DOMRADIO.DE: Herzlichen Glückwunsch zum 300. Geburtstag Ihrer Kirche. Was ist das Besondere an diesem katholischen Gotteshaus?
"Kiez-Pastor" Karl Schultz (Pfarrer der Kirche Sankt Joseph auf der Großen Freiheit in Hamburg): Der Irrtum, dass das etwas Besonderes ist. Wir sind eine Gemeinde, die seit 300 Jahren da steht, beziehungsweise die Gemeinde gab es schon ein bisschen länger. Das Besondere ist natürlich der Stadtteil. Wir sind mittendrin im quirligen und bunten Stadtteil Sankt Pauli.
DOMRADIO.DE: Die Reeperbahn ist ja ein besonderer Ort. Sie haben keinerlei Berührungsängste, auch nicht mit dem Milieu, sondern verstehen sich als Ansprechpartner für alle, die auf der Reeperbahn und drumherum unterwegs sind. Was kommen da für Leute zu Ihnen?
Schultz: Na ja, erst mal gehe ich zu den Leuten. Das ist gar nicht so klar, dass die Leute zu mir kommen. Aber auch das, finde ich, ist etwas Normales. Das gilt ja nicht nur für die "Kiez-Pfarrei", sondern wo immer ein Geistlicher seinen Dienst tut. Ein Pfarrer kann nicht nur für seine Gemeinde da sein. Es ist immer gut, wenn er sich für die Menschen und für den Ort, an dem er lebt und wirkt, auch interessiert.
So handhabe ich es, dass ich auch auf dem Kiez unterwegs bin und das nun schon seit fast 13 Jahren. Da lernt man die Leute kennen und die lernen mich kennen.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, die Atmosphäre bei Ihnen im Kiez ist von großer Toleranz geprägt. Woran machen Sie das fest?
Schultz: Das mache ich daran fest, dass wir uns nicht gegenseitig belehren und dass wir nicht den Anspruch der Rechthaberei haben. Was für Hamburg gilt, gilt besonders auf dem Kiez: leben und leben lassen.
DOMRADIO.DE: Nun ist es ja aber so, dass viele Stimmen der katholischen Kirche dieser Tage vorwerfen, eben dieses Prinzip nicht einzuhalten. Dass sie gerade mit Blick auf Homosexuelle und Frauen nicht sagen "leben und leben lassen und alle sind gleich". Was meinen Sie, kann die Pastoral, wie Sie sie verstehen, auch Modell für die katholische Kirche in Deutschland insgesamt sein?
Schultz: Jeder Ort hat seine spezifischen Voraussetzungen. Da will ich nicht den Anspruch haben, dass ich modellhaft bin oder dass unsere Pastoral modellhaft ist. Aber sie könnte insofern modellhaft sein, dass wir Menschen offen begegnen und dass wir nicht belehrend daherkommen, sondern mehr als Hörende unterwegs sind.
Das Interview führte Moritz Dege.