Der Tempelberg - für Muslime der Felsendom - die Al-Aksa-Moschee und die Klagemauer: Die Orte, die evangelische und katholische Kirchenführer aus Deutschland am Donnerstag gemeinsam besuchten, sind gemeinsames Erbe für Juden und Muslime. Zugleich sind sie Sinnbild für deren konfliktträchtigen, oft hasserfüllten Umgang miteinander.
Aha-Erlebnis
Für die je neun Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurden sie nun zu einem Aha-Erlebnis. Sie begriffen besser denn je, wie viel die beiden Konfessionen in Deutschland auf ihrem 500 Jahre langen Weg von Spaltung, schrecklichen Kriegen und später Versöhnung erreicht haben - und wie sehr sich das von dem erschreckenden Zustand unterscheidet, in dem andere, noch immer offen verfeindete Glaubensgemeinschaften, einander gegenüberstehen.
Eigentlich stand der fünfte Reisetag der gemeinsamen Pilgerreise unter dem biblischen Leitwort vom "Frieden Gottes, der alles Verstehen übersteigt". Tatsächlich führte er die Delegation mit dem Besuch des Tempelbergs an den Brennpunkt des israelisch-palästinensischen Konflikts schlechthin: An jenen Ort, an dem deutlich wird, wie weit Jerusalem von diesem Frieden noch entfernt ist.
Die hochrangigen Pilger aus Deutschland sahen, wie jüdische Israelis unter massiver Polizeibewachung und begleitet von misstrauischen Blicken der Muslime am Laubhüttenfest das umstrittene Gelände zwischen Felsendom und Al-Aksa-Moschee besuchten. Und sie spürten, was es heißt, wenn der entspannte Dialog über das gemeinsame religiöse Erbe komplett fehlt in einer Stadt, die Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen heilig ist.
Zahlreiche religiöse Überlieferungen von der Erschaffung Adams und Evas, der Opferung Isaaks bis hin zur Himmelsreise Prophet Mohammeds verknüpfen sich mit dem Ort, auf dem einst der jüdische Tempel stand. Mittlerweile erhebt sich dort die drittheiligste Stätte des Islam. An der Frage, wer auf dem gut 14 Hektar großen Areal die Deutungshoheit hat, entzündeten sich bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder gewalttätige Konflikte.
Konträre Sichtweisen der Gastgeber
Die deutschen Bischöfe der beiden erst seit dem 20. Jahrhundert weitgehend versöhnten christlichen Konfessionen trafen bei ihrem Besuch auf völlig konträre Sichtweisen ihrer Gastgeber. Vertreter der islamischen Wakf-Behörde unterstrichen ihre anti-israelische Sicht auf die politische und religiöse Geschichte der Stadt. Dann hörten sie einen Rabbiner und seine, die jüdische, Vision. Sie hörten zu, "weil es", so der DBK-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx, "wichtig ist, zuzuhören und zu lernen, was dem anderen heilig ist". Die krassen Unterschiede in den beiden Geschichtserzählungen waren ebenso unübersehbar wie der offensichtlich noch sehr unterentwickelte Friedenswille in der Region.
Menschen zu treffen, die "hundert Meter voneinander arbeiten und keinen Kontakt untereinander" haben, habe bei den bischöflichen Pilgern "tiefe Eindrücke von Schmerz, Misstrauen und Konflikt" hinterlassen, formulierte es der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Als "verstörend" empfand Irmgard Schwaetzer, Präses der EKD-Synode, die Erfahrung fehlender Friedensbereitschaft an einem der sensibelsten Orte in Nahost.
Vorbild Ökumene
Belehren wollten sie nicht, bekräftigten die deutschen Bischöfe beider Konfessionen. Stattdessen wolle man ein Zeichen der Hoffnung setzen: "Wir können den Menschen zeigen", formulierte es Landesbischof Bedford-Strohm, "dass aufeinander Hören und Zuhören, wie wir es in den letzten 500 Jahren mühsam gelernt haben, der Weg ist, um zu Frieden und Versöhnung zu kommen - unter den Konfessionen, aber auch in der Welt". "Denen, die in Konflikten leben, zu sagen: Es geht. Es gibt einen Weg zum Frieden": In diesem Zeugnis liegt nach Worten von Kardinal Marx die besondere Herausforderung der deutschen Delegation.
