Jüdisch-arabischer Partnerschaftsverein hält Dialog aufrecht

"In der Zivilgesellschaft sehr viel möglich"

Am Sonntag sind seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sechs Monate vergangen. Ist in der Zivilgesellschaft ein Dialog zwischen Israelis und Palästinensern überhaupt noch möglich? Das Friedensprojekt Givat Haviva macht Hoffnung.

Gemeinsames Lernen Im jüdisch-arabischen Zentrum für den Frieden lernen  / © Givat Haviva (privat)
Gemeinsames Lernen Im jüdisch-arabischen Zentrum für den Frieden lernen / © Givat Haviva ( privat )

DOMRADIO.DE: Givat Haviva unterhält in Israel über 35 verschiedene Projekte zur Verständigung zwischen der arabischen und jüdischen Bevölkerung. Außerdem gibt es einen internationalen Campus, auf dem junge Menschen gemeinsam eine Zeit lang lernen und leben. Das dortige jüdisch-arabische Zentrum hat 2001 sogar den Friedenspreis der UNESCO bekommen. 

Nach dem Angriff vom 7. Oktober äußerten Sie sich bei uns in einem Interview mit der Befürchtung, dass ganz Israel jetzt in eine Eskalation der Gewalt getrieben werde. Wenn Sie jetzt auf das vergangene halbe Jahr zurückblicken, haben Sie damals mit diesem Ausmaß der Eskalation gerechnet?

Ruth Ratter

"All das, was in Gaza passiert, ist natürlich schrecklich. Schlimmer hätte es gar nicht kommen können."

Ruth Ratter (Vorsitzende des Freundeskreises Givat Haviva Deutschland e.V.): Um ehrlich zu sein, glaube ich nach wie vor, dass der Übergriff der Hamas darauf abgezielt hat, dass Unruhen in Israel ausgelöst werden. Und auch jetzt wieder zu Beginn des Ramadan stand ja im Raum, dass es Gewaltausbrüche geben könnte. Das ist glücklicherweise in diesem Umfang nicht eingetroffen. All das, was in Gaza passiert, ist natürlich schrecklich. Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. 

DOMRADIO.DE: Das Vorgehen Israels in Gaza wird auch vielfach kritisiert. Wie sieht man das in Givat Haviva, wo Araber und Israelis gemeinsam leben und arbeiten? 

Ruth Ratter

"Diese Regierung versucht, die arabischen Sprachlehrer und auch die jüdischen Sprachlehrer zu behindern in ihrer Arbeit."

Ratter: Das ist eine sehr schwierige Frage, wo ich eigentlich als Außenstehender mich nur bedingt einmischen möchte. Tatsächlich ist es so, dass Givat Aviva alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die Leute, die vom Hamas-Angriff bedroht und auch betroffen waren, bei sich aufzunehmen, aber gleichzeitig auch den dialogischen Prozess weitergeführt hat. 

Moslems geraten mit Polizisten aneinander, als sie sich am letzten Freitag des heiligen Monats Ramadan in der Altstadt versammeln (dpa)
Moslems geraten mit Polizisten aneinander, als sie sich am letzten Freitag des heiligen Monats Ramadan in der Altstadt versammeln / ( dpa )

Das heißt also, es ist nach wie vor sehr viel in der Zivilgesellschaft möglich. Im jüdisch-arabischen Friedenszentrum finden sehr viele Veranstaltungen statt. Es gibt natürlich auch Kritik an der Regierung, insbesondere, dass diese Regierung aktuell auch versucht, die arabischen Sprachlehrer und auch die jüdischen Sprachlehrer in ihrer Arbeit zu behindern. Das heißt, es ist nicht so, dass man die Verständigungsprozesse weiterhin umfänglich fördert, sondern es ist sehr, sehr schwer, gerade für die arabischen Lehrer, den Konflikt innerhalb Israels, innerhalb ihrer Schulen zu regulieren. 

