domradio.de: Herr Kardinal, Heilig Abend – ist das ein Tag wo Sie langsam runterfahren? Oder müssen Sie heute noch einen Termin-Marathon bewältigen?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Kölner Erzbischof): Sicher ist das auch ein Tag, wo man so langsam runterfahren kann. Ich habe natürlich jetzt noch Interviews zu geben, besuche ein paar ältere und kranke Menschen. Und ich treffe natürlich noch die Vorbereitung für Gottesdienste, die in der Nacht und in den kommenden Tagen anstehen.
domradio.de: Gibt es bei Ihnen ein Weihnachtsessen?
Woelki: Bei uns zu Hause in der Kinder- und Jugendzeit war das natürlich an Weihnachten die Gans. Der Heilige Abend war dagegen eher einfach gehalten, es gab zum Beispiel Toast. Jetzt bei mir ist das alles recht schlicht und einfach. Morgenmittag werde ich mit meiner Mutter nur ein bisschen Suppe essen. Nachmittags kommen meine Geschwister, es gibt Kaffee und Kuchen. Am Abend haben wir das eigentliche Weihnachtsessen geplant.
domradio.de: Der Terror ist in diesem Jahr ganz nah an Weihnachten ran gerückt - erst die schlimmen Bilder aus Aleppo. Dann die Toten des Terrorangriffs von Berlin. Da fragen sich manche: Wie können wir angesichts von so viel Leid und Unheil eigentlich guten Gewissens Weihnachten feiern? Was sagen Sie dazu?
Woelki: Also zunächst einmal denke ich, dass wir sagen müssen, dass wir bei den Opfern von Berlin sind. Dass wir ihnen unsere Gebete schenken und wir auch den Freunden und den Familien der Opfer nahe sein wollen und ihnen unsere Solidarität schenken wollen. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass wir uns – glaube ich – davor hüten müssen, Weihnachten als eine reine Idylle zu sehen.
domradio.de: Idylle – also keine Engel im Lichtglanz und kein Gloriagesang?
Woelki: Das hat natürlich das Bürgertum in den vergangenen Jahrhunderten daraus gemacht. Weihnachten ist ja durchaus ein Fest, dass durchaus in eine nicht einfache und eher prekäre Weltsituation hineinkommt.
Jesus wird nicht irgendwo in Jerusalem geboren, sondern draußen auf dem Feld in einem Stall. Er wird nicht in schöne Tücher gekleidet. Es war nirgendwo Platz für ihn. Die Hirten gehören eigentlich - so würde man das wahrscheinlich neudeutsch sagen - zu den Abgehängten unserer Gesellschaft. Sie waren außen vor. Sie waren aber die ersten die Jesus begegneten. Die Römer waren eine Besatzungsmacht unter der Israel und Judäa damals auch gelitten hat. Das Kind wird bald durch Herodes mit seinen Leben bedroht. Und es muss mit seinen Eltern nach Ägypten fliehen.
domradio.de: Keine heile Situation?
Woelki: Keine heile Situation - ähnlich wie heute. Und deshalb ist die Weihnachtsbotschaft klar. "Gott ist solidarisch mit den Menschen. Er wird Mensch. Der Schöpfer wird selber geschöpft. Und damit nimmt er jeden Menschen an - unabhängig von seiner Hautfarbe oder seinem sozialen Status. Der Mensch ist das Ebenbild Gottes. Es ist nicht möglich, sich einen Menschen zum Feind zu machen. Es ist die Liebe, die uns an Weihnachten geschenkt wird, die Liebe mit der Gott seinen Sohn in diese Welt hinträgt. Deshalb regiert nicht der Hass die Welt, sondern die Liebe. Nicht die Endsolidarisierung hat Zukunft, sondern die Solidarität und die Gemeinschaft miteinander.
domradio.de: Viele sind ja in der Adventszeit im Stress, haben noch viel zu erledigen. Haben Sie einen Tipp, wie man zur Ruhe kommen kann?
Woelki: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man für sich selber versucht, sich eine stille Ecke zu nehmen, still und ruhig zu werden. Vielleicht kann man sich auch einfach die heilige Schrift nehmen und das Weihnachtsevangelium lesen. Es ein wenig durchdenken. Wenn wir es dann in der Heiligen Nacht hören, dann kann es in der Christmette noch mal ganz anders zu uns sprechen.
Das Interview führte Silvia Ochlast.