das war so deutlich vor ihm eben auch noch nicht der Fall. Er ist ein Papst, der in dem Frauenthema viel geöffnet hat, viel Offenheit signalisiert hat, der allerdings auch klar gesagt hat: Eine Priesterweihe für Frauen gibt es nicht, diese Tür ist geschlossen. Das steht in ganz klarer Kontinuität zum Lehramt auch vor ihm.

Nicht ganz so klar ist, wie er zur Frage des Frauendiakonats steht. Franziskus hat ja bekanntlich jetzt schon die zweite Kommission zum Frauendiakonat einberufen. Die erste gab keine zufriedenstellenden Antworten oder Wege, war sich wohl auch selbst uneins. Und jetzt ist die zweite Frauendiakonatskommission im Amt. Mein Verdacht wäre: Franziskus befürwortet den Frauendiakonat nicht. Aber er hat begriffen, dass das eine Debatte ist, die er nicht stoppen kann und nicht stoppen will. Er hat begriffen, dass es etwas ist, was über seine Meinung als Papst und auch über sein Pontifikat hinausgehen wird. Das hört nicht auf. Und er ist keiner, der Debatten stoppt. Also zumindest beim Frauendiakonat nicht, deshalb die zweite Kommission.

Himmelklar: Vor kurzem hat der Vatikan ja auch eine neue Kurienverfassung vorgestellt, an der Franziskus seit Beginn seines Pontifikates gearbeitet hat. Da steht unter anderem drin, dass Laien und Frauen in Zukunft auch Dikasterien leiten sollen. Wie ist das einzuordnen?

Sailer: Mein Verdacht ist, dass diese Kurienreform letztlich auch eine Reaktion ist auf die Frage der Frauenweihe. Papst Franziskus will Frauen nicht klerikalisieren und er will sie nicht zu Priestern weihen. Und jemand, der das nicht will, aber gleichzeitig will, dass Frauen eine Mitverantwortung haben, der tut gut daran, sie in alle Positionen zu holen, die mit Verantwortung verbunden sind, aber nicht die Weihe brauchen. Und das sehen wir hier mit dem Grundlagendokument der Kurienreform ziemlich klar verwirklicht.

Himmelklar: Also ist das einfach Pragmatismus?

Sailer: Ich glaube, der Papst setzt mit diesem Grundlagendokument der Kurienreform jetzt einfach auch mal neue Realitäten, indem er Laien nicht mehr von höchster Regierungsverantwortung ausschließt und damit auch Frauen nicht mehr. Es ist klar, dass nicht alle Dikasterien sich gleich gut eignen für Frauen als Präfekten. Es ist zum Beispiel sachlich nicht nachvollziehbar, um ein Beispiel zu nennen, dass das Dikasterium, das sich mit Bischofsernennungen beschäftigt, nicht auch einen Bischof an der Spitze haben sollte.

Aber es gibt für keines der jetzt neu 16 Dikasterien per se in dieser Konstitution einen Ausschluss von Laien und damit von Frauen. Und das finde ich schon bemerkenswert. Was hier stattfindet, ist die viel zitierte Entkoppelung von Weihe und Verantwortung. Das ist etwas, das wir schon seit Jahrzehnten gerade im deutschen Sprachraum, auch in Amerika, in Nordamerika und in Südamerika besprochen und auch gefordert und vorgeschlagen sehen. Eine Entkoppelung von Priesterweihe und Leitungsgewalt. Und Papst Franziskus hat da einfach mal Nägel mit Köpfen gemacht und das hier in die Kurienreform geschrieben. Dass so etwas dann auch als gesetzliche Realität vom Heiligen Stuhl ausgeht und in die Weltkirche ausstrahlen kann, das kann man schon auch mal positiv vermerken, denke ich.

Sailer: Merkt man denn da eigentlich auch etwas von internem Widerstand? Das hat ja sicher nicht allen gefallen im Vatikan

Himmelklar: Widerstände, wenn es sie gab - und ich bin ziemlich sicher, dass es sie gegeben haben muss -, sind nicht in der Form an die Öffentlichkeit gedrungen. Ich habe selbst bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Kurienkonstitution nachgefragt, wo denn die längsten Debatten waren bei dieser Reform, die jetzt schon seit neun Jahren in Arbeit war, mit der Kardinalskommission, die der Papst da eingesetzt hat, um ihn zu beraten. Die Antwort war: Schauen Sie sich doch die Mitteilungen an, nach den Kardinalsratssitzungen. Eine Antwort, die man sich als Journalistin nicht wünscht, in einer Pressekonferenz zu hören. Aus dieser Antwort schließe ich einfach, dass es lange Debatten gegeben haben muss. Wohl auch zu der Frage von Mitverantwortung von Laien in höchsten Regierungsfunktionen.

Aber das Gesetz ist durch und wird sich umsetzen in Realität. Das wird eine Zeit dauern. Aber solche Konstitutionen halten 20, 30 Jahre. Die letzte war 1988, da stand die Mauer noch. Die Welt ist eine andere geworden. Die Kirche ist eine andere geworden. Es ist ein natürliches Voranschreiten der Kirche in der Zeit. Und diese neue Kurienkonstitution trägt eben auch einer veränderten Verantwortung und einer veränderten Auffassung von Verantwortung in der Kirche Rechnung. Und das ist gut so.

Himmelklar: Es wird nicht von heute auf morgen passieren, dass Frauen als Leiterinnen der Dikasterien berufen werden, aber was denken Sie, welche Namen sollte man sich da schon mal merken?

Sailer: Wir hatten vor ein paar Tagen erst eine Fixmachung einer Personalie, die es schon vorher gab, und zwar am päpstlichen Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Dort gibt es jetzt tatsächlich die erste Frau in der Funktion eines Sekretärs. Es ist Schwester Alessandra Smerilli, italienische Wirtschaftswissenschaftlerin. Papst Franziskus hält sehr viel von weiblichen Wirtschaftswissenschaftlerinnen, von Volkswirtinnen. Das hat er sogar mal öffentlich bekundet. Alessandra Smerilli ist jetzt die Frau in der höchsten Führungsverantwortung jemals in der Geschichte des Heiligen Stuhles, eine Frau an Nummer zwei eines päpstlichen Ministeriums. Nicht irgendeines, sondern eines Ministeriums, das diesem Papst besonders wichtig ist. Hier geht es um Gerechtigkeit und Frieden. Gerechtigkeit mit großem G geschrieben. Und da haben wir jetzt Alessandra Smerilli, die ganz viel segensreiche Dinge macht und vor allen Dingen auch ein ganz friedliches Gemüt ist. Das braucht es auch immer in Führungsverantwortung beim Heiligen Stuhl. Es ist ein Arbeitsumfeld, das sich unterscheidet von vielen anderen, wo es natürlich auch menschelt. Wenn da jemand mit einem sehr konzilianten Charakter auftritt, dann ist das ganz sicherlich von Vorteil.

Und ansonsten haben wir fünf Untersekretärinnen beim Heiligen Stuhl inzwischen, als ich angetreten bin, vor 19 Jahren waren es null. Also fünf Untersekretärinnen und eine Sekretärin. Wir haben noch keine Präfektin im Laienstand. Aber wie gesagt, das ist möglich und wird eines Tages Realität sein. Papst Franziskus hat da mit großer Gelassenheit die Weichen für gestellt, dass es so kommen kann und wird.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

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