Katholische Elternschaft bekämpft Antisemitismus an Schulen

Für das Thema sensibilisieren

Mehr als 5.000 antisemitische Straftaten haben die Behörden im Jahr 2024 laut einer vorläufigen Statistik registriert. Davon finden immer mehr in Schulen statt. Die Katholische Elternschaft Deutschlands will zum Thema sensibilisieren.

Autor/in:
Heike Sicconi
Leerer Klassenraum / © Yupa Watchanakit (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was sind das für antisemitische Vorfälle an Schulen, die Eltern Sorgen bereiten? Haben Sie ein paar Beispiele? 

Dr. Winfried Verburg (Theologischer Berater der Katholischen Elternschaft Deutschland): Ich weiß gar nicht, ob den Eltern diese Vorfälle Sorge bereiten. Ich vermute mal, viele dieser Vorfälle werden gar nicht im Elternhaus ankommen. Sie sind aber in den Schulen virulent und die Schülerinnen und Schüler erfahren sie und wissen darum. 

Das sind einfach auf dem Schulhof solche Schimpfwörter wie "du Jude" oder aber auch tatsächliche Angriffe. Vor allen Dingen nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ist das deutlich aggressiver geworden. Aus Sicht des Vorstandes wären wir schon sehr zufrieden, wenn die Eltern, die dort hinkommen, also die Delegierten, die ja auch wiederum Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sind, sensibilisiert sind für das Thema, wo Antisemitismus offen oder versteckt zutage tritt.

Symbolbild Antisemitismus: Eine schmutzige Kippa liegt auf nassem Asphalt / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Antisemitismus: Eine schmutzige Kippa liegt auf nassem Asphalt / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )

Das kann in sehr unterschiedlichen Kontexten sein, zum Beispiel, dass man mal guckt, was sich die Kinder in den Sozialen Medien in den Kanälen anschauen, welche Musik sie hören und welche versteckten Codes in dieser Musik vorkommen, die antisemitisch sind. Die muss man aber erst mal knacken, um das überhaupt wahrzunehmen. Darum geht es bei diesem Bundeskongress, die Delegiertinnen und Delegierten da zu sensibilisieren. 

Winfried Verburg

"Das erschreckende Ergebnis ist: Antisemitismus an Schulen ist normal."

DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich denn den Anstieg dieser antisemitischen Straftaten? 

Verburg: Ich glaube gar nicht, dass es vor dem Terrorangriff der Hamas so viel weniger war. Meine Erfahrung war, dass es schon vorher viele jüdische Eltern gab, die darauf verzichteten, einer öffentlichen Schule mitzuteilen, dass sie und ihre Kinder jüdisch sind, weil sie Angst hatten. Das ist keine Erfahrung oder keine Neuerung seit dem 7. Oktober 2023. Seitdem ist natürlich der Antisemitismus in unserer Gesellschaft offenbarer geworden, und wir nehmen ihn auch mehr wahr. 

Das ist ja auch eine Erkenntnis der Studie von Julia Bernstein (Soziologin, die zum Thema Antisemitismus forscht, Anm. d. Red.) aus dem Jahr 2020, wo sie über 200 jüdische Mitglieder von Schulgemeinschaften, Eltern, Lehrkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter sowie Schülerinnen und Schüler befragt hat. 

Das erschreckende Ergebnis ist: Antisemitismus an Schulen ist normal. Es ist Normalität aus jüdischer Sicht. Aus Sicht der nichtjüdischen Mitglieder der Schulgemeinschaft wird das oft nicht wahrgenommen. Es wird sogar dann, wenn es vorkommt, bagatellisiert oder dethematisiert, weil man ja die Schule nicht in einem schlechten Licht darstellen möchte. 

DOMRADIO.DE: Was bedeutet das dann für die Schüler und Schülerinnen, die davon betroffen sind? 

Verburg: Das bedeutet letztendlich, dass jüdische Schülerinnen und Schüler exkludiert werden. Inklusion bedeutet ja, dass alle Schülerinnen und Schüler trotz ihrer Unterschiede Anteil an der Bildung haben. Sie gehen dann aus dem Feld. 

Der Zulauf von Schulen in jüdischer Trägerschaft ist sicherlich eine Folge davon, weil man sich an öffentlichen Schulen nicht mehr sicher fühlt. Der Rückzug geht teilweise bis zum Wegzug aus Deutschland. 

Winfried Verburg

"Antisemitismus ist eine, vielleicht die älteste Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit."

DOMRADIO.DE: Sie gehen so weit, dass Sie sagen, dass durch Antisemitismus an den Schulen nicht nur Schüler ausgegrenzt werden, sondern er gefährdet auch unsere Demokratie. Inwiefern ist das der Fall? 

Verburg: Antisemitismus ist eine, vielleicht die älteste Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Da wird Menschen aufgrund eines Merkmals, hier des Merkmals Religion, die Gleichberechtigung gegenüber anderen Bürgerinnen und Bürger des Landes abgesprochen. 

Von daher ist der Antisemitismus auch nach Ansicht des Bildungsministeriums in Nordrhein-Westfalen ein Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung. 

DOMRADIO.DE: Nun wird das Thema beim (Link ist extern)Bundeskongress der Katholischen Elternschaft betrachtet. Warum empfinden Sie die Bekämpfung von Antisemitismus auch als einen besonderen Auftrag für Christen? 

Verburg: Es ist ein Grundauftrag für jede Bürgerin und jeden Bürger in unserem Land, solchen antisemitischen Denkweisen und Handlungen entgegenzutreten. Für Christinnen und Christen ist das aber noch mal eine zusätzliche Aufgabe oder Herausforderung und Auftrag zugleich. 

Vor gut 35 Jahren hat Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch der Synagoge in Rom gesagt, die Jüdinnen und Juden seien unsere älteren Brüder und Schwestern. Aufgrund der Aussage von "Nostra aetate" vom Zweiten Vatikanischen Konzil kann es uns als Christinnen und Christen nicht egal sein, wie es unseren älteren Geschwistern geht. 

Das Interview führte Heike Sicconi.

Katholische Elternschaft Deutschlands

Die KED ist ein Zusammenschluss von katholischen Eltern und Interessierten. Der Bundesverband setzt sich auf der Basis seines christlichen Menschenbildes für eine chancengerechte, ganzheitliche und wertorientierte Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen ein. Im Zentrum der KED-Arbeit stehen alle Bildungseinrichtungen in katholischer und öffentlicher Trägerschaft, von den Kindertageseinrichtungen bis zu den Schulen. 2014 feierte die Katholische Elternschaft Deutschlands ihr 60-jähriges Bestehen.

(Quelle: www.katholische-elternschaft.de)

Eltern mit Kinderwagen / © LightField Studios (shutterstock)
Quelle:
DR

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