Kardinal Woelki berichtet von seiner Indienreise

"Ich erlebe hier wahnsinnig lebendige Gemeinden"

Kinderhandel-Vorwürfe gegen den Mutter-Teresa-Orden und eine bedrohliche Hinduisierung auf der einen, lebendige Basisgemeinden und volle Priesterseminare auf der anderen Seite. Und der Monsun: Kardinal Woelki berichtet aus Indien.

In Kannur werden Kardinal Woelki und Bischof Alex vor von Kindern begrüßt. / © Ammann (Erzbistum Köln)
In Kannur werden Kardinal Woelki und Bischof Alex vor von Kindern begrüßt. / © Ammann ( Erzbistum Köln )

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DOMRADIO.DE: Sie haben am Wochenende die "Missionarinnen der Nächstenliebe" besucht, das sind die Schwestern des Ordens, der von Mutter Teresa ins Leben gerufen worden ist. Aktuell gibt es in der Presse Vorwürfe gegen diesen Orden. Eine Ordensschwester soll Kinderhandel betrieben haben. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Man muss zunächst einmal wissen, dass Kinderhandel in Indien leider ein weit verbreitetes Verbrechen ist. Man muss davon ausgehen, dass in Indien jedes Jahr zwischen 60.000 bis 100.000 Kinder verschwinden. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber der Kinderhandel ist leider ein Verbrechen, das quasi an der Tagesordnung ist. Die Gründe für diesen Handel mit Kindern sind vielfältig, wie das oft in solchen Ländern ist. Da steckt Armut oder Geschäftemacherei hinter. Da ist oft Korruption im Spiel. Aber was wir jetzt mitbekommen haben, ist, dass die Ordensschwester von der Polizei verhört wurde, ihr aber nichts nachgewiesen werden konnte. Sie ist wieder in Freiheit.

Es ist wohl so, dass ein Wachmann und eine weitere Frau dort zumindest ein Kind weggegeben und damit tatsächlich wohl auch gehandelt haben. Sie haben wohl auch Geld genommen. Es handelt sich also nicht um die Schwestern, sondern um Angestellte dieser Gemeinschaft. Das ist schlimm genug, aber Gott sei Dank ist keine Ordensschwester verwickelt.

DOMRADIO.DE: Aber der Name Mutter Teresa steht natürlich im Raum.

Woelki: Na ja, die Begriffe Mutter Teresa, Ordensschwestern und Kinderhandel verschaffen natürlich Aufmerksamkeit und Quote. Und man muss natürlich wissen, dass seit der politischen Veränderung und der Machtübernahme 2014 durch die Regierung alles unternommen wird, um Indien wieder zu einem rein hinduistischen Staat zu machen. Die Christen sind hier nur eine ganz kleine Minderheit. Hier in Kerala ist die Gruppe größer, da gibt es Gegenden wo 16, 18, 20 Prozent Christen sind. Aber insgesamt ist das eine kleine Minderheit von nur von zwei Prozent. Und vor den Wahlen, die jetzt anstehen, wird natürlich aktuell versucht, wieder Stimmung zu machen.

Vorwürfe gegen Minderheiten - das wissen wir ja auch aus Deutschland - sind ein beliebtes Mittel. Das hat die Geschichte auch bei uns gezeigt. Und wenn man dann noch den weltweit bekannten Namen von Mutter Teresa im Zusammenhang mit Kinderhandel ins Spiel bringt, dann schafft man die nötige Aufmerksamkeit. Es geht der Regierungspartei zum einen darum, Indien wieder sehr deutlich zu einem hinduistischen Staat werden zu lassen und den auch als solchen zu propagieren. Und die Regierung tut dann auch ihres noch dazu, um deutlich zu machen, dass sie gegen Kinderhandel vorgeht. Für mich ist das ein stark abgekartetes Spiel.

Vor allen Dingen dann, wenn man weiß, dass der Orden bereits vor drei Jahren entschieden hat, sich aufgrund der neuen Gesetzeslage gar nicht mehr an dem Adoptionsverfahren, das in Indien gilt, zu beteiligen. Das können nämlich die Ordensschwestern nicht teilen, weil es so liberalisiert ist, sie möchten die Kinder nicht mehr zur Adoption freigeben.

DOMRADIO.DE: Christen sind also eine kleine Minderheit. Wie erleben Sie auf Ihrer Pastoralreise das katholische Gemeindeleben?

Woelki: Ich bereise gegenwärtig Kerala, die Region mit den meisten Christen. Vor allen Dingen unten im Süden, wo der Apostel Thomas gelandet ist, sind es teilweise bis zu 20 Prozent. Es gibt hier drei verschiedene Christen, die alle zu der einen katholischen Kirche gehören: Die Syro-Malankaren, die Syro-Malabaren und die Christen, die dem Lateinischen Ritus folgen. Alle sind wir eins mit dem Papst. Ich erlebe hier junge Gemeinden mit vielen Kindern und Jugendlichen. Ich erlebe hier Gemeinden deren Mitglieder zu 90, 95 Prozent zum Gottesdienst kommen. Ich erlebe hier wahnsinnig lebendige Gemeinden, die in sozialen und in kirchlichen Fragen engagiert sind. Menschen, die Verantwortung für ihre Kirche und für ihre Gemeinde übernehmen. Es ist wirklich eine Freude, hier zu sein.

DOMRADIO.DE: Gibt es Dinge, die man auf die hiesigen Verhältnisse übertragen könnte, von denen man lernen könnte?

