Treffen der Antisemitismusbeauftragten von Bund und Ländern

"Juden als Teil von Deutschland verstehen"

Der Antisemitismus in Deutschland wächst. Die Politik will dagegensteuern. Deshalb sind die Antisemitismusbeauftragten von Bund und Ländern zusammengekommen, um ihr Vorgehen zu beraten. Was ist bei dem Treffen herausgekommen?

Männer mit Kippa / © Markus Nowak (KNA)
Männer mit Kippa / © Markus Nowak ( KNA )

DOMRADIO.DE: Warum ist Judenhass jetzt im Jahr 2019 auf einmal wieder so präsent?

Dr. Michael Blume (Antisemitismusbeauftragter für das Land Baden-Württemberg): Tatsächlich haben wir weltweit eine massive Rückkehr oder ein Erstarken von Antisemitismus. Das hängt mit den neuen Medien zusammen – mit dem Internet und der Digitalisierung. Wir hatten schon nach der Einführung von Radio, Film und elektronischen Medien sowie nach der Einführung des Buchdrucks immer wieder ein Aufbäumen von Verschwörungsmythen. Und das erleben wir jetzt auch.

DOMRADIO.DE: Sie sind Antisemitismus-Beauftragter für Baden-Württemberg. Es gibt von 16 Bundesländern acht, die einen Beauftragten für das Thema Antisemitismus haben. Was ist mit den anderen Bundesländern? Ist es in der Hälfte der Bundesländer einfach kein Thema?

Blume: Es geht momentan ein Ruck durch Deutschland. Das muss man schon sagen. Auch in den Ländern, die noch keinen Antisemitismusbeauftragten oder keine Antisemitismusbeauftragte haben, hat die Diskussion begonnen. Es waren bei dem Treffen aller Antisemitismusbeauftragten von Bund und Ländern am Montag in Heidelberg an der Hochschule für Jüdische Studien auch alle Bundesländer vertreten. Wir registrieren, dass die Leute überall merken, dass das so nicht wahr sein kann. Die Übergriffe gehen nach oben. Wir sehen, was in Frankreich und in den USA los ist.

Es wird auch immer mehr gefragt. Ich werde auch ganz oft gefragt, was denn da los ist. Wenn es die Politiker und die Öffentlichkeit dann verstanden haben, ist die Unterstützung immer ganz groß. Wenn wir Veranstaltungen machen, sind die Säle voll. Ich habe das Gefühl, diesmal sind wir schlauer. Diesmal werden die Antisemiten es nicht schaffen, unsere Demokratie kaputt zu machen.

DOMRADIO.DE: Sie saßen mit den Kollegen zusammen. Was gibt es da für konkrete Ideen und Ansätze, um bundesweit gemeinsam vorzugehen?

Blume: Es gibt eine Vielfalt von Ansätzen. Das geht bei der Strafverfolgung und den Staatsanwaltschaften los. Aber auch die Themen Bildung und Gedenkstätten sind auf der Agenda. Ganz wichtig ist auch, Juden nicht nur als Opfer zu zeichnen und zu erleben, sondern zum Beispiel auch zu sagen: "Es gibt ein lebendiges jüdisches Leben".

Es geht darum, Jüdinnen und Juden als Teil von Deutschland zu verstehen. Wir werden im Jahr 2021 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland haben. Das sind Dinge, wo wir sagen müssen: "Da müssen wir ran. Das müssen wir feiern. Das müssen wir begehen". Jüdinnen und Juden sind keine Fremdkörper in Deutschland. Sie gehören schon immer zu dem dazu, was es bedeutete, deutsch zu sein. Das sind Ansätze, an denen man sieht, dass da auch die Länder ran müssen. Das kann der Bund gar nicht alleine. Stichwort Schule, Kindergarten, Bildung. Ich glaube, diesmal kommen wir wirklich weiter.

DOMRADIO.DE: Sie haben unter anderem auch über eine bundesweite Meldeplattform für antisemitische Übergriffe gesprochen. Ist das was Gutes? Ist das etwas, was uns voranbringen würde?