In der vertieften Begegnung untereinander sowie mit Muslimen und Juden im Heiligen Land sahen die deutschen Bischöfe nicht nur "die Welt mit den Augen des anderen", wie es Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm wiederholt formulierten. Im Spiegel der Spaltungen der anderen, so scheint es, schärfte sich auf unerwartete Weise der Blick für das seit knapp zwei Generationen gewachsene Verbindende zwischen Katholiken und Protestanten in Deutschland. Diese Erkenntnis, so Präses Irmgard Schwaetzer, gebe zugleich "den Mut, das noch Trennende anzugehen".
Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem
Am Freitag haben Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche ihren Besuch im Heiligen Land fortgesetzt und in Jerusalem der Opfer des Holocaust gedacht. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, legten gemeinsam einen Kranz nieder und entfachten die Ewige Flamme. Zuvor hatte die Delegation das Holocaust-Museum besichtigt.
"An keiner anderen Stätte sind wir so sprachlos wie hier", sagte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode in seiner Ansprache in der Gedenkstätte. "Und doch können wir gerade hier nicht schweigen über die Verbrechen, damit sie nie wieder geschehen." Nie wieder dürften Namen getilgt werden. Auch dürfe es nicht sein, dass ein Name wie "Tempelberg" nicht mehr genannt werde. "Bitten wir Gott, dass hier der Wille zu einem gerechten Frieden wachse."
Die Gedenkstätte Yad Vashem (hebräisch für "Denkmal und Name") erinnert an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden. Sie wurde nach einem Beschluss des israelischen Parlaments von 1953 eingerichtet. Juden und Nichtjuden gedenken in der am Westrand Jerusalems gelegenen Anlage der rund sechs Millionen Toten der Schoah. Durchschnittlich kommen pro Tag 3.000 Besucher.
Gottesdienst in der Grabeskirche
Noch am späten Donnerstag feierten die katholischen und evangelischen Bischöfe und Geistliche aus Deutschland zum Abschkuss des Reisetages in der Grabeskirche in Jerusalem noch einen Gottesdienst. Der Freiburger Alt-Erzbischof Robert Zollitsch rief dabei in seiner Predigt zu Versöhnung der Christen auf.
Mit Blick auf die zurückliegenden 500 Jahre seit Beginn der Reformation stelle sich am Grab Jesu die Frage: "Wie haben wir Christen es fertiggebracht, uns so zu zerstreiten und zu spalten? Wie haben wir es fertiggebracht - angeblich um unseres christlichen Glaubens willen - Kriege gegeneinander zu führen?", so Zollitsch. Gerade angesichts des bevorstehenden Reformationsgedenkens, hätten Christen den Auftrag zu Versöhnung.
Zwar seien in der Ökumene nicht alle Probleme aus dem Weg geräumt; aber "wir bemühen uns doch um die Heilung und Vernarbung der Wunden". Katholische und evangelische Kirche stünden vor einer Situation, in der Neues entstehen könne, "indem wir in einer 'Ökumene der Gaben' zuerst das Gemeinsame sehen und all das, worin wir uns gegenseitig beschenken und bereichern können". Zollitsch hatte in seiner Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) 2013 die Idee für die gemeinsame Pilgerreise aus Anlass des Reformationsgedenkens entwickelt.
Schuld und Sühne seien keine Bagatellen, betonte der Erzbischof unter Verweis auf aktuelle Konfliktherde weltweit, etwa in Syrien und im Irak. Was dort geschehe, offenbare "ein Maß an Sünde und Schuld, das alles menschliche Begreifen übersteigt".
Der Gottesdienst fand im römisch-katholischen Teil der Grabeskirche statt, der von den derzeitigen Restaurierungsarbeiten am Grab Jesu nur wenig betroffen ist. Wie schon bei früheren Gottesdiensten der Reise kam es nicht zu einer liturgischen Mahlgemeinschaft der evangelischen und katholischen Teilnehmer. Anschließend besichtigte die Gruppe das unter sechs christlichen Kirchen aufgeteilte Gotteshaus, das zu den wichtigsten Kirchen der Christenheit zählt.