Käßmann verteidigt Pazifismus im Ukraine-Krieg

"Jesus war kein Revolutionär mit der Waffe in der Hand"

Ist das Beharren auf Pazifismus in Zeiten des Krieges vertretbar? Darüber ist in Deutschland eine heftige Debatte entbrannt. Die evangelische Theologin Margot Käßmann kritisiert Waffenlieferungen und begründet das mit der Bibel.

Krieg und Frieden / © David Young (dpa)
Krieg und Frieden / © David Young ( dpa )

Die Gegenposition von "Justitia et Pax" finden Sie hier.

DOMRADIO.DE: Sie glauben weiter an die Kraft der Gewaltlosigkeit, an die bleibende Kraft des Pazifismus. Aber wäre es jetzt nicht tatsächlich ganz schön naiv, einem brutalen Diktator wie Putin mit weißer Fahne und Friedenstaube entgegenzutreten?

Margot Käßmann 2021 in Hannover / © Julian Stratenschulte (dpa)
Margot Käßmann 2021 in Hannover / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Margot Käßmann (ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland): Für mich ist immer die Frage: Was ist naiv? Ist es nicht auch naiv zu sagen, wir liefern Waffen ohne Ende? Es muss ja irgendwann auch ein Limit geben. Was sind die Ziele? Man muss das Ganze ja vom Ende her denken. Ich denke, wir haben auch gesehen, dass Waffen nicht unbedingt Frieden schaffen. Denken wir nur an den Einsatz in Afghanistan. Da hieß es, die Freiheit Europas würde am Hindukusch verteidigt. Daran sind die Zweifel ja auch berechtigt gewesen.

DOMRADIO.DE: Was würden Sie denn jetzt Männern, Frauen und Kindern in der Ukraine persönlich sagen? Die sagen: Das ist alles wahr, aber unser Leben ist jetzt und hier bedroht. Wir brauchen Waffen, um uns zu verteidigen.

Käßmann: Wissen Sie, diese Frage kommt mir immer vor wie früher, als ich für die Beratung der Kriegsdienstverweigerer zuständig war. Da war eine Gewissensfrage dann immer, ob man nicht auch zur Waffe greifen würde, wenn neben dir deine Freundin vergewaltigt wird. Und natürlich ist das in einer akuten Situation die Frage.

Ich werde den Ukrainern nicht sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Aber ich denke, wir als Deutsche müssen überlegen, was wir tun. Bis jetzt galt bei uns: Wir liefern keine Waffen in Krisengebiete oder in Kriegsgebiete. Und zwar aus gutem Grund, weil sonst Krisen und Kriege ständig verlängert und verschlimmert werden. Und wenn ich jetzt höre, der Blutzoll muss erst mal erhöht werden, damit es zu Friedensverhandlungen kommt, dann stockt mir schon der Atem.

DOMRADIO.DE: Sie sehen Ihren Glauben an den Frieden natürlich biblisch verankert und berufen sich auf Jesus, der Frieden und nicht Krieg gepredigt hat, Feindesliebe und nicht Hass. Theologie habe zu fragen, wie sich das umsetzt im jeweiligen Kontext, schreiben Sie. Wie setzt sich das denn um im aktuellen Kontext von Putins Angriffskrieg?

Käßmann: Ich denke, dass der Angriffskrieg von Putin durch nichts zu rechtfertigen ist, dass es entsetzlich ist, zu sehen, wie da Menschen sterben, Frauen vergewaltigt werden, Städte zerstört werden, Leben zerstört werden. Das ist keine Frage. Nur ist der Pazifismus immer angefochten gewesen. Ich meine, es gibt seit elf Jahren Krieg in Syrien, seit sieben Jahren Krieg im Jemen, ungezählte Bürgerkriege auf der ganzen Welt. Da ist überall die Frage: Wie können wir langfristig Frieden schaffen?

Margot Käßmann

"Die Aufgabe von Christinnen und Christen (ist), alles zu tun, zum Frieden zu rufen, nicht zu mehr Waffen."

Einerseits argumentiere ich natürlich biblisch. Jesus war kein Revolutionär mit der Waffe in der Hand, sondern hat Frieden gepredigt. Und ich denke, deshalb ist es die Aufgabe von Christinnen und Christen, alles zu tun, zum Frieden zu rufen, nicht zu mehr Waffen zu rufen, sondern zu Verhandlungen, zu Phantasie für den Frieden. Was können wir eigentlich tun, um die diplomatischen Bemühungen massiv zu verstärken und nicht so dahinplänkeln zu lassen? Denn Frieden muss es geben. Ich meine, das sagen alle. Das sagt auch der NATO-Generalsekretär Stoltenberg. Es muss ein Ende dieses Krieges geben und je schneller, desto besser.

DOMRADIO.DE: Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff hat die Teilnehmer der Ostermärsche gar als "fünfte Kolonne Putins" bezeichnet. Was denken Sie darüber?

