DOMRADIO.DE: Vor bald vier Jahren sagte Papst Franziskus im Rahmen eines Kongresses in Rom, dass die meisten kirchlichen Ehen ungültig seien. Die Ursache dafür sei, dass "die Leute nicht wissen, was das das Sakrament bedeutet". Stimmen Sie dieser Aussage zu?
Propst Dr. Peter Fabritz (Pfarrer und Propst von St. Clemens in Oberhausen-Sterkrade, Stadtdechant von Oberhausen und Vizeoffizial des Offizialats Münster mit Sitz in Essen): Wegen der Coronakrise müssen augenblicklich viele kirchliche Trauungen in die zweite Jahreshälfte verlegt werden. Grund: Die Kommunen untersagen größere Veranstaltungen. Dennoch habe ich als Pfarrer in diesen Tagen schon den Vorschlag gemacht, dass eine Trauung im kleinsten Kreis, also nur Brautpaar und Zeugen, zum geplanten Termin durchaus möglich wäre. Natürlich wird das entsetzt zurückgewiesen. Für die meisten Paare ist so etwas keine "richtige" Hochzeit.
Der Grund liegt darin, dass viele Heiratswillige keine Ahnung davon haben, wie eine "gültige" Ehe zustande kommt. "Wir wollen einen Segen haben" – wird als Grund für die kirchliche Heirat häufig genannt. Dass die Ehe durch den Konsensakt zustande kommt und Mann und Frau sich gegenseitig das Sakrament spenden, erfahren viele Brautleute erst im Ehevorbereitungsgespräch.
Insofern ist die Vermutung von Papst Franziskus, dass viele nicht wissen, was das Sakrament bedeutet, richtig. Ich würde aus meiner Erfahrung als Pfarrer und Vizeoffizial sogar noch weitergehen: Die meisten Brautpaare wissen gar nicht, dass es sich bei der Ehe um ein Sakrament handelt.
DOMRADIO.DE: Aber das hätte doch zur Konsequenz, dass unter uns viele ungültig verheiratete Paare leben. Wäre das nicht auch eine Bankrotterklärung, was die Ehevorbereitung durch einen Seelsorger angeht?
Fabritz: Ich wäre da vorsichtig. Zunächst würde ich bestätigen, dass die Ehevorbereitung mangelhaft ist. Papst Franziskus fordert in "Amoris laetitia" eine umfassende Ehevorbereitung und ein starkes Beratungsangebot der Kirche nicht nur für Heiratswillige, sondern auch für Eheleute in Krisensituationen und für bereits Geschiedene.
Die Kirche in Deutschland weist hier ziemliche Lücken auf. In anderen europäischen Ländern können sie ohne Nachweis eines Ehevorbereitungskurses gar nicht heiraten. Ungültig verheiratet sind Paare aber erst dann, wenn sie durch einen Willensakt ein Wesensziel der Ehe ausgeschlossen haben oder wegen mangelnder Eheschließungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Heirat.
DOMRADIO.DE: Was ist denn nun eigentlich die Grundvoraussetzung für die Gültigkeit einer Ehe?
Fabritz: Der Konsens, also das beiderseitige Ja-Wort der Nupturienten (Brautleute, Anm. d. R.) schafft die Ehe und sonst nichts. Ich sage den Eheleuten im Gespräch vorher: Wenn ich als Priester nach ihrem Ja-Wort tot zusammenbrechen würde und ihnen den Trausegen nicht mehr spenden könnte, so wäre das vielleicht nicht schön, würde aber die Gültigkeit ihrer Ehe in keiner Weise beeinträchtigen.
Die Brautleute schließen einen Bund, einen Vertrag miteinander. Vertragsinhalt: Unauflöslichkeit der Ehe, Treue, Nachkommenschaft, beiderseitiges Wohl. Wer das mit Verstand und Herz bejaht und konkret mit seinem Partner, seiner Partnerin leben will, hat eine gültige Ehe geschlossen.
DOMRADIO.DE: Sie sind als Propst und Stadtdechant ja nicht nur Kirchenrechtler am Schreibtisch, sondern auch in der Seelsorge an vorderster Front tätig. Welches Sakramentenbewusstsein der Heiratswilligen begegnet Ihnen dabei?
