Kempener Katholikenrat kritisiert Corona-Politik für Kinder

"Sie wären gern gefragt worden"

Der Katholikenrat Kempen-Viersen hat die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche untersuchen lassen. Auch wenn die Situation für alle damals neu war, hätte man anders handeln können, findet die Vorsitzende.

Kinder und Jugendliche haben psychisch unter der Pandemie gelitten / © PinkCoffee Studio (shutterstock)
Kinder und Jugendliche haben psychisch unter der Pandemie gelitten / © PinkCoffee Studio ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was haben Sie über die Kinder und Jugendlichen und über die Folgen der Pandemie herausgefunden?

Gabi Terhorst (Vorsitzende des Regionalen Katholikenrates Kempen-Viersen und Lehrerin): Wir haben herausgefunden, wie es den Kindern und Jugendlichen geht und wie es ihnen mit der Pandemie ging, mit den Corona-Maßnahmen. Aber auch das, was ihnen jetzt fehlt und was sie sich von uns Erwachsenen vielleicht erhoffen und wünschen würden. Wir als Erwachsene haben auch ein Stück versagt und den Kindern und Jugendlichen, wie wir meinen, auch ein Stück Urvertrauen genommen.

DOMRADIO.DE: Wie kann das überhaupt wieder aufgebaut werden, was da kaputt gemacht wurde?

Terhorst: In unseren Augen geht das nur mit sehr viel Zeit und sehr viel Ansprache, gemeinsamen Sachen, gemeinsamen Aktionen und immer wieder mit kleinen Schritten aufeinander zuzugehen. Und vielleicht, dass wir Erwachsene die Blickrichtung wechseln und versuchen, uns in die Kinder und Jugendlichen hineinzuversetzen.

Was für uns nur drei Jahre waren, waren für die Kinder und Jugendlichen wirklich lebensprägende Zeiten. Es gab keine Abschlussfahrt, es gab keine Abschlussfeiern, es gab keinen 16. Geburtstag, es gab aber auch keine Möglichkeiten, sich mit der Clique zu treffen, um vielleicht auch das andere Geschlecht kennenzulernen.

Wenn Sie und ich an unsere Jugend denken – und da möchten wir eigentlich immer noch mal den Blick hin lenken – dann war diese Zeit sehr wichtig und sehr prägend, dass wir diese Möglichkeiten überhaupt hatten. Und die wurden durch die Maßnahmen, die ergriffen wurden – sicherlich teilweise zurecht, heute wissen wir, dass es teilweise unnötig war – ihnen einfach genommen. Sie haben sich da super drauf eingelassen. Aber es ist ja nicht so, dass man 24/7 Zeit mit seiner Familie verbringen möchte, wenn man 15 ist.

Gabi Terhorst, Vorsitzende des Regionalen Katholikenrates Kempen-Viersen und Lehrerin

"Was für uns nur drei Jahre waren, waren für die Kinder und Jugendlichen wirklich lebensprägende Zeiten"

Religion nur für Minderheit wichtig bei Corona-Bewältigung

Bei der Bewältigung der Corona-Pandemie spielten laut einer Studie für die meisten Deutschen die Wissenschaft sowie Familie und Nachbarschaft die entscheidende Rolle. Religion gab trotz einer vermehrten Sinnsuche nur einer Minderheit Orientierung. Das geht aus dem in Gütersloh veröffentlichten Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann Stiftung hervor.

Gottesdienstbesucher machen Kreuzzeichen / © Lars Berg (KNA)
Gottesdienstbesucher machen Kreuzzeichen / © Lars Berg ( KNA )

DOMRADIO.DE: Warum macht denn der Katholikenrat der Region Kempen-Viersen einen eigenen Sozialbericht über die Folgen? Es gibt ja sicherlich viele Sozialberichte und Sie haben jetzt rund 100 Schülerinnen und Schüler, Fachleute aus Politik und Verwaltung und Beratungsstellen befragt. Das ist ja auch nicht wirklich repräsentativ.

Terhorst: Wir wollten auf das Thema aufmerksam machen und wir wollten, als wir uns das im Mai 2022 überlegt haben, die Situation hier im Kreis in den Fokus rücken, weil wir eben glauben, dass auch leider Gottes die Belange von Kindern und Jugendlichen relativ schnell wieder abgefrühstückt werden.

Das geht nur, wenn wir Erwachsenen uns dafür stark machen und auch jemand wie der Katholikenrat und vielleicht der eine oder andere auch in der Politik noch mal hinguckt und sagt "Oh, da scheint ja doch irgendwas dran zu sein, das ist nicht nur das übliche Gejammere." Wir sagen: Es muss etwas getan werden, es brennt.

DOMRADIO.DE: Was hätte, obwohl es ja für alle eine neue Situation war, trotzdem mit Blick auf Kinder und Jugendliche aus Ihrer Sicht besser laufen müssen?

Terhorst: Kinder und Jugendliche wären sicherlich in manchen Punkten gerne gefragt worden, wie sie das gestalten möchten. Sie wären sicherlich auch gerne gefragt worden, wie sie auch jetzt Sachen gestalten möchten, wie sie sich jetzt auch einbringen können.

Gabi Terhorst, Vorsitzende des Regionalen Katholikenrates Kempen-Viersen und Lehrerin

"Wir haben ja erlebt, dass Kinder und Jugendliche ein hohes Maß an Empathie, aber eben auch an Bereitschaft mitbrachten, auf Sachen zu verzichten."

Wir haben ja erlebt, dass Kinder und Jugendliche ein hohes Maß an Empathie, aber eben auch an Bereitschaft mitbrachten, auf Sachen zu verzichten. Die Oma zu sehen zum Beispiel, obwohl sie wussten, dass es vielleicht sein kann, dass sie nicht mehr gesehen wird. Das ist ja eine tolle Sache, dass Kinder und Jugendliche von sich aus darauf verzichten. Aber daraus zu lernen, nimmt sie einfach mit.

Auch dass die Schulen digital wurden, fanden die Schüler teilweise toll. Auf der einen Seite haben wir jetzt wirklich wesentlich mehr Digitalität in den Schulen, die wir vor Jahren schon gefordert haben, aber wenn wir ehrlich sind, auch alle nicht selber wirklich mitgemacht haben. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sagen: Lasst uns mit den Kindern zusammen Lernprogramme entwickeln: Was brauchen sie wirklich? Wo müssen wir genau hingucken?

DOMRADIO.DE: Und dann noch mal speziell mit Ihnen als Lehrerin an einer Förderschule den Blick dorthin zu werfen. Wie erleben Sie das da mit den Folgen?

Terhorst: Es ist auf jeden Fall so, das auch bei uns an der Schule auffällt, dass Kinder und Jugendliche soziale Kontakte verlernt haben und miteinander zu kooperieren und dass das täglich neu gelernt werden muss. Das ist aber wohl, wie ich mich auch mit anderen Lehrerinnen aus anderen allgemeinbildenden Schulen unterhalten habe, mittlerweile an allen Schulen so, auch an den Grundschulen. Das, denke ich, ist etwas, was uns auf jeden Fall aufmerksam machen sollte, denn die Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen nimmt zu.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR