Rund ein Drittel aller Familien mit drei oder mehr Kindern gelte zudem als einkommensarm, knapp ein Fünftel beziehe Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Die Bildungsdirektorin der Stiftung, Anette Stein, forderte deshalb, die soziale Situation von Mehrkindfamilien stärker ins Blickfeld zu rücken - "vor allem auch deshalb, um die Kinderarmut in Deutschland entschlossen zu bekämpfen".
Bei etwa jeder sechsten Familie in Deutschland handelt es sich um eine so genannte Mehrkindfamilie, also eine Familie mit drei oder mehr Kindern. Insbesondere Mehrkindfamilien mit einem alleinerziehenden Elternteil seien von Armut betroffen - über 86 Prozent von ihnen sind laut Studie auf Sozialtransfers angewiesen. Bei Familien mit zwei Elternteilen hätten diejenigen mit drei oder mehr Kindern ein fast dreimal so hohes Armutsrisiko wie Familien mit nur zwei Kindern.
Sicherung des Generationenvertrags
Die Erwerbstätigkeit beider Elternteile nehme mit steigender Kinderzahl ab. Väter seien besonders häufig Hauptverdiener, Mütter verdienten dazu, heißt es. Gleichzeitig wendeten Mütter aus Mehrkindfamilien im Durchschnitt am Tag doppelt so viel Zeit für Kinderbetreuung auf wie Väter.
Eltern von Mehrkindfamilien sorgten dafür, dass der Generationenvertrag "unserer solidarisch organisierten Sozialversicherungssysteme funktioniert", sagte die an der Studie beteiligte Kinderforscherin Sabine Andresen. "Ohne die Care-Arbeit der Eltern, vor allem der Mütter, die dafür häufig auf die eigene Karriere und damit ausreichende Altersvorsorge verzichten, wäre das nicht möglich."
Klare Botschaft
Auch der Präsident des Familienbundes der Katholiken, Ulrich Hoffmann, sieht Mehrkindfamilien als Leistungsträger des sozialstaatlichen Generationenvertrages. "Daraus ergibt sich die klare Botschaft: Mehrkindfamilien benötigen endlich eine angemessene Anerkennung ihrer Leistungen für die Gesellschaft, insbesondere auch finanziell", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Der Verband kinderreicher Familien Deutschland forderte eine familienpolitische Mehrkind-Agenda. Vor dem Hintergrund des steigenden Armutsrisikos für Familien mit mehreren Töchtern und Söhnen sei es besonders unverständlich, dass die geplante Kindergelderhöhung zum 1. Januar nur das erste bis dritte Kind berücksichtige, kritisierte Vorsitzende Elisabeth Müller. "Aus unserer Sicht ist eine deutliche Erhöhung des Kindergelds ab dem dritten Kind dringend notwendig."
Zudem werden laut Müller beispielsweise Musterberechnungen für Transferleistungen in der Regel nur für Eltern mit ein oder zwei Kindern erstellt, was es Mehrkindfamilien schwer mache, die Konsequenzen politischer Entscheidungen für ihre zukünftige finanzielle Situation zu erfassen.
"Ausreichend Zeit für Sorgearbeit"
Auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie sieht sich durch die Ergebnisse der Studie in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Interessen von Mehrkindfamilien politisch besser wahrgenommen werden müssten. Der Präsident der Arbeitsgemeinschaft, Martin Bujard, forderte eine Abkehr von der "Zwei-Kind-Norm" und politische Lösungen, die ausreichend Zeit für Sorgearbeit in der Familie ermöglichten, die Vereinbarkeit Familie und Beruf erleichterten und Partnerschaftlichkeit individuell gestalten ließen.
Die Studie basiert den Angaben zufolge auf Daten des Statistischen Bundesamtes sowie der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2021. Zudem wurden von einem Forscherteam der Goethe-Universität Frankfurt im Jahr 2020 qualitative Interviews mit 20 Mehrkindfamilien geführt.