Die Idylle ist trügerisch. In Mineo im Südosten Siziliens liegt eine bunte Wohnanlage. Die Häuser sind gelb, orange und rot gestrichen. Palmen säumen die Straßen auf dem Gelände, kleine Vorgärten hübschen das Bild auf. Es sieht ein bisschen nach amerikanischer Vorstadt aus. Bis vor kurzem kamen hier noch US-Soldaten unter. Heute leben Flüchtlinge in der bunten Kulisse. Viele kamen auf überfüllten Kähnen von Nordafrika übers Meer und riskierten ihr Leben für eine Zukunft im verheißungsvollen Europa. Doch in Mineo macht sich Ernüchterung breit.
"Residence Degli Aranci" (Orangen-Residenz) steht auf einem Schild am Eingang der Anlage. Weiter hinten reihen sich die Häuschen zu einer bunten Kette auf. Dazwischen ein Fußballplatz, ein paar Basketballkörbe, eine Grillecke. Alles ist sauber und geordnet. Um das Gelände herum sind nur grüne Wiesen, der Ort Mineo liegt ein paar Kilometer entfernt auf einem Hügel.
Journalisten unerwünscht
Das Gelände ist streng abgeriegelt. Hohe Zäune mit Stacheldraht umgeben die Anlage, ein Wachposten stoppt Ankömmlinge vor einer Schranke, das Militär patrouilliert an der Straße. Fotos sind unerwünscht, Journalisten erst recht. Zum Camp haben nur bestimmte Gäste Zutritt: Abgeordnete aus dem In- und Ausland. Andere Besucher müssen draußen bleiben. Die Privatsphäre der Bewohner solle nicht gestört werden, heißt es offiziell zur Begründung.
Viele Flüchtlinge aus dem Camp haben aber Redebedarf. Sie lungern draußen vor dem Tor herum, lehnen an den Leitplanken an der Straße, warten und erzählen von ihrem Leben in der bizarren Siedlung. Essen, Schlafen, Warten - jeder Tag sei gleich, sagte Mirwais. Der 18-Jährige floh vor drei Monaten aus Afghanistan, schlug sich über den Iran, die Türkei und Griechenland bis nach Italien durch. Mal im Bus, mal zu Fuß, mal mit dem Boot. Zwei Monate lang war Mirwais unterwegs, manchmal hatte er zwei oder drei Tage lang nichts zu essen. Erst war er in einem anderen Flüchtlingscamp in Italien, seit einem Monat hängt er in Mineo fest und wartet auf Papiere.
"Niemand spricht mit uns"
Auch Mohammed und Koné hoffen seit drei Wochen vergeblich auf ein Beratungsgespräch. "Niemand spricht mit uns", klagt Mohammed. "Wir warten nur." Der 37-Jährige stammt aus Sierra Leone, Kéno kommt ursprünglich aus der Elfenbeinküste. Beide flüchteten vor Kämpfen in ihrer Heimat, gingen nach Libyen, um dort zu arbeiten. Doch der Krieg holte sie auch dort ein. Die Männer machten sich gemeinsam auf einem überfüllten Boot auf den Weg Richtung Europa - wie Tausende andere.
"Es war sehr gefährlich", sagt Mohammed. Der Kahn schaukelte zwischen riesigen Wellen umher. 100 Menschen klammerten sich aneinander. "Wir haben die ganze Zeit gebetet", erzählt er. Einen Tag und eine Nacht brauchten sie für die Überfahrt. Sie hatten Glück und erreichten die andere Seite lebend. Viele andere Boote vor und nach ihnen kamen nie im ersehnten Europa an.
Kéno sagt, eigentlich sei er glücklich - trotz der Probleme im Camp. "Ich habe den Krieg und das Wasser überlebt." Wäre da nur nicht die Ungewissheit, das ewige Warten und das Gefühl, nichts wert zu sein. Keinen Cent habe er in der Tasche, sagt Mohammed. Er habe nicht mal Geld, um seine Familie anzurufen und Bescheid zu sagen, dass er noch am Leben ist.