Fabritz: Meine Erfahrung als Seelsorger deckt sich mit der als Richter. Die Wesensziele der Ehe werden unterschiedlich stark bewertet. Während es kaum Heiratswillige gibt, die bewusst ihrem Partner, ihrer Partnerin nicht treu sein wollen – weshalb Ausschluss der Treue als Ehenichtigkeitsgrund nur schwer nachzuweisen ist – sieht es mit der Unauflöslichkeit der Ehe schon anders aus. Das katholische Eheverständnis zeichnet sich durch die Unauflöslichkeit aus.
Meine Erfahrung ist, dass die Mehrheit der Brautleute diese auch grundsätzlich bejaht und für richtig hält. Über die Konsequenzen für ihre konkrete Partnerschaft und Ehe sind sie sich aber oft nicht bewusst. Es hängt auch damit zusammen, dass unsere Paare aus einer von Vorläufigkeit und hohen Scheidungsraten geprägten Umwelt kommen. Eheleute, die bis zum Tod zusammenbleiben, haben viele nie kennengelernt.
Deshalb könnten viel mehr Ehenichtigkeitsverfahren mit dem Klagegrund Ausschluss der Unauflöslichkeit geführt werden. Hier muss aber nachgewiesen werden, dass ich die Unauflöslichkeit der Ehe nicht als Theorie, sondern mit meiner Partnerin, meinem Partner ausgeschlossen habe.
Und was die Nachkommenschaft betrifft: Die meisten Paare wollen Kinder haben. Viele aber erst später, zu einem von ihnen bestimmten Zeitpunkt. Ausschluss von Nachkommenschaft hängt nicht selten mit Ausschluss der Unauflöslichkeit zusammen.
DOMRADIO.DE: Nun hat die Internationale Theologenkommission vor einigen Wochen eine Erklärung vorgelegt. Ist diese für die praktische Anwendung in der Seelsorge hilfreich?
Fabritz: Wenn die Ablehnung der Ehe als Sakrament oder mangelnder Glaube Nichtigkeitsgründe sind, würde das für die kirchlichen Ehegerichte zusätzliche Klagegründe bedeuten. Aber auch hier müsste es sich – wie bei den anderen Wesenszielen der Ehe auch – um eine explizite Ablehnung der Ehe als Sakrament handeln. Schwierig wird es, wenn – wie in "Familiaris consortio" von Johannes Paul II. erwähnt – der Seelsorger vorher eine explizite und formale Ablehnung des Ehesakraments feststellen würde.
Was aber ist zu tun, wenn er Unauflöslichkeit, Nachkommen und Treue bejaht? Die Kirche hat immer gelehrt, dass das Zustandekommen des Ehesakraments zwischen zwei Getauften einhergeht mit dem Konsensakt. Ist dann noch eine eindeutige Bejahung notwendig? Das katholische Eheverständnis hat zudem eine starke naturrechtliche Komponente.
Die Ehe zwischen Nichtchristen ist deshalb gültig, weil die naturrechtlichen Ziele der Ehe dem kirchlichen Eherecht entsprechen – ohne dass dabei das Sakrament zustand kommt und ohne Glauben. Auch wenn das Naturrecht inzwischen als "katholisches Sondergut" gilt, war es immer eine Stärke des kirchlichen Eherechts, das sich nicht vom naturrechtlichen Ehebegriff abgehoben hat.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat vor einigen Jahren das Ehenichtigkeitsverfahren erleichtert. Was hat sich seitdem an der Arbeit der Kirchenrechtler in den Offizialaten geändert?
Fabritz: Die Eheprozessrechtsreform "Mitis Iudex Dominus Iesus" von 2015 bewerte ich insgesamt positiv. Die Reform wird häufig leider nur auf den Wegfall der Zweitinstanz von Amts wegen beschränkt. Auch der Beweiswert der Parteiaussagen ist gestiegen.
Mit dieser Reform hat meines Erachtens ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Priorität für den Richter hat nicht mehr die Feststellung der Wahrheit über eine Ehe, also ob sie gültig oder nichtig ist. Ziel ist es vielmehr Menschen zu helfen, ihr Leben neu zu ordnen und dann auch wieder kirchlich heiraten zu können. Denn die meisten Menschen wenden sich an ein kirchliches Gericht, um wieder heiraten zu können.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.