DOMRADIO.DE: Der Equal Pay Day, der Tag zur Lohnungerechtigkeit, macht auf die Lohnlücke aufmerksam. Was ist die Ursache dafür? Bekommen Männer mehr Stundenlohn oder geht es um die Arbeit in Teilzeit, von der Frauen eher betroffen sind?
Lisa-Marie Singer (Vizepräsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes, KDFB): Tatsächlich ist es beides. Wir stellen zum einen fest, dass die Gender Pay Gap, also die Lohnlücke, vor allen Dingen in Berufen groß ist, wo der Stundenlohn mit zunehmender Arbeitszeit überproportional zunimmt. Das sind oft Jobs, in denen Vollzeit erwartet wird. Deswegen hängt das letztlich zusammen.
Frauen haben außerdem deswegen eine Benachteiligung, weil sie eine sehr hohe Teilzeitquote haben, weil sie häufigere Erwerbsunterbrechungen haben, aber auch, weil sie in Berufen von geringeren Einkommen mit Niedriglohnquote oder in den sogenannten 520 Euro-Jobs arbeiten. Letztlich ist es also beides.
On top kommt noch, dass Frauen nach wie vor deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit übernehmen als Männer. Fast eineinhalbmal so viel. Deswegen kommen zu der unterschiedlichen Bezahlung und der unterschiedlichen Erwerbsbeteiligung auch entsprechende Rollenmodelle, die die Benachteiligung verstärken.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie von Care Arbeit oder Sorgearbeit sprechen, ist damit gemeint, die Kinder zu umsorgen oder einen Angehörigen zu pflegen?
Singer: Ganz genau. Alles, was sich in puncto Haushalt vorgestellt werden kann, aber vor allen Dingen auch die Sorge um Kinder oder ältere Menschen.
DOMRADIO.DE: Damit wir es uns ein bisschen besser vorstellen können. Welche Berufe sind besonders betroffen, in denen Frauen weniger verdienen?
Singer: Interessant ist, möchte ich vorausschicken, dass sich die Pay Gap durch alle oder nahezu alle Branchen zieht. Selbst in Bereichen, wo man irgendwie vermuten würde, dass dort ohnehin mehr Frauen arbeiten als Männer, gibt es die Gender Pay Gap. Die ist vielleicht nicht ganz so hoch wie im Durchschnitt, aber trotzdem gibt es sie.
Wie schon gesagt, in der Regel sind es Branchen, die in der Privatwirtschaft zu finden sind oder Berufe, in denen ein großer Anteil an Führungskräften zu finden ist, weil es nach wie vor in vielen Unternehmen nicht möglich ist, beispielsweise Führungspositionen in Teilzeit zu übernehmen. Deswegen sind in höheren Positionen mit höheren Gehältern einfach weniger Frauen vertreten. Auch das spielt eine große Rolle.
DOMRADIO.DE: Gibt es Strategien, die Frauen helfen könnten, das gleiche Gehalt einzufordern?
Singer: Auf jeden Fall! Wir empfehlen über Geld zu reden. Es ist nach wie vor in Deutschland ein Tabuthema. In Norwegen und Schweden beispielsweise ist das Thema Gehaltstransparenz völlig gang und gäbe. So kann man natürlich auch das eigene Gehalt besser einschätzen und im Zweifel verhandeln.
Zwar haben wir die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts 2021 bekommen, dass das Verhandlungsgeschick alleine nicht entscheidend sein darf für die Lohnlücke. Trotzdem ist natürlich das Wissen um den eigenen Stand innerhalb einer Firma beispielsweise extrem wichtig.
Politisch wäre uns natürlich wichtig, dass die EU-Entgelttransparenzrichtlinie baldmöglichst von Deutschland mit allen Maßnahmen, die drin gefordert sind, auch umgesetzt werden. Da sollte zum Beispiel ein Einstiegsgehalt kein Geheimnis mehr sein, sondern es muss bei der Ausschreibung der Stelle schon bekannt sein.
DOMRADIO.DE: Eine Idee, die schlechtere Bezahlung von Frauen abzufedern, sind Wahlarbeitszeiten. Wie könnte das praktisch aussehen? Ist das so etwas wie Gleitzeit?
Singer: Nein! Um den Zusammenhang zwischen Equal Pay und Equal Care noch mal deutlich zu machen: Letztlich geht es um flexible Arbeitszeitmodelle, eine geschlechtergerechte Aufteilung von Sorge und Erwerbsarbeit. Konkret könnte das so aussehen, dass es zum Beispiel einen finanziellen Ausgleich gibt, in Phasen von reduzierter Erwerbstätigkeit, wenn auf die Fürsorgeverantwortung eingegangen wird. Das soll für alle Geschlechter gelten.
Es sollte unterstützt werden mit einer Rückkehroption. Bestimmte Arbeitsprozesse müssten angepasst werden. Da sind vor allen Dingen auch die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen gefordert. Und was ich schon erwähnt habe, ist die Möglichkeit, in Teilzeit eine Leitungsposition einzunehmen, ebenfalls entscheidend.
DOMRADIO.DE: Wie können Sie als KDFB die Frauen unterstützen, um diese Pay Gap, die Lohnlücke, zu schließen?
Singer: Wir tun das ganz konkret, indem wir Forderungen an die politischen Verantwortlichen richten und insgesamt für das Thema aufmerksam machen und mobilisieren. Wir fordern da speziell – es klingt so simpel – gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Es darf einfach keinen Unterschied mehr zwischen Frauen und Männern geben, wenn sie die gleiche Tätigkeit übernehmen.
Ganz wichtig sind uns existenzsichernde Löhne. Wir stellen fest, in Berufen mit Tarifbindung ist die Lohnlücke nicht so groß Das ist vor allen Dingen wichtig für Frauen, um einen eigenständigen Rentenanspruch aufbauen zu können. Insgesamt geht es um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufwertung von Sorgearbeit.
Das kann man unter anderem auch damit ausdrücken, indem man endlich die Lohnsteuerklassen drei und fünf abschafft. Denn damit werden nach wie vor Anreize für ein bestimmtes Ernährer- oder Zu-Verdiener-Modell geschaffen. Das ist aus unserer Sicht ein ungemein großer Anreiz. Wir sind dafür, das Faktorverfahren für eine gleichwertige Besteuerung mehr zu bewerben und verpflichtend zu machen.
Das Interview führte Tobias Fricke.