domradio.de: Was sagt denn der Katechismus über die Todesstrafe?
Jan Hendrik Stens (Theologie-Redaktion): Wer in der Ausgabe von 1992 blättert, der wird in dem Kapitel fündig, das das fünfte Gebot "Du sollst nicht morden" behandelt. Es geht dabei einmal um die Achtung vor dem menschlichen Leben, dann aber auch um die Frage der Notwehr und der Selbstverteidigung. Unter Nummer 2266 anerkennt die Kirche Rechtmäßigkeit und Pflicht der gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt, zum Schutz des Gemeinwohls angemessene Strafen zu verhängen, "ohne in schwerwiegenden Fällen die Todesstrafe auszuschließen". Etwas weiter heißt es dann aber auch, dass unblutige Mittel – wenn sie denn ausreichend sind – zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung angemessener seien. Der damalige Papst Johannes Paul II. hatte laut Aussage von Kardinal Schönborn wohl eine entschiedenere Ablehnung gewünscht, dann aber die Formulierung der Katechismus-Kommission akzeptiert. In der späteren Ausgabe sind diese Stellen schließlich überarbeitet worden und binden die Anwendung der Todesstrafe an enge Vorgaben.
domradio.de: Der Katechismus wurde Anfang der neunziger Jahre herausgegeben. Warum hat sich die Kirche da noch nicht eindeutiger gegen die Todesstrafe positioniert?
Stens: Die Kirche hat – wie auch die Gesellschaft insgesamt – einen Lernprozess durchgemacht. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Todesstrafe auch bei uns in Mittel- und Westeuropa noch nicht lange her ist. Vor 40 Jahren geschahen in Frankreich die letzten Hinrichtungen durch die Guillotine, also wie zur Zeit der Französischen Revolution, nur nicht mehr öffentlich. Im Kirchenstaat wurde das Todesurteil kurz vor dessen Auflösung letztmals 1868 vollstreckt. Für den neu errichteten Vatikanstaat war das 1929 geltende italienische Strafrecht maßgeblich, das auch die Todesstrafe vorsah, nämlich für Attentate auf Staatsoberhäupter wie den Papst und für die Anzettelung von Aufständen. Die Todesstrafe wurde aber nie vollstreckt und Papst Paul VI. ließ das nie angewandte Gesetz 1969 streichen.
domradio.de: Wir wird denn die Todesstrafe theologisch und ethisch innerhalb der Kirche diskutiert?
Stens: Auch hier hat es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder unterschiedliche Wendungen gegeben. Letztendlich wird aber die Todesstrafe auch im Hinblick auf die Gefahr eines nicht mehr rückgängig zu machenden Justizirrtums als "ethisch nicht zu rechtfertigen" beurteilt, wie im Lexikon für Theologie und Kirche nachzulesen ist. Insofern setzt Papst Franziskus diese theologisch-ethische Linie fort, wenn er sagt, dass keine noch so schwere Straftat eine Hinrichtung rechtfertige, weil diese die Unverletzlichkeit und Würde der Person angreife.
domradio.de: Das sehen aber wohl nicht alle Katholiken so, oder?
Stens: Nein, es gibt Länder mit katholischen Einwohnern, wo die Todesstrafe von der Mehrheit der Bevölkerung - und darunter sind gewiss auch Katholiken - befürwortet wird. Hier sind einmal die USA zu nennen, wo trotz Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in den meisten Bundesstaaten die Todesstrafe Anwendung findet. Aber auch in Polen konnte 2004 ein Gesetzesentwurf rechtskonservativer Parteien zur Wiedereinführung der Todesstrafe in besonders schweren Fällen nur mit knapper Mehrheit vom Parlament abgelehnt werden. Das hätte auch Schwierigkeiten mit geltendem EU-Recht gegeben, da innerhalb der Staaten-Gemeinschaft die Todesstrafe verboten ist. Dennoch gibt es immer wieder die Forderung nach ihrer Wiedereinführung im Zusammenhang mit Sexualverbrechen, Terroranschlägen oder politischen Morden.
domradio.de: Da gibt es noch das Gerücht, dass die Verfassung des Landes Hessen auch noch die Todesstrafe beinhaltet. Stimmt das?
Stens: Das stimmt. Laut Artikel 21 der Hessischen Landesverfassung kann ein Mensch "bei besonders schweren Verbrechen" zum Tode verurteilt werden. Der Artikel ist aber unwirksam, weil laut Grundgesetz die Todesstrafe in Deutschland abgeschafft ist. Und das Grundgesetz steht über den Landesgesetzen. Und auch das EU-Recht, das über den Gesetzen der einzelnen Nationen steht, verbietet die Todesstrafe. Die Hessische Landesverfassung ist aber älter als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Als letzteres 1949 in Kraft trat, wurden dadurch ähnliche Passagen in anderen Landesverfassungen ungültig. In Bayern wurde der entsprechende Artikel erst 1998 nach einem Volksentscheid gestrichen. In Hessen plant man ähnliches im kommenden Jahr.
Das Gespräch führte Silvia Ochlast.