Jüdische Ethik und die Biotechnologien

Wann ist der Mensch ein Mensch?

Der Rabbiner Walter Homolka hat sich für eine Freigabe der embryonalen Stammzellforschung ausgesprochen. Die Forschung mit bereits vorhandenen embryonalen Stammzelllinien sei nach jüdischer Ethik "völlig unproblematisch". Aus Sicht des Judentums sei die befruchtete Eizelle bis zum 40. Tag nach der Befruchtung "bloß Wasser", schrieb der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Montagsausgabe). Den für die Stammzellforschung verwendeten "überzähligen" Embryonen aus der künstlichen Befruchtung fehle die Möglichkeit, menschliches Leben zu werden. In diesem Fall sei es besser, am Embryo zu forschen und daraus womöglich lebensrettenden Nutzen zu ziehen, als ihn bloß zu zerstören.

 (DR)

Ausdrücklich sprach sich Homolka allerdings gegen die Herstellung von Embryonen zum Zweck der Forschung und das "therapeutische Klonen" aus. Dies lasse sich nicht mit dem biblischen Gebot vereinbaren, dass "kein Samen sinnlos verschüttet werden soll", auch nicht in Form befruchteter Eizellen.

Gegenüber dem US-amerikanischen Kongress hätten sich liberale, konservative und orthodoxe Juden einhellig für die embryonale Stammzellforschung ausgesprochen, ergänzte der Rabbiner. Die jüdische Bioethik lege großen Wert auf das Gebot des Heilens.

Personenstatus entwickelt sich
Homolka verwies darauf, dass es in der jüdischen Bioethik nahezu keine Spannungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft gebe. "Der Erwerb und die Erweiterung von Wissen, das uns zur Vermeidung und Heilung von Krankheiten dienen kann, ist sogar ausdrücklich geboten", schreibt er. Ansonsten mache man sich des "Blutvergießens" schuldig.

Nach Darstellung des Rabbiners besitzt ungeborenes Leben im Judentum nicht schon ab der Befruchtung volle Rechte. Vielmehr wachse dem potenziellen Menschen erst im Lauf seiner Entwicklung mehr und mehr Personenstatus zu. Zwar komme auch einem Embryo bereits Würde zu, mit der nicht leichtfertig umgegangen werden dürfe. "Wurde aber ein Fötus aus Gründen abgetrieben, die aus religionsgesetzlicher Sicht unbedenklich sind, kann das Zellmaterial für medizinische Forschung verwendet werden", fügte Homolka hinzu.

Aristotelische Biologie
Bis 1869 war auch bei katholischen Theologen die Lehre von der Sukzessivbeseelung, das heißt der Nach-und-nach-Beseelung vorherrschend. Die Lehre geht auf Aristoteles zurück. Aristoteles meinte, der männliche Fötus erhielte die menschliche Seele nach 40 Tage nach der Emfängnis, der weibliche nach 90 Tagen.  

Geändert wurde das Kirchenrecht 1869 durch Pius IX. Nachdem dieser 1854 das Dogma der "Unbefleckten Empfängnis Mariens" erklärt hatte