Es ist sehr bedauerlich, weil es ja gerade wichtig wäre, Verständnis für beide Seiten zu fördern und nach Lösungen zu suchen. Und das kann natürlich nicht getan werden, wenn die Ängste und die Traumata der jungen Leute in den Schulen nicht ausreichend aufgenommen und aufgearbeitet werden. 

DOMRADIO.DE: Sie sprachen jetzt einerseits von Behinderung der Friedensarbeit, aber auf der anderen Seite erwähnten sie auch, dass in diesem Friedenszentrum in der letzten Zeit sehr, sehr viel gelaufen ist. Wie wird das denn unter den derzeitigen Umständen organisiert? 

Ruth Ratter

"Wenn man Datteln verteilt oder Manna, bringt man ein bisschen Licht in die Dunkelheit und auch in die Verzweiflung."

Ratter: Es ist so, dass die Mitarbeiter:innen in die gemischten Städte gehen und dort Dialogzentren herstellen. Mit dem jüdisch-arabischen Friedenszentrum gibt es eigens eine Einrichtung, die sich insbesondere darum bemüht, den Frieden dort voranzubringen. 

Man versucht auch so viel Normalität wie möglich in Givat Haviva zu organisieren. Das heißt, es finden nach wie vor Kunstausstellungen statt, wo jüdische und arabische junge Künstlerinnen und Künstler arbeiten und gemeinsam ausstellen. Man versucht weiterhin, die internationale Schule aufrechtzuerhalten. Man bemüht sich auch darum, gerade über Pessach und Ramadan, Möglichkeiten und Angebote zu machen, um regionale, soziale Aktivitäten durchzuführen. 

Es geht darum, die Menschen, die Bewohner der betroffenen Gebiete zusammenzubringen und etwas vom Geist des Ramadan in den öffentlichen Raum zu tragen. Da sind sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Givat Haviva einig. Wenn man zum Beispiel jetzt Datteln verteilt oder Manna, leistet man einen positiven Beitrag und bringt so ein bisschen Licht in die Dunkelheit und auch in die Verzweiflung. Denn es ist natürlich außer Frage, dass die Zivilgesellschaft sehr stark unter den gegenwärtigen Verhältnissen leidet. 

DOMRADIO.DE: Hier in Deutschland leben ebenso Menschen arabischer Herkunft oder muslimischen Glaubens wie es auch Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland gibt. Manche Demonstration mit Solidaritätsbekundungen für Palästina beinhaltet aber auch Vernichtungsrufe gegen Israel. Wo sehen Sie da die Grenze der freien Meinungsäußerung? 

Ratter: Wir haben ja eine Verfassung und die gilt für alle Menschen, die hier leben. Alles, was übergriffig ist und Menschen bedroht, hat mit freier Meinungsäußerung in meinen Augen nichts zu tun. Unmittelbar nach dem 7. Oktober hatten wir eine Demo, da ist im Anschluss die israelische Flagge verbrannt worden. So etwas geht nicht. 

Umgekehrt habe ich persönlich ein großes Interesse an unserer Ausstellung registriert. Es gibt viel Interesse, sehr viele Leute interessieren sich für die Befindlichkeiten der Bevölkerung in Israel. Sie wollen erfahren, wie die Leute miteinander umgehen. Wir haben auch eine Umfrage gemacht, wie sich die Befindlichkeit der jüdischen und der arabischen Israelis im Verhältnis zueinander verändert hat. Da gibt es natürlich eine gewisse Skepsis. Aber es ist keineswegs so, dass das Tischtuch zerschnitten ist. 

Es gibt immer wieder den Versuch einer vorsichtigen Annäherung. Wir planen nun für den Mai eine Konferenz mit der Universität Haifa. Es geht um die Frage: Wieviel Hebräisch können junge arabische Menschen noch lernen? Was sind die Hindernisse? Das sind neue Ansätze für die Schaffung des gemeinsamen Denkens, einer gemeinsamen Zukunft, wo alle relevanten Parteien integriert werden sollen. 

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

 

Quelle:
DR