Hohe Erwartungen an das Bischofstreffen im Emsland

Kann Lingen gelingen?

Wenn sich Deutschlands katholische Bischöfe ab dem heutigen Montag zu ihrer Frühjahrsvollversammlung in Lingen treffen, steht viel auf dem Spiel. Selten stand die Kirche so unter Druck. DOMRADIO.DE Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen hofft auf Wunder.

Deutsche Bischöfe / © Katharina Ebel (KNA)
Deutsche Bischöfe / © Katharina Ebel ( KNA )

Seit sie bei ihrem letzten Treffen in Fulda die katastrophalen Ergebnisse ihrer Studie zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs der Öffentlichkeit präsentierten, befinden sich die Bischöfe in ziemlich schwerem Fahrwasser. Nichts auf dem Kirchenschiff läuft mehr richtig rund. Vor allem fehlt ein klarer, von allen Bi­schöfen mitgetragener Kurs, wie man die Fehler, die Wissenschaftler im Sys­tem Kirche gefunden haben, hinter sich lassen kann. Während ein Teil der Bischöfe so schnell wie eben möglich eine deutliche Kurskorrektur einleiten möchte, mahnt der andere Teil, die Kirche müsse jetzt nicht neu erfunden werden. Ein abgestimmtes Krisenmanagement auf der Brücke sieht anders aus. Dass der Missbrauchsgipfel im Vatikan alles andere als der erhoffte Be­freiungsschlag war, macht die Sache nicht besser. Hinzu kommt der steigende mediale Druck der breiten Öffentlichkeit – in der selbsternannten Volkszeitung BILD mussten sich die Bischöfe kampagnenmäßig gar zwölf Thesen an ihre Kirchentür heften lassen. Aber nicht nur die Stimme der Medien ruft nach Re­formation. Reformwünsche kommen lautstark auch aus den Reihen der Laien. Die großen Frauenverbände machen mobil und rufen gar zum Streik auf.

Völlig ungewohnte Töne, die deutlich machen, wie groß der kirchliche Ver­trauensverlust ist. Ob selbstherrliche finanzielle Machenschaften von Lim­burg bis Eichstätt oder weltweiter Kindes- und Nonnenmissbrauch – wenn das Vertrauen erst einmal ruiniert ist, kann aber gerade die Kirche nicht völlig ungeniert weiterleben. Ihr Markenkern – die Weitergabe von Glaube, Liebe und Hoffnung – lebt vom Vertrauen.

Vielleicht sollten sich die Bischöfe einmal die Expertisen der Vertrauensfor­scher vornehmen. Dort kann man nachlesen, dass in der ganzen Gesellschaft heute Vertrauen nicht mehr einfach nur von oben nach unten eingefordert werden kann. Die klassische Top-Down Variante, in der wenige an der Spitze die Welt erklären und sagen, wo es lang geht, funktioniert im Zeitalter von Wikipedia schon lange nicht mehr. Man entzieht der Spitze das Vertrauen und legt es in die Hände vieler. Gerade die hierarchisch aufgebaute Kirche muss hier schnellstens gegensteuern. Papst Franziskus, der sich schon bei seiner Wahl als kleiner "Bischof von Rom" sehr zurücknahm und kirchliche Macht verstärkt in den Teilkirchen der Regionen sieht, hat das offenbar verstanden.

Es droht die Phase der Entzauberung und des Rückzugs

Bei den Experten in Sachen Vertrauen könnten die Bischöfe übrigens auch nachlesen, was passiert, wenn ein Vertrauensverhältnis erst einmal zerbro­chen ist. Menschen reagieren dann sehr emotional. Eheberater und Schei­dungsanwälte können ein Lied davon singen. In dieser Phase der Frustration und Enttäuschungen öffnet sich noch einmal ein kleines Zeitfenster, in dem das zerstörte Vertrauensverhältnis repariert werden kann. Aber nicht durch Absichtserklärungen, sondern durch konkrete, überprüfbare Taten und Schrit­te, getreu dem Motto: Vertrauen ist gut – aber jetzt ist erst einmal Kontrolle besser. Wenn dies nicht gelingt, werden auch die unverheirateten Bischöfe die Erfahrung der sich trennenden Ehepartner machen: Bleiben die vertrauensbil­denden, überprüfbaren konkreten Schritte und Taten aus, beginnt die Phase der Entzauberung und des Rückzugs. Dann hilft höchstens noch das berühmte Wunder, um die Beziehung zu kitten.

Man darf gespannt sein, ob die Bischöfe auf dieses Wunder hoffen, oder ob sie sich bei ihrem Treffen in Lingen trotz all ihrer Meinungsverschiedenheiten auf die dringend notwendigen, vertrauensbildenden Maßnahmen verständigen können. Man möchte den Bischöfen den nötigen Glauben und Mut wünschen, damit Lingen gelingen kann.


Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen / © Edgar Schoepal (DR)
Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen / © Edgar Schoepal ( DR )
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DR