Von einem Meilenstein ist die Rede. Sogar von einer Revolution. Die 27 katholischen Ortsbischöfe in Deutschland haben am Dienstag ein neues Arbeitsrecht für die rund 800.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kirche und Caritas beschlossen.
Eine Homo-Ehe oder eine neue Hochzeit nach einer Scheidung sind künftig kein Grund mehr für eine Kündigung.
Lob der Vielfalt
Die neue Grundordnung, der offenbar nicht alle 27 Bischöfe zugestimmt haben, enthält ein ausdrückliches Lob der Vielfalt: Alle Mitarbeitenden könnten "unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Alter, ihrer Behinderung, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein", heißt es.
Nicht nur für die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, ist das "endlich mal eine katholische Erfolgsmeldung": Sie sei froh, "dass wir jetzt auf einem konkreten, praktischen Feld, beim kirchlichen Arbeitsrecht, eine wirkliche Veränderung erzielt haben. Ich sehe vor allem, dass es pragmatisch möglich ist, Menschen das Leben zu erleichtern."
Kirche soll angstfreier Raum werden
Vom Ende der Angst ist in vielen Reaktionen die Rede: Die Reform sei ein "wichtiger Schritt", damit Kirche gerade für die Mitarbeitenden ein "angstfreier Raum" werde, sagte der Münsteraner Bischof Felix Genn. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch sieht "einen wichtigen und entscheidenden Beitrag auf dem Weg zu einer 'Kirche ohne Angst'".
Für viele Mitarbeitende gehe eine Zeit der Angst zu Ende, schreibt auch der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer: "Niemand muss sich mehr um seinen Arbeitsplatz sorgen, weil das private Beziehungs- und Familienleben, die sexuelle Orientierung oder Identität nicht mit der lehramtlichen Sexualmoral übereinstimmt." Das alles habe unendlich viel Leid verursacht.
Für Pfeffer ist klar: "Dass diese Veränderung nun möglich geworden ist, hat nicht zuletzt die Initiative 'Outinchurch' vorangetrieben, aber auch viele andere Reformkräfte in unserer Kirche." Dass ein kirchenamtliches Papier Vielfalt als Bereicherung bezeichne und dabei auch die sexuelle Orientierung ausdrücklich nenne, könnte in aufgeklärten Ohren selbstverständlich klingen, so der Verwaltungschef des Bistums Essen: "Für die römisch-katholische Kirche ist das eine Revolution."
Lob für Beratungsprozess
Pfeffer lobte auch den Beratungsprozess: Es habe in der Kirche noch nie ein so offenes Beratungs- und Beteiligungsverfahren gegeben.
"Dass Bischöfe ein offizielles Dokument im Entwurf öffentlich breit diskutieren lassen und dann auch Änderungen einarbeiten, ist wirklich beachtlich." Das wünsche er sich auch bei anderen Themen.
Auch aus Sicht des ZdK und des Deutschen Caritasverbands handelt es sich bei der neuen Grundordnung um einen "Paradigmenwechsel".
Entscheidend sei, dass das neue Arbeitsrecht nun schnell und auch flächendeckend umgesetzt werde, damit kein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen entstehe.
Nicht alle sind zufrieden
Bei allem Lob sehen manche Stimmen noch Luft nach oben, vor allem bei der Bewertung von Kirchenaustritten, die weiterhin ein möglicher Kündigungsgrund bleiben, auch wenn es keinen Automatismus mehr gibt.
Pfeffer wies darauf hin, dass "sich viele Katholikinnen und Katholiken mit ihrem Kirchenaustritt keineswegs von ihrem Glauben verabschieden, sondern vor allem ihre Unzufriedenheit und Verzweiflung mit dem Zustand der offiziellen Kirche zum Ausdruck bringen". Auch Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa erinnerte daran, dass sich viele Verantwortliche in der Caritas einen offeneren Umgang mit Fragen des Kirchenaustritts gewünscht hätten.
Stetter-Karp sieht im neuen Text der Grundordnung Potenzial für die Zukunft. "Dort steht jetzt, dass bestehende Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts zu beseitigen und künftige Benachteiligungen zu verhindern sind. Das bedeutet, dass nicht zuletzt über die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern und Diensten in der Kirche klar gesprochen werden muss", fügte sie hinzu.
Auftakt für weitere Reformen?
Birgit Mock, Vizepräsidentin des ZdK und Vorsitzende des Synodalforums "Leben in gelingenden Beziehungen", erinnerte an die Forderung des kirchlichen Reformprozesses Synodaler Weg, die "Missio Canonica", also die Beauftragung mit Verkündigungs- und Lehraufgaben, und das "Nihil-obstat", die Aussage zur Unbedenklichkeit von Kandidatinnen und Kandidaten für eine Hochschulprofessur, nicht mehr von der Lebensform abhängig zu machen: "Wir haben uns dafür eingesetzt, eine Antidiskriminierungs-Klausel explizit in die Grundordnung aufzunehmen. Das ist nicht erfolgt. Wir gehen jetzt davon aus, dass die sehr begrüßenswerte Passage über die Akzeptanz der Vielfalt entsprechend interpretiert wird."
Der Mitinitiator der Initiative #OutInChurch, Jens Ehebrecht-Zumsande, sprach im Interview des Münsteraner Online-Portals kirche-und-leben.de von einem "Teilerfolg". So sei unklar, was genau unter "kirchenfeindlichem Verhalten" zu verstehen sei, was weiterhin als Kündigungsgrund gilt. #Outinchurch hatte im Januar 117.000 Unterschriften gegen eine Diskriminierung queerer Beschäftigter in der Kirchen überreicht.