Kurz vor dem Deutschen Katholikentag in Erfurt hat die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, die Christen in Deutschland zum Engagement für Demokratie und für Europa aufgerufen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erklärte bei der ZdK-Vollversammlung am Dienstag in der thüringischen Landeshauptstadt, die Kirchen hätten immer noch die Kraft, in einer säkularen Gesellschaft positiv zu wirken.
Stetter-Karp mahnte: "Ich nehme mit großer Sorge wahr, dass die freiheitliche Grundordnung bei uns in Gefahr ist." Demokratie und freie Wahlen seien keine Selbstverständlichkeit mehr und müssten geschützt werden. Mit Blick auf die Wahlerfolge rechter Parteien sagte sie: "Wir halten nicht still, wenn die Axt an die Grundfesten unseres Zusammenlebens gelegt und die menschliche Würde relativiert wird."
Handlungsfähigkeit der EU
Kurz vor den Europawahlen warb Stetter-Karp dafür, dass Brüssel Staaten, die der EU beitreten wollten, die ausgestreckte Hand reiche, um eine Annäherung bis hin zu einer Vollmitgliedschaft zu ermöglichen. Zuvor sei es allerdings dringend nötig, die Handlungsfähigkeit der EU strukturell zu stärken.
In diesem Zusammenhang würdigte die ZdK-Präsidentin den Einsatz der Zivilgesellschaft in Georgien gegen das Gesetz gegen "ausländische Einflussnahme", mit dem die Regierung in Tiflis versuche, zivilgesellschaftliche Spielräume einzuschränken. Die Menschen riskierten teilweise ihr Leben für Freiheit und Demokratie.
Mit Blick auf den Deutschen Katholikentag, zu dem von Mittwoch bis Sonntag rund 20.000 Teilnehmer in Erfurt erwartet werden, sagte die ZdK-Präsidentin, die Minderheitensituation der Katholiken in Ostdeutschland sei eine Blaupause für die Kirche in der Bundesrepublik. Dass es den ostdeutschen Katholiken gelinge, als sehr kleine Minderheit und mit wenig Ressourcen engagiert ihren Glauben zu leben und die Gesellschaft mitzugestalten, sei "ein Bild für die Zukunft der Kirche in ganz Deutschland, auf das wir uns alle einstellen müssen".
Kritik an der Ampel
In ihrem Lagebericht übte Stetter-Karp deutliche Kritik an der Ampel-Koalition. Angesichts der Versuche von Russland und China, auch im Globalen Süden ihren Einfluss auszubauen, seien Kürzungen bei der Entwicklungspolitik "hochproblematisch", sagte sie unter dem Applaus der Vollversammlung. "Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik."
Deutliche Kritik übte Stetter-Karp an der Sozialpolitik der Regierung: "Es ist sozialpolitisch ein Desaster, dass es der Bundesregierung nicht gelingt, die geplanten und dringenden Reformprojekte, allen voran die Kindergrundsicherung, wirksam voranzutreiben." Zukunftsrelevant wäre es auch, dem derzeit alles bremsenden Fach- und Arbeitskräftemangel zu begegnen. Vor allem junge Familien erlebten gerade, was es heiße, wenn hunderttausende Erzieherinnen, Erzieher und pädagogische Fachkräfte fehlten.
Kritik äußerte Stetter-Karp auch an der Klimapolitik und dem Lieferkettengesetz. Vor allem die FDP habe dazu beigetragen, dass das europäische Lieferkettengesetz in vielerlei Hinsicht weit hinter dem zurückbleibe, wofür sich das ZdK eingesetzt habe. Auch beim Klimaschutz gebe es massive Verwässerungen und ausbleibende Fortschritte.
Flüchtlingsrechtliche Standards
Mit Blick auf die Einführung des neuen gemeinsamen Europäischen Asylsystems mit verpflichtenden Verfahren an den Außengrenzen sagte Stetter-Karp, es komme darauf an, ob menschen- und flüchtlingsrechtliche Standards gewahrt blieben, ob Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung bestehe und die Unterbringung an den Außengrenzen menschenwürdig sei.
Die ZdK-Präsidentin warb für den Fortbestand der Gesetzgebung zur Abtreibung. Sie wandte sich damit gegen Forderungen einer Regierungskommission, dass Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft legalisiert werden sollten. Die aktuelle Regelung stelle einen guten, gesellschaftlichen Kompromiss dar, sagte die ZdK-Präsidentin. "Denn es geht um Schutz und nicht um Strafe, wie viele meinen." Sie halte es für gefährlich, wenn an diesem Kompromiss ohne Not gerüttelt werde.