Londoner Pfarrer zum Brexit-Chaos

"Keiner weiß genau, was kommt"

Im Kampf um den Brexit blockieren sich in Großbritannien Regierung und Opposition gegenseitig. Doch wie geht es der Bevölkerung dabei? Ein Gespräch mit dem Londoner Pfarrer Andreas Blum über Unsicherheit, Ängste und Hoffnungen.  

Wie es in Sachen Brexit weitergeht, ist unklar / © Alastair Grant (dpa)
Wie es in Sachen Brexit weitergeht, ist unklar / © Alastair Grant ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das Parlament hat entschieden: Es gibt keine Neuwahlen in Großbritannien. Nehmen die Menschen diese Nachrichten überhaupt noch wahr und ernst oder interessiert sie das Ganze mittlerweile überhaupt nicht mehr?

Andreas Blum (Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde Sankt Bonifatius in London): Viele sind schon recht entnervt über diesen ganzen Prozess - darüber, dass ein Referendumsvotum, das vor drei Jahren zustande kam, immer noch nicht umgesetzt wurde. Die Meinungen gehen natürlich ein bisschen auseinander: Die einen schieben das Ganze dem Parlament mit seiner Verhinderungstaktik in die Schuhe. Die anderen sagen, die Regierung sei inkompetent. Es ist eine große Unzufriedenheit im Land, die sich nicht nur in Umfragen niederschlägt, sondern auch in tatsächlichen Wahlergebnissen - zum Beispiel, wenn man auf die letzte Europawahl schaut.

DOMRADIO.DE: Aber ist da nur Unzufriedenheit oder auch wirklich große Unsicherheit?

Blum: Das geht Hand in Hand miteinander. Dadurch, dass man nicht genau weiß, welches Szenario jetzt überhaupt in Kraft tritt, weiß man auch nicht, welche Konsequenzen das letztlich hat. Wenn ich jetzt mal auf meine Gemeinde gucke: Wenn es keinen Brexit gibt, können wir weiterhin ohne jegliche Probleme hier in England leben. Sollte es zum Brexit kommen, müssen wir einen "Settled Status" beantragen. Da gibt es verschiedene Formen und das funktioniert auch noch nicht immer. Man muss zum Beispiel ein Android-Handy haben, anders geht es noch gar nicht. Die Unsicherheit kommt einfach auch dadurch zustande, dass keiner genau weiß was kommt.

DOMRADIO.DE: Nochmal ganz konkret: Was für einen neuen Status müssen Sie beantragen?

Blum: Je nachdem, wie lange man im Land ist, gibt es eine Aufenthaltsgenehmigung, die wir beantragen müssen. Wenn wir weniger als fünf Jahre im Land sind, kann das nur ein "Pre-Settled Status" sein. Das heißt, man kann eine begrenzte Aufenthaltserlaubnis bekommen, die dann später noch einmal überprüft wird. Wer länger als fünf Jahre im Land ist, kann schon einen dauerhaften Aufenthaltsstatus kriegen. Wenn alles gut geht und man alle Unterlagen beieinander hat, ist das eine Sache von zwanzig Minuten, die man online erledigen kann. Viele haben das auch bereits gemacht. Aber es gibt eben auch immer wieder technische Schwierigkeiten und Grenzfälle, wo es dann schwierig wird.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie bereiten sich auf den Fall des Brexit schon konkret vor?

Blum: Ja natürlich. Alle deutschsprachigen Gemeinden in London sind mit der Botschaft in engem Kontakt, wir organisieren Aufklärungs-Veranstaltungen. Wir helfen den Leuten ganz konkret bei allem - gerade den Älteren, die vielleicht schon seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hier im Land sind, aber es nie für nötig gehalten haben, die englische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Da ist die Unsicherheit natürlich besonders groß und die sind vielleicht auch mit technischen Dingen nicht ganz so versiert. Insofern helfen wir denen ganz konkret bei der Beantragung dieses Status.

DOMRADIO.DE: Gibt es eigentlich einen Unterschied in der Beurteilung dieses ganzen Brexit-Chaos zwischen den deutschen Gemeindemitgliedern, den englischen und denen aus anderen Kulturen.

Blum: Sie werden in der deutschsprachigen Gemeinde - ich würde sagen, in allen europäischen Auslandsgemeinden hier in London - kaum einen Befürworter für den Brexit finden. Wir haben ja nur Nachteile dadurch. Wir profitieren im Prinzip von der EU und von der Mitgliedschaft des Königreiches in der EU. Für uns wird es in jedem Fall schwieriger oder mühseliger. Insofern gibt es da eine eindeutige Position.

Wenn Sie in die englischen Gemeinden schauen, sieht die Sache schon ein bisschen anders aus. Da herrscht zum Teil der Eindruck vor, dass das Parlament, das mehrheitlich zu den Befürwortern der EU gehört, einen Volkswillen nicht umsetzt. Wenn Sie die jüngsten Umfragen für die Regierung betrachten, werden Sie feststellen, dass Boris Johnson von Woche zu Woche an Zustimmung gewinnt. Das ist für uns vielleicht ungewöhnlich und auch von der Berichterstattung her kaum nachzuvollziehen. Aber er vertritt doch weite Teile der Bevölkerung in der Vorstellung, dass das Parlament scheinbar nicht bereit ist, mit seiner Haltung ein Referendumsvotum umzusetzen.

DOMRADIO.DE: Haben Sie irgendein Gefühl, irgendeine Ahnung, wie das ausgehen wird?

Blum: Diese Frage kann, glaube ich, niemand wirklich beantworten. Ich denke, es wird zu einem Brexit kommen müssen. Anders wird dieses Land nicht zu befrieden sein. Es kann aber auch nicht der No-Deal-Brexit sein. Es wird also ein irgendwie ausgehandelter Vertrag am Ende stehen, mit vielen Übergangsregelungen. Sodass man zunächst einmal aus dieser Sackgasse herauskommt. Und was sich dann später wieder an Annäherung entwickelt, wird man dann sehen müssen. Ich glaube, langfristig wird es bei engen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich bleiben. 

Das Interview führte Martin Mölder.


Pfarrer Andreas Blum / © N.N. (privat)
Pfarrer Andreas Blum / © N.N. ( privat )
Quelle:
DR