Jugendnotschlafstelle der Caritas in Essen ist überfüllt

"Das sind totale Überlebenskünstler"

Die Essener Notschlafstelle "Raum 58" kann obdachlosen Menschen von 14 bis 21 Jahren ein Bett anbieten. Seit September 2001 gab es weit über 35.000 Übernachtungen. Der Bedarf steigt erheblich, erklärt Sozialarbeiterin Britta Reuter.

Obdachloser vor einem Bahnhof / © Arne Dedert (dpa)
Obdachloser vor einem Bahnhof / © Arne Dedert ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was ist der Grund für diese hohe Nachfrage? 

Britte Reuter (Sozialarbeiterin der Notschlafstelle Caritas/Sozialdienst katholischer Frauen Essen): Das ist nicht so einfach zu beantworten, das ist eine sehr komplexe Lage. Zum einen sind die Jugendämter, die für die Minderjährigen ja zuständig sind, total überlastet.

Dadurch verzögern sich Anschlussperspektiven, einige Einrichtungen sind überfüllt, gerade die Jugendschutzstellen, wo unsere Minderjährigen in der Regel einen Platz finden könnten, sind überbelegt. 

Und für die Volljährigen sieht der Wohnungsmarkt sehr schlecht aus. Gerade die jungen Menschen, die mit 18 Jahren von ihren Eltern rausgeworfen werden, wissen häufig nicht wohin.

DOMRADIO.DE: Aus welchen Verhältnissen kommen denn die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die abends bei ihnen an der Notschlafstelle stehen? 

Reuter: Die meisten kommen aus dem Jugendhilfesystem. Die sind gar nicht Zuhause groß geworden, sondern in Jugendhilfeeinrichtungen. Ansonsten gibt es auch gerade bei den jungen Volljährigen immer mal wieder die Situation, dass sie mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenziehen und sich dann trennen. 

Dadurch rutschen sie plötzlich in die Wohnungslosigkeit. Die meisten übernachten dann auf einer Couch bei einem Freund, aber das kann man nur für eine gewisse Zeit. Und da sind wir wieder bei dem Thema Wohnungssuche. Die finden dann einfach keine Wohnung und landen in der Wohnungslosigkeit. 

Britta Reuter

"Diejenigen, die hier nicht schlafen konnten haben wir dann mit Schlafsack und Isomatte versorgt."

DOMRADIO.DE: Was machen Sie denn, wenn es nicht genug Betten am Abend gibt? 

Reuter: Bevor wir Anfang letzten Jahres den Schlafcontainer aufgestellt haben, haben wir unter den jungen Volljährigen Betten verlost. Minderjährige haben hier immer Vorrang, wegen des Schutzauftrages. Unter den jungen Volljährigen haben wir tatsächlich Lose ziehen müssen. 

Und diejenigen, die hier nicht schlafen konnten, haben wir dann mit Schlafsack und Isomatte versorgt. Oder wir haben vermittelt und geschaut, was es in der Umgebung noch an Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gibt. Da haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese unsere jungen Volljährigen nicht gerne aufsuchen.

Es gibt ja Einrichtungen, wo Wohnungslose Unterschlupf finden können. Aber wir reden hier auch über junge Menschen, die einen anderen Bedarf haben als die Wohnungslosen, die schon sehr sehr lange auf der Straße leben und schon älter sind.

DOMRADIO.DE: Mussten Sie auch schon mal die jungen Menschen bei Frost und Regen rausschicken?

Reuter: Tatsächlich mussten wir das schon, allerdings vereinzelt. Mit dem Schlafcontainer haben wir das Schlimmste irgendwie verhindern können. Es ist aber leider so, dass der Schlafcontainer eigentlich nur als kurzzeitiges Projekt geplant war, bis März letzten Jahres. 

Jetzt haben wir eine Verlängerung, so dass er erst mal noch bis zum 31. März hier steht. Dann müssen wir schauen, wie es weitergeht. Das ist immer eine Frage der Finanzierung und des Personals.

Britta Reuter

"Das Leben ist schon schwierig genug wenn man auf der Straße lebt und manche sind eben erst 14 Jahre alt."

DOMRADIO.DE: Warum ist die Schlafmöglichkeit für Jugendliche auch mehr als nur ein Schlafplatz? 

Reuter: Viele Jugendliche, die aus dem Jugendhilfesystem kommen, brauchen Begleitung. Das Leben ist schon schwierig genug, wenn man auf der Straße lebt und manche sind eben erst 14 Jahre alt. Das sind totale Überlebenskünstler. 

Aber bei Antragstellungen und Kommunikation mit Jugendämtern oder bei der Begleitung zu Anschlussperspektiven brauchen sie Unterstützung. Das gilt auch für unsere jungen Volljährigen. 

Bei denen stellt sich ja ganz häufig die Frage, wie eine Wohnung finanziert werden kann. Und was es da für Möglichkeiten gibt.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn jetzt über den Schlafcontainer hinaus die Möglichkeit, noch aufzustocken? 

Reuter: Die gibt es nicht. Ich möchte auch gar nicht aufstocken. Man muss ja auch schauen, wie viele Jugendliche zusammen abends hier sein können und was das für Auswirkungen auf die Gruppendynamik hat. Es soll ja auch ein Ort sein, um zur Ruhe zu kommen und um sich sicher zu fühlen. 

Der Bedarf wäre schon da. Da gucken wir, dass wir unser Netzwerk nutzen, so dass die Jugendlichen irgendwie anderweitig unterkommen und nicht solange hier sind. Es ist ja nicht das Ziel, sie in dieser prekären Situation zu lassen, sondern zu schauen, dass sie einen festen Ort bekommen. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

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3,1 Prozent der Menschen ab 65 Jahren beziehen Grundsicherung / © Stephanie Pilick (dpa)
3,1 Prozent der Menschen ab 65 Jahren beziehen Grundsicherung / © Stephanie Pilick ( dpa )
Quelle:
DR