Die Suche nach möglichen Überresten der vor 36 Jahren verschwundenen Schülerin Emanuela Orlandi im Vatikan geht weiter. Nach einem Fehlschlag vor anderthalb Wochen fanden die Experten diesen Samstag im deutschen Priesterkolleg Campo Santo Teutonico immerhin Gebeine. Am Nachmittag teilte Vatikansprecher Alessandro Gisotti mit: Die gerichtsmedizinische Bestimmung wird in einer Woche fortgesetzt. Ob die sechsstündigen Arbeiten zur Bergung der Knochen und ihrer ersten Begutachtung auf irgendeine Fährte führten, deutete die drei Sätze umfassende Pressemitteilung nicht an.
Campo Santo Teutonico rückte in den Mittelpunkt
Emanuela Orlandi, Tochter eines Vatikanangestellten, war am 22. Juni 1983 vom Musikunterricht nicht nach Hause zurückgekehrt. Spekuliert wurde unter anderem über einen Versuch, die Freilassung des Papst-Attentäters Ali Agca zu erzwingen, über eine Erpressung der Vatikanbank durch eine römische Mafia-Organisation oder vatikanische Sex- und Drogenparties, deren Opfer Emanuela geworden sei. Ihr Verschwinden zählt zu den mysteriösesten Kriminalfällen der jüngeren italienischen Geschichte.
Der Campo Santo Teutonico am Petersdom rückte ins Interesse der Familie Orlandi, nachdem ihr ein Foto eines Grabs vom Campo Santo, vor allem aber "konkrete Hinweise" durch einen Informanten aus dem Vatikan zugingen. Eine erste Nachforschung am 11. Juli auf dem malerischen, von Efeu und Akanthus bewachsenen Kirchhof des alten deutschen Pilgerkomplexes am Petersdom blieb ergebnislos.
Bruder der verschwundenen Schülerin setzt sich für Nachforschungen ein
Arbeiter der päpstlichen Dombauhütte hoben die Grabplatte der Ruhestätte Sophies von Hohenlohe (1758-1836) ab, flexten einen Zugang zur darunterliegenden Gruft frei - nur um auf eine leere Kammer zu stoßen. Das Gleiche beim daneben liegenden Grab von Charlotte Friederike zu Mecklenburg (1784-1840). "Die Untersuchungen haben ein negatives Ergebnis gezeitigt", erklärte Vatikansprecher Gisotti. Nur gab es statt einer toten Schülerin zu viel plötzlich zwei Prinzessinnen zu wenig.
Zwei Tage brauchte der Vatikan, um aus Akten des Kollegs die Vermutung herzuleiten, die Gebeine der Adelsdamen könnten im Zuge von Bauarbeiten vor mehr als 50 Jahren umgebettet worden sein. Offenkundig wurden die betreffenden Familien damals nicht informiert. Pietro Orlandi, der Bruder Emanuelas, der die Nachforschungen durchgesetzt hatte, nennt dieses Vorgehen "merkwürdig" und "nicht nachvollziehbar".
Generell äußert Pietro Orlandi Zweifel, welches Spiel gespielt wird. Die Nachforschungen im Vatikan strengte er an, um nichts unversucht zu lassen, was Licht in das Schicksal seiner Schwester bringen könnte. Er hält aber auch für denkbar, dass es dem Informanten, der ihn wiederholt und "mit Nachdruck" auf den Campo Santo gestoßen habe, um etwas anderes ging, für das er, Orlandi, nur ein Werkzeug sein sollte. Oder jemand im Vatikan erlaubte sich einfach einen Scherz. Nichts will Orlandi ausschließen.
"Hunderte von Knochen" gefunden
Der Vatikan stellt heraus, mehr oder weniger aus Gefälligkeit zu handeln. Nach Worten des Sprechers Gisotti zeigte man von Anfang an Hilfsbereitschaft, auch wenn die Bitte der Familie nur "auf Grund lediglich eines anonymen Hinweises" erfolgte. Dem widerspricht Orlandi. "Sie wissen sehr gut, dass die Hinweise, abgesehen von dem anonymen Brief, keine anonymen Hinweise waren", sagt er.
Die Glaubwürdigkeit. Am Morgen der Ermittlungen versammelten sich ein paar Sympathisanten der Familie Orlandi vor dem Vatikan. Sie forderten "Wahrheit und Gerechtigkeit für Emanuela". Einer von ihnen, Sandro Zannini, sprach von einem "Klima der Scheinheiligkeit" im Vatikan, einer Einrichtung mit "einem Haufen Dreck unter dem Teppich". Zannini und seine Mitdemonstranten verweisen auf alte Affären der Vatikanbank, auf den römischen Gangsterboss Enrico De Pedis, der möglicherweise in die Entführung Orlandis involviert war und ein Grab in der päpstlichen Basilika Sant'Apollinare im Herzen Roms fand. Viele Ungereimtheiten.
Nach Worten von Pietro Orlandi wurden am Samstag "Hunderte von Knochen gefunden", auch Skelette und Schädel von Kindern. In einer Woche soll eine Katalogisierung erfolgen und eine Scheidung von sehr alten und möglicherweise jüngeren Gebeinen. Es ist auch eine Art Aufräumen in der Geschichte.