Käßmann: Ich muss sagen, das hat mich empört. Die Ostermärsche für den Frieden finden seit Jahrzehnten statt. Und jetzt diejenigen zu diffamieren, die für Frieden demonstrieren, das tut auch einer Demokratie nicht gut. Wenn einer wie Sascha Lobo erklärt, wir seien "Lumpenpazifisten", dann finde ich, ist das eine Frechheit. Menschen zu diffamieren, die eine andere Meinung haben, ist nicht Teil der Demokratie, sondern das müssen wir aushalten. Hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Und dieser Druck, der ausgeübt wird: "Du musst doch jetzt sehen, dass jetzt Waffen richtig sind", das kennt der Pazifismus von Anfang an, da kann man Bertha von Suttner lesen vor 100 Jahren. Das ist dann genauso passend. Oder Martin Luther King, der angegriffen wurde für seine pazifistische Haltung.

Es hat immer Kriege gegeben und der Pazifismus will langfristig Abrüstung. Ich habe sieben Enkelkinder, und wenn ich mich frage, was ist eine Investition in deren Zukunft, dann ist es doch nicht mehr Rüstung, sondern Abrüstung. Die Frage des Klimawandels, die Frage der Bildung, der sozialen Gerechtigkeit. Zukunft entsteht für mich nicht durch mehr Rüstung, sondern durch weniger Waffen und Waffenstillstand so schnell wie möglich.

DOMRADIO.DE: Sind Sie zufrieden mit dem, was aus Ihrer Kirche, aber auch dem, was aus der katholischen Kirche jetzt an Statements kommt zum Krieg in der Ukraine?

Käßmann: Nun, in unserer Kirche war es immer so, dass es Auseinandersetzungen gab. Was ist der richtige Weg? Wenn Sie an die Friedensdenkschrift 2007 denken, da war auch die pazifistische Position in einer Minderheitensituation. Auch in der evangelischen Kirche in Deutschland gibt es die Position, dass Waffenlieferungen jetzt der richtige Schritt sind. Ich habe eine andere Haltung, weiß mich vielen anderen da auch verbunden. Ich denke, es ist Aufgabe der Kirchen, zum Frieden zu rufen. Und wenn ich sehe, dass Patriarch Kyrill Waffen segnet in Russland und wenn dann auf anderen Seiten Waffenlieferungen befürwortet werden, dann frage ich mich: Was haben wir eigentlich aus der Geschichte gelernt, in der die evangelische Kirche gerade vor dem Ersten Weltkrieg ja den Krieg verherrlicht hat, auch Waffen gesegnet hat und im Zweiten Weltkrieg der Kriegstreiberei nichts wirklich entgegengesetzt hat.

Margot Käßmann

"Diejenigen zu diffamieren, die für Frieden demonstrieren, das tut auch einer Demokratie nicht gut."

DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit dem Liedermacher Konstantin Wecker haben Sie gerade eine Sammlung neuer und alter Texte zu Frieden und Pazifismus neu herausgegeben: "Entrüstet euch!" Was wollen Sie damit für ein Zeichen setzen?

Käßmann: Zum einen wollen Konstantin Wecker und ich noch mal sagen: Es gibt den Pazifismus noch, und er ist nicht durch diesen einen Krieg jetzt absolut in Frage gestellt. Da sind Texte von Bertha von Suttner oder Erich Kästner, um zu zeigen: Diese Auseinandersetzungen und Fragen gab es immer. Aber wir haben eben auch neue Texte, die sagen: Können wir nicht ganz anders Frieden schaffen? Müssen immer Waffen die Antwort sein? Natürlich, es gibt auch zivilen Widerstand. Niemand kann der Ukraine das Recht absprechen. Aber was ist eigentlich die Aufgabe Deutschlands? Und sollte nicht aus der Geschichte heraus Deutschland das Land sein, das versucht, so schnell wie möglich Frieden zu schaffen und sich als diplomatische Vermittlerin anzubieten?

Das Interview führte Hilde Regeniter.

"Entrüstet euch!" von Margot Käßmann und Konstantin Wecker

"In einer Zeit, in der Pazifismus belächelt und verspottet wird, ist uns wichtig, dass Menschen verschiedenster Herkunft und Motivation sich wieder zusammentun. Frieden ist keine Illusion, Frieden ist machbar. Wir können uns ent-rüsten!" Die Texte, die wir für dieses Buch zusammengestellt haben zeigen, welche Kraft ein gewaltloses Handeln haben kann – und sie spiegeln auch die Hoffnung, dass die Stimme des Pazifismus’ wieder hörbarer wird.“ - Margot Käßmann und Konstantin Wecker

Quelle: margotkaessmann.de

Friedensdemo zum Ukraine-Krieg / © Patrick Pleul (dpa)
Friedensdemo zum Ukraine-Krieg / © Patrick Pleul ( dpa )
Quelle:
DR