KNA: Herr Kardinal Woelki, wie bewerten Sie die Arbeit der Caritas in Jordanien und im Libanon?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Ich konnte bei den Besuchen zahlreicher Hilfsprojekte, die unser Erzbistum mitfinanziert, feststellen: Hier ist jeder Cent gut angelegt. Es ist erstaunlich, wie effizient im Nahen Osten den Notleidenden geholfen wird. Ganz egal, wo die Flüchtlinge herkommen oder welche Religion sie haben - die Caritas hilft hier jedem.
Besonders überrascht hat mich auch die hohe Zahl der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die gemeinsam mit den Caritas-Profis bewundernswerte Arbeit leisten. Wenn ich nur an Schulen für die gestrandeten Kinder denke: Bei uns würde so eine Schule vermutlich als unzumutbar angesehen werden. Aber hier lernen die Flüchtlingskinder freiwillig und gerne in engen, ungeheizten Klassenräumen, auch weil die ehrenamtlichen Lehrer selber Spaß am Unterricht haben.
KNA: Wie bewerten Sie die Lage in beiden Ländern mit Blick auf die deutsche Flüchtlingspolitik?
Woelki: Wer sich hier vor Ort selber vom Not und Elend der Millionen gestrandeten Menschen aus Syrien und dem Irak ein Bild gemacht hat, der kann eigentlich bei uns zu Hause keine Obergrenzen fordern oder sich gegen Familiennachzug aussprechen. Kleine, im Vergleich zu Deutschland bitterarme Länder wie der Libanon und Jordanien haben jeweils mehr als ein Drittel ihrer eigenen Einwohnerzahl bei sich aufgenommen. Das bedeutet enorme Kraftanstrengungen, aber auch mögliche neue Spannungen im Libanon und in Jordanien.
Mir ist noch deutlicher geworden, dass wir die Probleme hier nicht einfach verdrängen dürfen. Flucht, Not, Elend und Vertreibung wählt kein Mensch freiwillig. Wir können und wir müssen noch viel mehr machen. Wer in die weinenden Augen der Menschen sieht, die alles verloren haben, wer ihre flehenden Hilferufe hört, der bekommt selber einen ganz klaren Blick und merkt schnell, was im menschlichen Zusammenleben wirklich wichtig und richtig ist.
KNA: Was hat Sie bei Ihrem Besuch in den Schulen und Flüchtlingseinrichtungen besonders ermutigt?
Woelki: Überall habe ich engagierte Helferinnen und Helfer getroffen, die anpacken, so gut es eben geht. Menschen, die nicht lange reden, sondern Not sehen und handeln. Menschen, die ein offenes Herz und ihren Mitmenschen im Blick haben. Gerade diese engagierten Christen machen mir Mut, denn sie zeigen mir: Auch hier im Nahen Osten gibt es nicht nur Krieg, Terror, Armut und Leid - sondern Menschen, die Barmherzigkeit jeden Tag in viel Freude und Begeisterung leben.