Jugendliche zwischen Ausgrenzung und Teilhabe

"Im Zweifel auch eine zehnte Chance geben"

Als Jugendlicher möchte man dazugehören - auch wenn das bedeutet, bei den "falschen" Menschen Anerkennung zu suchen. Die Gefahr, sich zu radikalisieren sei groß, sagt Simon Härting, angehender Priester bei den Salesianern.

Radikalisierung beginnt oft sehr früh / © Daniel Karmann (dpa)
Radikalisierung beginnt oft sehr früh / © Daniel Karmann ( dpa )

domradio.de: Sie arbeiten als Erziehungsleiter im Jugendzentrum Don Bosco in Sannerz bei Fulda. Mit was für Menschen haben Sie dort zu tun?

Simon Härting, SDB in Sannerz bei Fulda: Wir betreuen Jugendliche im Alter von zehn bis  21 Jahre, die fest bei uns wohnen. Das heißt, sie leben nicht mehr in ihren Familien, sondern werden von dort durch die Jugendämter an uns abgegeben - das muss man leider so sagen. Wir betreuen sie 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Das sind Jugendliche, die soziale Schwierigkeiten haben, die Probleme in der Schule haben, die auch juristische Schwierigkeiten haben und bei den Gerichten zum Teil schon vorstellig geworden sind. Als Don-Bosco-Einrichtung ist es unser Motto, Jugendliche aus dem Abseits zu holen. Genau darum kümmern wir uns, wir möchten diese Jugendlichen holen und ihnen eine Möglichkeit geben, an der Gesellschaft wieder teilzuhaben.

domradio.de: Jugendliche wollen dazugehören - das ist ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens. Nun besteht die Gefahr, dass man in die falschen Gruppen gerät. Haben Sie auch damit Erfahrung?

Härting: Absolut! Wir merken, dass wir die Jugendlichen verlieren, wenn wir ihnen die Möglichkeit eines Zurückkommens in die Gesellschaft nicht bieten. Wir verlieren sie an Kräfte, die radikal sind. Das können rechtsextreme Kräfte sein, Salafisten, es kann auch eine Radikalisierung in Abhängigkeiten sein. Die Gefahr, die Jugendlichen zu verlieren, ist groß. Dabei handelt es sich um eine weltweite Gefahr, das hat nicht nur mit uns hier zu tun, sondern das ist eine Erfahrung die Don Bosco weltweit macht: in Indien, Palästina - überall ist Radikalisierung genau das, was Jugendliche bedroht, wenn wir sie ausgrenzen.

domradio.de: Wie kann man gegenzusteuern?

Härting: Zunächst einmal muss man die Jugendlichen wertschätzten. Man muss ihnen die Möglichkeit geben, Sicherheit zu haben, ihre Talente zu entfalten und ihre eigene Selbstbestimmung finden zu können. Denn wenn sie das schaffen, fühlen sie sich selbst so wertvoll, das sie auch wieder anfangen, gesellschaftlich teilzunehmen und sich für Dinge zu interessieren, die vorher höchstens am Rande stattfanden; wie Schule, Ausbildung oder gewisse Grundfertigkeiten.

domradio.de: Jugendliche sind oft dickköpfig - kommen Sie da in manchen Situationen auch an pädagogische Grenzen?

Härting: Ja, das ist so. Auch wir alle haben jeweils nur unsere individuellen Talente und damit kommt man dann schon mal an seine pädagogischen Grenzen. Manchmal kommen wir auch an die körperlichen Grenzen, denn Jugendliche können aggressiv werden oder beleidigend; so sehr dass es uns auch körperlich treffen kann. Da muss man darauf achten, dass man sich gut abgegrenzt und im Blick hat, was überhaupt machbar ist und was nicht. Als Don Bosco bieten wir aber immer die Möglichkeit, einen Neuanfang zu starten. Bei uns gilt ein schon fast geflügeltes Wort: "Im Zweifel geben wir auch eine zehnte Chance." 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Don Bosco (KNA)
Don Bosco / ( KNA )
Quelle:
DR