Blume: Ja. Es ist bisher so, dass wir nur die Kriminalstatistiken haben. Da sind natürlich nur die Fälle drin, die überhaupt bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden. Mein Amt in Baden-Württemberg ist letzten März geschaffen worden. Wir merken schon jetzt allein dadurch, dass es so einen Ansprechpartner gibt, dass sich die Leute melden. Die haben sich gedacht, es interessiere keinen und es werde ihnen doch nicht geholfen.

Oft gibt es auch eine gewisse Befürchtung bezüglich Polizei, Staatsanwaltschaft oder NSU. Wie ist das mit dem deutschen Staat? Und es gibt auch eine gewisse Scham. Die Menschen sind aus anderen Ländern geflohen oder zu uns gekommen und erleben dann hier schlimme Dinge. Man muss da Vertrauen aufbauen. Man muss den Menschen sagen: "Niemand hat das Recht, euch rassistisch oder antisemitisch anzugreifen." Dann steigt auch die Bereitschaft, sich zu melden.

Das betrifft aber nicht nur Jüdinnen und Juden. Eine der schlimmsten Meldungen, die ich bekommen habe, war von einer Journalistin, die mir gesagt hat, sie werde von Rechtsextremen bedroht, die ihr schrieben, sie wüssten wo sie wohnt und wo ihre Kinder zur Schule gehen. Sie hat mir dann gesagt, sie traue sich über manche Themen nicht mehr zu schreiben. Da sage ich: "Das darf in Deutschland im Jahr 2019 einfach nicht sein!" Solche Leute muss man aber auch ermutigen, sich überhaupt zu melden und Hilfe zu holen.

DOMRADIO.DE: Sie haben die Position seit einem knappen Jahr, seit März 2018. Von Hause aus sind Sie eigentlich Religionswissenschaftler. Ich frage Sie einmal als Religionswissenschaftler: Weshalb gibt es so einen Hass eigentlich? Es gibt die verschiedensten Randgruppen und die verschiedensten Religionsgruppen. Warum ist gerade der Hass auf die Juden da? Weshalb nehmen die so eine Position ein?

Blume: Die Juden waren die erste Gruppe, die in Alphabetschrift ihre Religion niedergelegt hat. Die biblische Gestalt des Noahsohnes Sem ist nach jüdischer Überlieferung der erste Begründer eines Lehrhauses. Religion und Recht werden verschriftet. Alle semitischen Religionen sind Schriftreligionen. Alle unsere Verfassungstexte, das Grundgesetz oder die Landesverfassung sind Alphabettexte, die die Gleichheit der Menschen bekunden. Das ist zutiefst semitisch.

Dagegen gab und gibt es natürlich immer wieder Widerstände. Leute, die auf Blut und Rasse achten und völkisch denken, haben sich immer wieder gegen dieses Fortschrittsdenken und gegen diesen Anspruch aufgelehnt. Wenn wir an Gutes denken, an die Weltherrschaft des Guten, dann sprechen wir automatisch mythologisch von Gott oder von Vernunft. Wenn wir an die Weltherrschaft des Bösen denken, dann sprechen die Leute von Juden und Freimaurern beziehungsweise Zionisten und Illuminaten. Kein Mensch behauptet, die Chinesen kontrollieren die Juden. Aber dass die Juden angeblich alle anderen Gruppen kontrollieren, habe ich sogar im Irak erlebt, wo es überhaupt gar keine Jüdinnen und Juden mehr gibt.

Das heißt, der Antisemitismus ist im Kern der Glaube an die Weltherrschaft des Bösen. Und Antisemiten haben wirklich Angst. Sie glauben, sie werden bedrängt. Sie rechtfertigen ihre Gewalt als Notwehr. Deswegen ist der Antisemitismus noch viel gefährlicher als andere Formen des Rassismus, die ja auch schon schlimm sind.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Michael Blume / © Marijan Murat (dpa)
Michael Blume / © Marijan Murat ( dpa )
Quelle:
DR
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