Wer kennt denn noch die tiefere Bedeutung von Pfingsten und Fronleichnam? Wem erschließen sich noch die einzelnen Elemente einer liturgischen Feier? Was bedeutet es im Kern, an einen Gott zu glauben, der am Kreuz gestorben und am dritten Tag von den Toten auferstanden ist?
Was für die einen selbstverständlicher Bestandteil ihrer religiösen Überzeugung ist, womit sie in Elternhaus und Schule in Kontakt gekommen sind und was zu ihrem Selbstverständnis als gläubiger Christ ganz wesentlich dazu gehört, weil Gott und das Feiern seiner Gegenwart im eigenen Leben fest verankert sind – das hat für viele Menschen heute keinerlei Bedeutung mehr. Bestenfalls haben sie noch davon gehört, weil es ihnen als bloßes Wissen zur Verfügung steht, irgendwann einmal als Lerninhalt vermittelt wurde. Doch als unmittelbare Erfahrbarkeit, die einen existenziell betrifft und die eigenen Emotionen berührt, ist ihnen die religiöse Botschaft dahinter nicht zugänglich. Zumal – warum auch immer – von klein an kein Einüben von Ritualen stattgefunden hat, keine der anschaulichen Bibelgeschichten mitten ins Herz gegangen ist.
Um dieses Spannungsverhältnis von – für die einen – Selbstverständlichem und – für andere – höchst Unselbstverständlichem bzw. die Gleichzeitigkeit von völlig Gegensätzlichem in einer und derselben Gesellschaft geht es in diesen Tagen bei der Pädagogischen Woche des Erzbistums unter dem Motto "GottFeiern in unselbstverständlichen Zeiten", die bereits zum 37. Mal stattfindet.
Was fehlt, wenn wir nichts mehr feiern?
Warum aber ist es überhaupt wichtig zu feiern, Gott zu feiern, den Alltag zu übersteigen und ausgewählte Zeiten oder Tage als etwas Besonderes zu zelebrieren? Und was fehlt, wenn wir es nicht oder nicht mehr tun? Wie kann man jungen Menschen wieder einen Zugang dazu vermitteln, innezuhalten und sich auf etwas zu besinnen, was außerhalb des täglichen Einerleis liegt und dabei zudem noch eine zutiefst befriedigende Antwort auf ihre Sinnsuche liefert? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigen sich etwa 1000 Pädagogen noch bis Freitag im Rahmen der von der Hauptabteilung Schule/Hochschule traditionell ausgerichteten Lehrerveranstaltung im Kölner Maternushaus.
"Was ist angenehmer als eine Selbstverständlichkeit?" Danach fragte auch Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki in der Eucharistiefeier, mit der er in jedem Jahr die Pädagogische Woche in St. Gereon eröffnet. Um dann zunächst Naheliegendes zu benennen: den "Tatort" am Sonntagabend, die Fußball-Bundesliga am Samstagnachmittag oder die tägliche Zeitungslektüre bei einer Tasse Kaffee am Morgen. Doch schon die gemeinsame Feier der Eucharistie in Kölns Innenstadtkirche bezeichnete er unter der Maßgabe lieb gewordener Gewohnheiten als "alles andere als selbstverständlich". Sich Zeit zu nehmen für Gott und seine Kirche gehöre für viele Menschen heutzutage nicht mehr zum Selbstverständlichen. Vielmehr liefen sie Gefahr, in ihren Ämtern und Aufgaben – ihren Selbstverständlichkeiten – so aufzugehen, "dass sie nicht mehr verstehen, wie sie wirklich angemessen auf Gottes Ruf antworten können", analysierte der Erzbischof.
Woelki: Christus frage jeden zuerst nach der Liebe
Am Beispiel des barmherzigen Samariters werde eindringlich vor Augen geführt, nahm Woelki Bezug auf das Tagesevangelium, "wie leichtfertig wir Menschen unseren eigenen Betriebsablauf für selbstverständlicher halten als den Anruf Gottes". Jesus zeige darin, "wie abstoßend unbarmherzig fromme Menschen, sogar offiziell fromme, werden können". Denn der vorbeigehende Priester und auch der Levit seien trotz ihrer Frömmigkeit blind. "Das Gesetz, der Gottesdienst, ihr religiöser Beruf ist ihnen in ihrer Selbstverständlichkeit zum undurchsichtigen Zaun geworden. Sie erblicken Gott nicht mehr genug, um zu erkennen, dass es immer ein Gott der Menschen ist, ein barmherziger, ein sich erbarmender Gott. Sie sind fromm, aber sie sind ohne Liebe", erklärte der Kardinal.
Doch Christus frage jeden immer zuerst nach der Liebe. "Er fragt danach, was die Schranken der Selbstverständlichkeiten durchbrechen lässt, die uns an der Liebe hindern." Und er mahne dazu, das zu tun, was selbstverständlich ist – unabhängig davon, was gerade als selbstverständlich angesagt sei.
Der Hinordnung zu den Menschen Priorität einräumen
Wenn es darum gehe, das ewige Leben gewinnen zu wollen, reiche es nicht aus, sich an die Vorschriften des Gesetzes zu halten, legte Woelki das Gleichnis weiter aus. Vielmehr laute der Auftrag Jesu: Durch die selbstvergessene Liebe erfüllt ihr das Gesetz. Damit weise Jesus einen Weg, der über das Gesetz hinausgehe und auch heute noch eine Herausforderung sei, "nämlich Gesetzen und Selbstverständlichkeiten nicht so unbedingt letzte Priorität einzuräumen, sondern der Hinordnung zu den Menschen".
Nur in der Liebe zeige sich das wesentlich Christliche. Als Gott die Menschheit daliegen gesehen habe, habe er nicht auf sein Gott-Sein geachtet, sondern nur die Not gesehen, betonte der Erzbischof. "Er ließ sich dafür verachten, um uns aufzuheben. Er hat uns mehr geschenkt, als er musste: sich selbst. Das ist maßlose Liebe. Das ist Gott. Und deshalb können wir ihn auch feiern – selbst in unselbstverständlichen Zeiten."