Woelki: Ich habe wirklich viele Diözesen von allen drei Riten besucht. Ich habe keine Diözese getroffen, wo es keine kleine christliche Basisgemeinden gibt. Die bilden das Herz jeder Pfarrei. Die Pfarreien sind in diese Basisgemeinden unterteilt. Das sind oftmals bis zu 20 Basisgemeinden und die werden von jeweils zwei Laien geleitet. Darüber hinaus gibt es dann fünf, sechs andere Verantwortliche, die für die Jugendarbeit, die Familien, für die Erziehung oder für die Caritas, für soziale Fragen zuständig sind und Verantwortung tragen.

Die tragen dafür Sorge, dass die Kirche bis in die Nachbarschaft, bis in die Basis der Gemeinden hinein wirken kann. Sie treffen sich einmal im Monat, sie kommen zu einem geistlichen Tun zusammen. Und dann wird das angesprochen und miteinander besprochen, was es an konkreten Fragen, die es in der jeweiligen Gemeinde und Gemeinschaft zu lösen gilt, gibt. Probleme werden angesprochen und miteinander diskutiert und einer Lösung zugeführt. Und man trifft sich darüber hinaus von den Verantwortlichen aus einmal im Monat, dann kommt auch der Priester dazu. Man informiert sich gegenseitig über das, was in der jeweiligen Basisgemeinschaft und der Pfarrei ansteht.

DOMRADIO.DE: Wir hier in Deutschland, auch im Erzbistum Köln, erleben ja auch indische Ordensschwestern und indische Priester. Wie erleben Sie das vor Ort? Ist das ein fruchtbarer Austausch, freut man sich auch in Indien über diesen Austausch?

Woelki: Auf jeden Fall. Wir pflegen ja seit langen Jahren intensive und gute Kontakte. Ich sehe, dass hier die Priesterseminare brechend voll sind, es gibt hier viele Priesterberufungen und Ordensberufungen. Es ist eine Freude zu sehen, wie viele junge Menschen sich dazu entschlossen haben.

Gestern bin ich noch bei einem Bischof gewesen, der uns danach gefragt hat, ob es nicht möglich ist, dass er Studenten aus seiner Diözese zu uns schicken kann, die dann etwa bei uns in Bonn im Albertinum und an der Universität mit ausgebildet werden könnten. Eine Möglichkeit wäre, dass sie dann nach dem Studium auch für eine Zeit von zehn, fünfzehn Jahren bei uns Dienst tun könnten. Da muss man einfach mal sehen. Es gibt jedenfalls großes Interesse an der Zusammenarbeit auf beiden Seiten.

DOMRADIO.DE: Es sind gerade in Deutschland ganz aktuelle Zahlen zur Kirchenstatistik veröffentlicht worden. Wir haben weiter einen Rückgang bei den Kirchenbesuchern, bei den Kirchenmitgliedern. Auch die Priesterseminare laufen hier ja leider nicht über. Ist das eine Lösung, wenn man Priester aus Indien hier integrieren kann?

Woelki: Wir sind natürlich die eine große Universalkirche. Und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist es wichtig, dass wir einander im Blick behalten. Deshalb bin ich jetzt zum Beispiel in Indien. Die Kirche lebt vom gegenseitigen Austausch - nicht nur der Gedanken, sondern auch des Gebetes und auch der konkreten Hilfe. Das tun wir und das tun die indischen Diözesen und Ordensgemeinschaften zum Beispiel, indem sie Missionarinnen und Missionare zu uns schicken. Das ist das eine.

Das andere ist natürlich, dass wir bei uns wirklich mit einer Neuevangelisierung beginnen. Wir müssen lernen, unseren Glauben wieder zu beleben und wir müssen versuchen, ihn so zu leben, dass junge Menschen diesen Glauben wieder so ansprechend finden, dass sie bereit sind, dafür alles auf eine Karte zu setzen. Und es ist notwendig, dass wir auch wieder anfangen, um Berufungen zu beten. Es gibt hier keine Gemeinde, keine Diözese, die ich besucht habe, wo nicht jeden Tag um Berufungen gebetet wird. Das finde ich zum Beispiel bei uns nicht vor.

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie das Klima in Indien?

Woelki: Es ist ziemlich furchtbar. Wir hatten gerade einen Gottesdienst für eine Ordensfrau, die von Deutschland aus nach Indien gegangen ist und hier eine Gemeinschaft gebildet hat, die auch bei uns in Köln tätig war. Ich bin vollkommen durchgeschwitzt, es sind 30 Grad. Und hinzu kommt natürlich, dass Monsunzeit ist. Es ist vollkommen feucht und man ist völlig durchgeschwitzt und durchnässt, weil von jetzt auf gleich der Monsunregen mit einer ungebrochenen Stärke und einer ungeheuren Kraft kommt, die man sich so in Deutschland, wenn man das zuvor noch nicht erlebt hat, kaum vorstellen kann.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.


Besuch beim Priesterseminar in Trivandrum: Kardinal Woelki spricht mit den Dozenten vor Ort / © Nadim Ammann (Erzbistum Köln)
Besuch beim Priesterseminar in Trivandrum: Kardinal Woelki spricht mit den Dozenten vor Ort / © Nadim Ammann ( Erzbistum Köln )

In Calicut besucht Kardinal Woelki ein Altenheim, das von den Missionarinnen der Nächstenliebe geführt wird. / © Ammann (Erzbistum Köln)
In Calicut besucht Kardinal Woelki ein Altenheim, das von den Missionarinnen der Nächstenliebe geführt wird. / © Ammann ( Erzbistum Köln )

In der Kathedrale von Tellichery hält Kardinal Woelki eine Ansprache an die Gemeinde. / © Ammann (Erzbistum Köln)
In der Kathedrale von Tellichery hält Kardinal Woelki eine Ansprache an die Gemeinde. / © Ammann ( Erzbistum Köln )
Quelle:
DR