Fünf Tage Angst auf dem Mittelmeer
Auch Sara aus Äthiopien hat die Überfahrt aus Libyen überstanden. Die 21-Jährige ist eine der wenigen Frauen in Mineo. Ganze fünf Tage und fünf Nächte brachte sie mit 500 anderen auf dem Mittelmeer zu, bis die kleine italienische Insel Lampedusa in Sicht war. Die Reise in ein neues Leben ist teuer. 1.500 Dollar musste Sara dafür zahlen, zusammengespart von ihrem Putzjob in Libyen.
Nach den Unruhen in Tunesien und seit dem Ausbruch der Kämpfe in Libyen strömten rund 29.000 Menschen von der nordafrikanischen Küste Richtung Europa, überwiegend Tunesier. Zwischenzeitlich drängten sich 6.000 Menschen auf Lampedusa. Die italienische Regierung warnte vor einem "menschlichen Tsunami", der auf Europa zurolle und nutzte die Bilder von der Mittelmeerinsel zur Stimmungsmache. Tausenden Tunesiern stellte Rom vorübergehende Aufenthaltspapiere aus, mit denen sie in andere EU-Staaten weiterreisen konnten. Die europäischen Partner reagierten empört auf den Alleingang.
Die Tunesier sind inzwischen fast alle aus Italien verschwunden. In Mineo ist kein einziger mehr von ihnen. Viele brachen nach Frankreich auf. Doch Paris wollte sie auch nicht und machte kurzerhand die Grenzen dicht. Inzwischen haben sich Italien und Frankreich zusammengetan und wollen gemeinsam strengere Grenzkontrollen in der EU ermöglichen, um Flüchtlingsströme abzuhalten. Wieder ein Vorstoß ohne Absprache mit anderen Partnern.
Ein lustloser Präfekt
Auch ein paar Ebenen unterhalb der Regierungsspitze hält sich die italienische Kooperationslust in Grenzen. Die Grünen-Chefin Claudia Roth und die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler haben sich nach Sizilien aufgemacht, um sich über die Lage der Flüchtlinge zu informieren. In der zuständigen Präfektur in Catania treffen sie auf einen wortkargen und unterkühlten Behördenchef. Vincenzo Santoro empfängt die beiden in seinem Amtssitz und referiert kurz über Mineo als Flüchtlingszentrum "in schöner Natur". Probleme gebe es dort nicht.
Auf die bohrenden Nachfragen der deutschen Besucherinnen reagiert der Präfekt genervt, schaut im Wechsel auf die Uhr und an die Decke, zieht sein Gesicht in Falten und erklärt mehrmals schroff, all die Fragen lägen nicht in seiner Verantwortung. Punkt.
Kurz darauf bricht er das Gespräch wenig galant ab, setzt zum Abschied ein gequältes Lächeln auf, schüttelt eilig Hände und rennt aus dem Raum. Einen herzlichen Empfang hatten sich Roth und Lochbihler ohnehin nicht erhofft. Die Grünen kritisieren die Haltung Italiens in der Flüchtlingsfrage, wo sie nur können.
"Groteske Siedlung"
Beim anschließenden Besuch im Mineo-Camp müssen Roth und Lochbihler ihre halbe Delegation vor dem Tor warten lassen. Die Sicherheitsleute lassen nicht mit sich reden. Drinnen sei es "grotesk", berichten die Grünen-Frauen nachher. "Alles ist schön bemalt, alles ist hübsch", sagt Roth, aber das Ganze sei eine eigenartige "künstliche Situation". Die Betreiber des Camps hätten alle Küchengeräte aus den Häusern entfernt. Kochen könnten die Menschen dort nicht. Taschengeld bekämen sie auch nicht. Ohne Telefon, ohne Internet, ohne Fernseher seien sie von der Außenwelt abgeschnitten. Auch viele im Camp hatten sich den Start in Europa anders vorgestellt.
Junge Leute aus Afrika aus hoffen auf eine Zukunft in Europa
Zermürbendes Warten
Ein Plakat aus den alten Zeiten hängt noch an einer Laterne. "Genießen Sie Ihren Aufenthalt auf Sizilien" steht dort auf Englisch. Das Schild wirkt zynisch. Hinter den Mauern sitzen heute junge Leute aus Afghanistan, aus der Elfenbeinküste, aus Eritrea oder Äthiopien und wissen nicht, was die Zukunft bringen wird.
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