DOMRADIO.DE: Sie fordern eine neue christliche Tierethik. Dazu haben Sie vor ein paar Jahren auch ein Buch geschrieben: "Die Würde des Tieres ist unantastbar". Was meinen Sie mit dieser neuen christlichen Tierethik?
Prof em. Kurt Remele (emeritierter Professor für Ethik und christliche Gesellschaftslehre an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Graz): Die neue christliche Tierethik, die ich konzipiere, ist eine Abkehr von der alten Tierethik. Die hat Tiere primär als Sachen oder als Gut für den Menschen, das der Mensch gebrauchen kann, nach seinem Gutdünken gesehen.
Diese neue, zeitgemäße Tierethik erkennt, dass es keinen tiefen Graben zwischen Menschen und Tieren gibt, sondern dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier nur ein gradueller, kein grundsätzlicher ist und dass wir wesentlich rücksichtsvoller, barmherziger und gerechter mit Tieren umgehen müssen, als wir das bisher getan haben.
Im Christentum ist auch gerade durch den Unterwerfungsbefehl und durch die Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen eine gewisse Last da. Ein kollektives Gedächtnis, das diesem Umdenken nicht förderlich ist.
DOMRADIO.DE: Müsste die Kirche in Sachen Tierschutz denn aus Ihrer Sicht noch ein bisschen mehr tun?
Remele: Ja, sie müsste mehr tun. Obwohl Papst Franziskus mit "Laudato si'" schon einiges getan hat, in dem er den Eigenwert und den intrinsischen Wert von Tieren betont und auch sagt, dass es gegen die Würde des Menschen ist, Tiere leiden zu lassen und grausam zu behandeln.
Da ist ein gewisser Schritt passiert, aber es ist in der Praxis des Pfarrlebens und des alltäglichen Lebens noch viel zu tun.
Ich habe es mal so ausgedrückt: Man predigt in der Sonntagspredigt sehr wohlwollend und anspruchsvoll über die Schöpfung und die Schöpfungsverantwortung, aber gegessen wird dann zum Mittag oder zum Festschmaus meistens Fleisch.
Sehr oft kommt das dann aus Mastbestrieben und Massentierhaltung.
DOMRADIO.DE: Besonders die Fleischindustrie gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Ganz plakativ: Sollte man als Christ heute Vegetarier sein?
Remele: Es wäre wünschenswert und ich würde noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass wir Tierprodukte, die mit sehr viel Tierleid verbunden sind, wie Pelz und Wolle für unsere Kleidung neu überdenken müssen.
Mein Ideal wäre, dass Christinnen und Christen zunehmend vegan leben. Aber ich weiß, das ist für viele eine anstößige Sache. Ich denke jedoch, wenn man es konsequent durchdenkt, wäre das eine wünschenswerte Alternative.
DOMRADIO.DE: Kommenden Sonntag sprechen Sie auf einer Podiumsdiskussion an einem besonderen Ort, nämlich der einzigen Gedenkstätte an das Leiden der Tiere. Sie heißt MEMENTO und steht an einer Kirche in Polen. Wie kann man sich diese Gedenkstätte vorstellen?
Remele: Diese Gedenkstätte ist 2015 in der Nähe von Frankfurt an der Oder, genauer gesagt in Spudlow in Polen errichtet worden. Es ist eine Kirchenruine, die innen adaptiert wurde. Sie hat noch immer kein Dach.
Dort gibt es viele Gedenktafeln, die an das Leid der Tiere in verschiedenen Kontexten erinnern. Zum Beispiel der Schweine, der sogenannten Nutztiere. Wobei ich den Ausdruck nicht für sehr hilfreich halte, um es vorsichtig zu sagen.
Auf den Gedenktafeln sind auch Tiere beschrieben, die im Laufe der Zeit in Kriegen instrumentalisiert wurden. Es ist sozusagen eine Gedenkstätte, die in vielen Facetten an das Leid der Tiere erinnert.
Außerhalb der Kirchenruine gibt es noch einen Garten, der an Menschen erinnert, die sich für Tiere in Not und gegen das Leid der Tiere durch Menschen eingesetzt haben.
Das Interview führte Tobias Fricke.