DOMRADIO.DE: Rund 15 Prozent der Deutschen haben ihren Lebensmittelpunkt auf dem Land, in Orten unter 5.000 Einwohnern. Frau Locklair, Sie sind eine davon. Was heißt das für Sie? Sind Sie auf das Auto angewiesen oder kommen Sie mit Bus und Bahn aus?
Bettina Locklair (Geschäftsführerin der Katholischen Landvolkbewegung Deutschland): Ich bin eindeutig auf das Auto angewiesen. Bei mir im Ort gibt es überhaupt nichts an Infrastruktur für das tägliche Leben. Wenn ich irgendwo einkaufen gehen möchte, muss ich gut zehn Kilometer fahren. Da fährt auch ein Bus und ich habe das große Glück, dass er stündlich fährt.
Wir wohnen in der Nähe des Nationalparks Unteres Odertal und dort fährt zusätzlich der sogenannte "BieberBus", das ist eigentlich ein touristisches Angebot. Aber ohne Auto würde es überhaupt nicht funktionieren.
DOMRADIO.DE: Hat Ihnen oder Ihrem Umfeld das 9-Euro-Ticket wirklich etwas gebracht?
Locklair: Im Alltag nicht. Wenn ich beruflich unterwegs war, fand ich es großartig, dass ich mir in einzelnen Städten nicht überlegen musste, ob ich noch ein Ticket für den Bus brauche. Vielmehr hatte ich dieses 9-Euro-Ticket und gut war es.
Das habe ich wirklich als tolle Sache empfunden und ich wünsche mir, dass das Ticket noch weiter zur Verfügung steht. Hier draußen, wo ich wohne, bringt es wirklich so gut wie gar nichts.
DOMRADIO.DE: Christian Lindner bringt das Argument auch. Er sagt: "Die Menschen auf dem Land, die keinen Bahnhof in der Nähe haben und auf das Auto angewiesen sind, würden den günstigen Nahverkehr subventionieren. Das halte ich für nicht fair". Wie schätzen Sie die Aussage ein?
Locklair: Die Frage ist immer, wofür man das Ticket haben will. Ich habe es genutzt, wenn ich vom nächstgrößeren Ort, das ist Angermünde, mit der Bahn nach Berlin gefahren bin und von da aus dann erst mit einem ICE oder IC weitergefahren bin. Das machen, glaube ich, sehr viele Menschen so, auch Pendlerinnen und Pendler. Für die ist das Ticket großartig.
Da ist es auch nicht so wild, dass ich mit dem Auto zum Bahnhof fahren muss. Ich denke, für diese Menschengruppe ist es wirklich toll. Ich habe auch erlebt, dass manche dann gesagt haben: "Ach, dann fahren wir doch mal mit dem Zug nach Berlin und gehen einen Nachmittag einkaufen".
Das kenne ich auch aus Bad Honnef oder Rhöndorf. Von dort aus ist man schnell in Köln oder Bonn. Das macht man dann eher mal mit dem Zug oder mit der Straßenbahn und nicht mit dem Auto.
Dafür finde ich, ist es eine tolle Sache, letztendlich auch für die Menschen im ländlichen Raum.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade die Pendlerinnen und Pendler angesprochen. Viele leben auf dem Land. Da sind natürlich auch die Häuser und die Mieten billiger, aber gearbeitet wird in der nächstgrößeren Stadt. Das 9-Euro-Ticket lohnt sich bei manchen Pendlern schon bei einer Fahrt. Werden die Ihrer Meinung nach in dieser Debatte berücksichtigt?
Locklair: Wenig. Ich habe bei meinen Fahrten mit der Regionalbahn erlebt, dass viele Menschen das 9-Euro-Ticket genutzt haben, um Ausflüge zu machen. Bei mir liegt die Bahnlinie, die nach Binz an die Ostsee verläuft. Da können Sie sich vorstellen, dass die Waggons ab Donnerstag Spätnachmittag mehr als überfüllt waren.
Das ist für Pendlerinnen und Pendler nicht so großartig, wenn sie dann nur noch stehend in stark gefüllten Bahnen reisen müssen, in denen teilweise die Toiletten aufgrund von Überlastung defekt sind. Dabei dürfen wir auch Corona nicht vergessen.
Das ist jedoch kein Problem des 9-Euro-Tickets, sondern das ist ein Problem der Infrastruktur, der Deutschen Bahn und der Verkehrsunternehmen und vielleicht auch der etwas sehr überraschenden Ankündigung und Umsetzung des Tickets.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sich denn als Unterstützung für das Landvolk wünschen? Wo wäre das Geld Ihrer Meinung nach gut angelegt?
Locklair: Ich fände es gut, wenn häufiger kleinere Busse fahren würden. Ich glaube, eine stündliche Anbindung wäre gut. Der Kostenfaktor ist dabei das Personal und nicht unbedingt der Bus als solcher.
Die Mobilität wird gebraucht, um Geschäfte des täglichen Bedarfs zu erledigen, zum Beispiel um sich Lebensmittel zu organisieren. Ich brauche sie auch, um zum Arzt zu kommen und da braucht es eine andere Streckenführung.
Eine größere Dichte von Ärztinnen und Ärzten auf dem Land ist ebenfalls von Nöten, denn dahin zu kommen, ist manchmal extrem schwer. Andernfalls muss eine Mobilität entwickelt werden, sodass die Dinge des täglichen Lebens wieder zurück in die Dörfer kommen.
Da könnte ich mir schon vorstellen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt. Sei es der Milchwagen oder der Lieferdienst von Supermärkten. Ich denke, es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu verändern.
Das Interview führte Michelle Olion.