Selten hat Papst Franziskus die Erwartungen der Medien und der Gläubigen so hoch geschraubt wie beim Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan (21. - 24. Februar). Und selten hat er das Publikum so enttäuscht mit seinen Gesten und Worten. Noch in seiner Eröffnungsansprache hatte Franziskus unterstrichen: "Wir brauchen Konkretheit!"
Damit hatte er unrealistische Erwartungen erneut befeuert, dass die Versammlung von Bischofskonferenz-Vorsitzenden und Ordensoberen ohne greifbares Mandat konkrete Reformen, Änderungen des Kirchenrechts oder neue Leitlinien beschließen könnte.
Franziskus blieb im Allgemeinen
Dass die Versammlung dies nicht tun würde, realisierten auch die rund 700 beobachtenden Journalisten aus allen Erdteilen, je länger die Konferenz in Rom dauerte. Umso höher waren die Erwartungen an die Abschlussrede des Papstes am Sonntag. Denn im Prinzip kann ja das Kirchenoberhaupt als oberster Gesetzgeber seiner Kirche alles beschließen, sofern es nicht im Widerspruch zur Lehre der Kirche steht.
Also war die Verschärfung des kirchlichen Strafrechts oder wenigstens die Ankündigung eines solchen Schrittes das Mindeste, was viele Beobachter erwarteten. Stattdessen blieb Franziskus in seiner Rede im Allgemeinen, wiederholte Verurteilungen und Schambekundungen und lud die Verbrechen der Missbrauchstäter noch theologisch auf, indem er diese zu willigen Werkzeugen des Satans erklärte.
Die Enttäuschung der Medienkommentatoren über diese rhetorisch starke, inhaltlich aber wenig konkrete Rede führte dazu, dass die erheblichen Fortschritte, die bei der Konferenz erzielt wurden, nur wenig Beachtung fanden. Dazu zählt, dass an allen Tagen der Konferenz Opfer über ihre Leiden berichten konnten.
Und dass die Journalisten die Reden, die bei dem Gipfel gehalten wurden, allesamt per Livestream verfolgen konnten - einschließlich einer gepfefferten viertelstündigen Bischofsschelte durch die dienstälteste Vatikan-Journalistin, die Mexikanerin Valentina Alazraki. Sie warf den Kirchenoberen rückblickend auf den Fall Maciel und andere Skandale eine korrupte und kranke Kommunikation vor und gab ihnen Ratschläge, wie sie mit Transparenz neues Vertrauen gewinnen könnten.
Noch vor wenigen Monaten wäre dergleichen im Vatikan schlichtweg undenkbar gewesen.
Konkrete Vorschläge einiger Kardinäle
Überraschend konkret waren auch die Vorschläge einiger Kardinäle und einer Ordensoberin aus Nigeria. Unter anderem regten sie an: Die Abschaffung des "Päpstlichen Geheimnisses" in Missbrauchsprozessen, weil es immer wieder zu Vertuschungen und Strafvereitelung gegenüber der weltlichen Justiz geführt hatte.
Das Einrichten einer regionalen, erzbischöflichen Kontrollinstanz, die das Verhalten der Bischöfe in Missbrauchsfällen überwacht.
Die Einführung von kirchlichen Verwaltungsgerichten, um Laien die Möglichkeit zur Klage gegen Willkür-Akte von Pfarrern und Bischöfen zu geben.
Eine radikale Reform der "Knabenseminare", in denen Minderjährige auf das Priesteramt vorbereitet werden.
Der Moderator des Gipfels, der frühere Vatikansprecher P. Federico Lombardi SJ, kündigte wenige Stunden nach der Abschlussrede von Franziskus weitere Schritte an, darunter ein "Motu proprio" des Papstes zum Kinderschutz im Vatikan.
Nun kommt die DBK-Vollversammlung
Mit zwei Wochen Abstand vom Krisengipfel in Rom kommt die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am 11. März zu ihrer Frühjahrsvollversammlung im emsländischen Lingen zusammen. Nach den römischen Beratungen sieht sie sich im internationalen Vergleich in ihrer Selbstwahrnehmung gestärkt: Nach dem verspäteten Aufwachen 2010 ist sie bei Aufarbeitung und Prävention ähnlich weit fortgeschritten wie ihre US-amerikanischen oder irischen Amtsbrüder.
Den weltweiten Krisengipfel im Vatikan sieht man in Deutschland trotz aller Regiefehler als Fortschritt, wie der DBK-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx wiederholt öffentlich betonte.
Die deutschen Bischöfe ihrerseits wollen nun weiter an den "systemischen" Fragen arbeiten, die in der großen Missbrauchsstudie vom September 2018 aufgeworfen wurden. Die Überwindung klerikaler Machtstrukturen gehört ebenso dazu wie ein Überdenken des überkommenen Priesterbildes und die Debatte über die kirchliche Sexualmoral. Auch konkrete Forderungen aus der Missbrauchsstudie dürften wieder in den Blick kommen.
Dazu zählen besonders eine bessere kirchliche Aktenführung nach staatlichem Vorbild und ein "zweiter Entschädigungsweg", der deutlich über die bislang pauschalen "Anerkennungszahlungen" von maximal 5.000 Euro pro Fall hinausgehen sollen. Besonders knifflig wird wohl das bereits im Herbst 2018 angekündigte "Monitoring" der Maßnahmen-Kataloge der Bistümer werden, weil einzelne Bischöfe sich dadurch in ihrer apostolischen Würde eingeschränkt fühlen könnten.