Nach mehr als zwei Jahren steht der Finanzprozess um fragwürdige Millionendeals im Vatikan vor dem Abschluss. Am Montag trug Vatikan-Staatsanwalt Alessandro Diddi noch einmal seine Argumente vor; die Antwort der Verteidiger folgte am Dienstag.
Es waren die letzten Termine vor der Urteilsverkündung an diesem Samstag. Dann endet nach mehr als 80 Prozesstagen das in der Kirchengeschichte bislang einmalige Verfahren. Zumindest vorläufig: Die Parteien können Einspruch gegen das Urteil einlegen.
Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Korruption
Den zehn Angeklagten wirft Diddi unter anderem Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Korruption, Veruntreuung und Amtsmissbrauch vor. Ihnen drohen zwischen drei Jahren und acht Monaten sowie dreizehn Jahren und drei Monaten Haft. Erstmals steht auch ein Kardinal vor dem Vatikan-Gericht: Der 75-jährige Italiener Angelo Becciu, vormals Substitut im Staatssekretariat und damit zweitwichtigster Mann in der zentralen Kirchenleitungsbehörde im Vatikan.
Laut Staatsanwalt trägt Becciu die Hauptverantwortung für ein verlustreiches Immobiliengeschäft, das der Vatikan ab 2014 in London tätigte. Über einen Finanzdienstleister investierte das Staatssekretariat einen dreistelligen Millionenbetrag in eine Luxusgeschäftsimmobilie.
"Freikaufen" für 15 Millionen Euro
Genauer gesagt sicherte es sich Anteile an einer Investmentgesellschaft - verpasste es jedoch, auch Mitspracherechte zu erwerben. Als sich der Deal als Flop erwies, musste sich das Staatssekretariat "freikaufen" - für 15 Millionen Euro. Und dann wurde die Immobilie mit Verlust verkauft. Insgesamt soll der Schaden für den Vatikan bei rund 150 Millionen Euro liegen.
Doch das ist nicht alles: Becciu soll mit Zahlungen des Staatssekretariats an Sozialorganisationen in seiner Heimat Sardinien Verwandte begünstigt haben. Hier geht es um 125.000 Euro. Und er soll Mitschuld daran tragen, dass eine angebliche geopolitische Expertin den Vatikan mutmaßlich um 575.000 Euro prellte.
Becciu führte mutmaßlich den Papst hinters Licht
Becciu brachte die Frau mit dem Staatssekretariat in Kontakt und führte mutmaßlich den Papst hinters Licht. Das Geld, das ihr für die Befreiung einer entführten Ordensfrau in Mali anvertraut wurde, gab sie laut Anklage für Luxusgüter aus.
Becciu und seine Verteidiger weisen die Anschuldigungen zurück. Die Anklage habe vorverurteilend argumentiert und keine echten Beweise vorgelegt, wiederholten sie am Dienstag. Der Prozess habe gezeigt, dass der Kardinal nie eine Maßnahme ergriffen habe, die ihm nicht so von seinem Büro vorbereitet worden sei. Zudem sei er während der vergangenen gut zwei Jahre medialer Aggression ausgesetzt gewesen.
So etwas hatte es noch nie gegeben
Dass er keine Beweise vorgelegt habe, wollte Staatsanwalt Diddi nicht gelten lassen. Bei seinem Schlusswort am Montag verwies er auf Dokumente, E-Mails und Verhörprotokolle. Zudem habe der Finanzdienstleister - ebenfalls Angeklagter in dem Prozess - darlegen können, dass Becciu die Investition genehmigt habe. "Und so etwas hatte es noch nie gegeben: Niemals hatte das Staatssekretariat alle Vermögenswerte einem einzigen Investor anvertraut", betonte Diddi.
Sieben Jahre und drei Monate Haft verlangt der Staatsanwalt für den Kardinal - wegen Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verleitung zur Falschaussage. Zudem soll Becciu 10.000 Euro Geldstrafe zahlen und nie wieder eine öffentlichen Kirchenposition bekleiden dürfen.
Kommt die Entscheidung einer Vorverurteilung gleich?
Seine wesentlichen Rechte als Kardinal hat der Sarde bereits 2020 verloren, auch wenn er den Titel weiter tragen darf. Zudem setzte ihn Papst Franziskus von seinem damaligen Posten als Präfekt der Heiligsprechungskongregation ab. Manch einer murrte, die Entscheidung käme einer Vorverurteilung gleich.
Andererseits unterstreicht sie Franziskus' neuen Stil im Umgang mit Verfehlungen im Vatikan. Da soll nichts mehr vertuscht werden, auch wenn die Anklagen weit oben in die Hierarchie zielen. Schrittweise bemüht sich der Papst um mehr Rechtsstaatsprinzipien im kleinsten Staat der Welt.
Aus dem Finanzskandal hat er bereits im Dezember 2020 Konsequenzen gezogen: Franziskus entzog dem Staatssekretariat und anderen Unter-Einheiten des Heiligen Stuhls sämtliche Verfügungsgewalt über Vermögenswerte. Seither dürfen nur noch die vatikanische Güterverwaltung APSA und die Vatikanbank IOR Geld anlegen, und sie müssen sich dabei an ethische Normen halten. Das Urteil am Samstag dürften nicht nur Vatikan-Beobachter mit Spannung erwarten.