"Sie haben den ganzen Vorgang und den 'Furor teutonicus' von Anfang an unterschätzt, so dass man historische Parallelen ziehen muss", sagte Müller der in Würzburg erscheinenden katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost".
Dabei verwies er auf die Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert. Damals sei Rom durch sein Nichts- oder Zu-Spät-Tun mitverantwortlich für den Abfall großer Teile der katholischen Kirche in ganz Nordeuropa gewesen.
"Schleichendes deutsches Schisma"
Die zuständigen Stellen im Vatikan machten sich Illusionen über die deutschen Verhältnisse, kritisierte Müller. Sie kämen damit ihrer Verantwortung für die Einheit der Kirche nicht energisch genug nach.
Das mindere aber nicht die Verantwortung für das "schleichende deutsche Schisma", für das sich die Bischöfe vor ihrem Richter zu verantworten hätten, "auch wenn sie meinen sollten, beim Jüngsten Gericht mit dem Verweis auf Mehrheitsbeschlüsse durchzukommen". Laut dem Kardinal ist das die "große Tragik in dieser Stunde der Kirchengeschichte".
Müller warf den Reformkräften in Deutschland vor, grundlegende Regeln der kirchlichen Lehre zu brechen. Weltlich formuliert, handele es sich um Verfassungsbruch.
Die Entscheidung etwa, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zu erlauben, sei formal ungültig und "inhaltlich häretisch". Dies widerspreche dem geoffenbarten Verständnis von Ehe und "auch der natürlichen, vernunftbasierten Anthropologie".
Kritik an Papst Franziskus
Der Kardinal kritisierte auch Papst Franziskus. Er habe sein Verständnis von Synodalität nie erklärt. Vielmehr lasse er alles "sehr weit offen, so dass sich jeder irgendetwas darunter vorstellen kann, was er will". Dass sich Bischöfe aufgrund ihres Amtes zu einer Synode zusammenfänden, sei ein Faktum. "Aber jetzt ein abstraktes Prinzip daraus zu machen, das mit beliebigen Inhalten aufgefüllt werden kann, führt zur Konfusion."
Die Kirche sei von Jesus Christus gegründet, und der Papst nicht der Herr der Kirche, der morgen ein anderes Modell einführen könnte.
Papst und auch Theologen könnten versuchen, bestimmte Aspekte deutlicher herauszustellen, räumte Müller ein. Es gehe aber nicht, von einer hierarchischen, sakramentalen Verfassung der Kirche zu einer "synodalen, sprich quasi-demokratischen Verfassung und damit einer Volksherrschaft im politischen Sinn überzugehen".