In Nigeria kämpfen Teenager gegen die Zwangsehe von Mädchen

"Kinder sind keine Bräute"

Jedes Jahr werden weltweit zwölf Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Drei Schülerinnen in Nigeria wollen das nicht länger hinnehmen. Mit ihrer Petition soll sogar die Verfassung geändert werden.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Kudirat Abiola (l.) und Susan Ubogu kämpfen gegen die Zwangsehe / © Katrin Gänsler (KNA)
Kudirat Abiola (l.) und Susan Ubogu kämpfen gegen die Zwangsehe / © Katrin Gänsler ( KNA )

Susan Ubogu, Kudirat Abiola und Temitayo Asuni sind echte Expertinnen geworden, wenn es um die Rechte von Mädchen in ihrem Heimatland Nigeria geht. Seitdem sie sich im Dezember 2018 bei einem Workshop für Schülerinnen kennengelernt haben, treffen sie sich regelmäßig. Sie geben Interviews, haben bereits ihre erste Konferenz auf die Beine gestellt und die Organisation "It's never your fault" ("Es ist niemals Deine Schuld") gegründet. "Wir glauben ganz stark daran, dass Kinder keine Bräute sein dürfen. Sie sind doch die Führungskräfte von morgen", sagt die 16-jährige Abiola. Ziel der drei ist, dass die Ehe von unter 18-Jährigen endlich verboten wird.

In Nigeria ist sie bis heute aber weit verbreitet. Die Nichtregierungsorganisation "Girls Not Brides" schätzt, dass 44 Prozent der Mädchen vor ihrer Volljährigkeit zur Heirat gezwungen werden. In einigen Nachbarländern sind die Zahlen noch gravierender. An der Spitze steht der Niger, wo gut drei von vier Mädchen Kinderbräute sind. Die Zentralafrikanische Republik (68 Prozent) und der Tschad (67 Prozent) liegen auf den Plätzen zwei und drei. Weltweit werden jährlich zwölf Millionen neue Kinderehen geschlossen.

"Meine Mitschüler unterstützen das sehr"

Um sie zumindest in Nigeria zu verhindern, haben die Freundinnen auf der Onlineplattform www.change.org eine Kampagne gestartet, die mittlerweile knapp 225.000 Menschen unterzeichnet haben. Es dürfte die bisher erfolgreichste Unterschriftenaktion zu diesem Thema im Land sein. "Meine Mitschüler unterstützen das sehr. Sie haben alle unterzeichnet", sagt Susan, die betont, dass das Thema Mädchen wie Jungen gleichermaßen angeht. Je mehr Unterschriften sie haben, desto wahrscheinlicher wird es, dass es das Vorhaben bis ins Parlament schafft. Nur so kann eine Verfassungsänderung möglich werden. "Es macht überhaupt keinen Sinn, dass die Verfassung dem Kinderrechtsgesetz widerspricht", kritisiert Kudirat die aktuelle Situation.

Anders als in den meisten Ländern legt die Verfassung kein Heiratsalter fest. Ist jedoch jemand verheiratet, wird die Person als "erwachsen" angesehen. Zugleich gibt es das Kinderrechtsgesetz aus dem Jahr 2003. In diesem steht 18 als Heiratsalter. Aufgrund des föderalen Systems muss jedoch jeder der 36 Bundesstaaten per Abstimmung entscheiden, ob das Gesetz tatsächlich eingeführt wird. Aktuell sind es die vorwiegend islamischen Bundesstaaten im Norden, in denen das Kinderrechtsgesetz bis heute nicht umgesetzt wurde.

"Ein entscheidender Faktor ist auch Armut"

"Die Kinderehe ist vor allem eine kulturelle Praxis bei einigen ethnischen Gruppen, weniger eine religiöse", sagt Halima Jibril, die Präsidentin von FOMWAN, dem Dachverband der muslimischen Frauenverbände. Dass viele Eltern bis heute daran festhalten, habe verschiedene Gründe. Es sei die Angst, dass Töchter vor der Ehe eine Beziehung eingehen. Mitunter sei die Sorge vor Missbrauch an Schulen groß. "Ein entscheidender Faktor ist auch Armut. Wer seine Tochter verheiratet, erhält einen Brautpreis. Zudem muss künftig nicht mehr der Vater, sondern der Ehemann für das Mädchen sorgen." Um die Kinderehe zu bekämpfen, sei deshalb die Regierung verantwortlich, betont Halima Jibril: "Sie muss sichere Schulen schaffen und Armut bekämpfen."

Für die Aktivisten ist es sehr wichtig, wenn sich religiöse Meinungsführer klar in ihrem Sinne positionieren. Muhammad Sanusi II., der Emir von Kano, nannte bei öffentlichen Auftritten mehrfach die Nachteile der weit verbreiteten Praxis: Frauen, die vor der Volljährigkeit verheiratet werden, haben später häufiger gesundheitliche Probleme. Ohne Ausbildung sind sie außerdem finanziell völlig abhängig von ihren Ehemännern. In Südafrika sagte der anglikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, die Kinderehe verstärke die Ungleichheit.

Davon sind die Schülerinnen aus Lagos überzeugt. "Die Kinderehe ist schlecht für das ganze Land: Die Analphabetenrate ist höher, die Wirtschaft wächst langsamer, die Sterberate von Kindern und Müttern ist höher", sagt Kudirat und erklärt kämpferisch: "Wenn sich niemand um die Abschaffung kümmert, dann müssen wir das eben tun."


Quelle:
KNA