"Jugend Rettet" hilft Flüchtlingen auf der Mittelmeerroute

"Jeder Mensch in Seenot verdient die Rettung"

Der Verein "Jugend Rettet" ist 2015 mit dem Ziel entstanden, Flüchtlinge in Seenot zu retten. Gwen und Kilian arbeiten in Köln als Botschafter für das Projekt. Im Interview erzählen sie von Ihrer Motivation.

Pauline Schmidt (li.) vom Verein "Jugend rettet" (Archiv) / © Hans-Christian Wöste (dpa)
Pauline Schmidt (li.) vom Verein "Jugend rettet" (Archiv) / © Hans-Christian Wöste ( dpa )

domradio.de: Ihr seid Botschafter für "Jugend Rettet". Was ist Eure Aufgabe?

Gwen: Wir hier in Köln machen Öffentlichkeitsarbeit und Spendenakquise. Unser Verein basiert auf Spenden und ein Einsatz kostet den Verein 40.000 Euro. Irgendwo müssen wir das Geld natürlich hernehmen. Wir haben auch schon mit Schulen zusammengearbeitet.

domradio.de: Was war für Euch die Motivation, dass Ihr gesagt habt, jetzt engagieren wir uns?

Gwen: Ich mache das aus Überzeugung. Für mich bedeutet das nicht nur Mut. Sicherlich nachher auf dem Boot zu sein, da gehört eine Menge Mut dazu. Es ist aber definitiv eine Frage von Einstehen für europäische Werte.

domradio.de: Ist das auch die Motivation für dich, Kilian?

Kilian: Genau. Man bekommt ja auch von der Überzeugung etwas zurück, indem man sich besser fühlt, weil man sich für die Flüchtlinge einsetzt. Letztes Jahr habe ich syrische Flüchtlinge kennengelernt und das war für mich Motivation genug, mich persönlich einzusetzen.

domradio.de: Gehört zu der Motivation auch das Flüchtlingsboot, das letztes Jahr in Köln zu sehen war und jetzt auf Rundreise ist. Es ist ja wirklich sehr klein. Man kann sich eigentlich schwer vorstellen, dass da 80 bis 100 Menschen draufgesessen haben und über das offene Mittelmeer gefahren sind. Ist das auch ein Bild, was euch berührt hat?

Gwen: Sicherlich. Die Zeitungsberichte, die es in der Vergangenheit gab, sind schockierend. Ebenso die Bilder, die man sieht, von den überfüllten Flüchtlingsbooten. Das ist definitiv eine Motivation, irgendwas dagegen zu machen, und nachdem 2015 vor Lampedusa so viele Menschen ertrunken sind, mussten wir sagen: So kann das nicht weitergehen, so können wir uns nicht abschotten. Das haben die Menschen einfach nicht verdient. 

domradio.de: Ihr habt dann ein Boot gekauft, das ging alles in nur wenigen Monaten. Wie ist das abgelaufen?

Gwen: Wir haben damals einen holländischen Fishtrawler gekauft. Da hatten wir als Botschafter in den einzelnen Städten gar nicht so viel zu tun. Aber das Kernteam stand im Austausch mit Leuten, die sich mit Schiffbau auskennen. Der Fishtrawler war in einem schlechten Zustand, als wir ihn gekauft haben. Der musste grundrenoviert werden, da haben dann ganz viele Leute zusammen geholfen in Emden. Wir haben auch von der Werft Emden Unterstützung bekommen, so dass wir es dann wirklich geschafft haben, dieses Schiff innerhalb von zwei Monaten umzubauen. Und am 24. Juli 2016 konnten wir die erste Mission fahren.

domradio.de: "Jugend Rettet" ist mit acht Leuten gestartet, inzwischen sind es viel mehr. Kilian ist auch vor kurzem dazugekommen. Wie viele seid ihr jetzt insgesamt?

Kilian: Wir sind 58 Städten vertreten in über 10 Ländern mit knapp 200 Mitarbeitern.

domradio.de: Wir läuft denn so eine Rettungsmission ab? Geht man da einfach mit dem Boot aufs Meer und sucht Flüchtlinge, die unterwegs sind, oder hat man vorher irgendwelche Informationen?

Gwen: Die Missionen sind koordiniert vom MRCC, dem Maritime Rescue Coordination Centre, in Rom. Prinzipiell ist es so, dass man nicht einfach so aufs Boot gehen kann. Die Crew, die bei uns auf dem Boot ist, arbeitet zwar ehrenamtlich, ist aber professionell und wird ausgesucht. Wir haben Nautiker mit an Bord, Ingenieure, Ärzte, Ersthelfer. Wenn man auf das Boot möchte, muss man also einen Bewerbungsprozess durchlaufen. Man kann jetzt nicht einfach sagen, ich will mit, und dann kann jeder mit. Wir achten darauf, dass die Leute an Board dafür geeignet sind. Man muss auch psychologische Tests durchlaufen.

Und dann läuft das so ab, dass wir einen Call bekommen, es wurden Boote gesichtet. Dann fahren wir dahin. Zwei Schnellboote fahren da voraus, verteilen Rettungswesten und versuchen das Boot zu sichern. Dann versuchen wir die Flüchtlinge an größere Boote weiterzugeben. Wir bleiben vor Ort und fahren nicht zurück.

domradio.de: Wie geht man damit um, wenn man auf einer Mission mit dem Tod konfrontiert wird?

Gwen: Das ist natürlich sehr tragisch. Unsere Crew wird professionell begleitet und erhält seelsorgerische Betreuung. Die Crewmitglieder sprechen viel miteinander, arbeiten Dinge auf und diskutieren. Für uns, hier in Köln, macht das aber auch nochmal die Dringlichkeit der ganzen Sache deutlich

Kilian: Man sollte im Hinterkopf behalten, wie viele man gerettet hat, bevor man darüber nachdenkt, wie viele man nicht gerettet hat.

domradio.de: Wie seht Ihr die europäische Politik? Es wird immer über Quoten und die Verteilungsregelung gesprochen. Steht Euch da der Mensch zu wenig im Mittelpunkt?

Gwen: Definitiv. Wir glauben, jeder Mensch in Seenot verdient die Rettung. Es wird von staatlicher Seite nichts unternommen. Momentan leisten die Arbeit NGOs. Es sterben wahnsinnig viele Menschen und es kommen immer mehr über die Mittelmeerroute. Auf lange Sicht muss es ein staatliches Rettungsprogramm geben. Es kann nicht sein, dass junge Menschen ihr Leben riskieren. Und es kann auch nicht sein, dass wir Menschen auf der Flucht kriminalisieren.

Das Interview führte Matthias Friebe.


Quelle:
DR