Seit Netflix mit seinem Film über die 'Zwei Päpste' drei Oscar-Nominierungen einfahren konnte, ist ein halbes Jahrzehnt vergangen. Martin Scorseses 'Silence', der womöglich letzte große katholische Kulturerfolg in Hollywood, ist bereits acht Jahre alt. Mit 'Konklave', vom deutschen Regisseur Andrew Berger ('Im Westen nichts Neues') nach dem Roman von Robert Harris (u.a. 'Das Schweigen der Lämmer'), kommt nun der nächste Film mit katholischer Grundierung in die Kinos, dem Anwartschaft auf internationale Auszeichnungen zugeschrieben wird.
Wie 'Silence' ist auch 'Konklave' ein stiller Film geworden: Zu Beginn folgen wir den langen Schritten unseres Protagonisten, des britischen Kardinaldekans Thomas Lawrence (gespielt von Ralph Fiennes), durch römische Unterführungen und Aufzüge an das Totenbett des eben verstorbenen Papstes. Düster, unwirtlich und frei von Tageslicht zeichnet Berger das Zentrum Vatikanischer Macht. Die Räumlichkeiten des Apostolischen Palastes erhalten in diesem Film das Aussehen bedrückender, steriler Amtsräume, die Kardinäle speisen an Orten, die mit ihren gleißenden Deckenlampen eher an eine Turnhalle oder Großraumbüros aus den Achtzigerjahren erinnern: die Kirche als Amtsstube.
Das Konklave als Verwaltungsakt
Mit dem traditionellen Bruch des päpstlichen Siegelringes beginnt nun gemächlich eine Handlung, die viele Zeremonien im Umfeld der Sedisvakanz und des Konklaves, ebenso wie vor einigen Jahren in den 'Zwei Päpsten' geschehen, weitgehend korrekt adaptiert und sich zudem bemüht, das Publikum in die monotone Dynamik des letzteren mitzunehmen. Konklave: Das ist kein Nervenkitzel, sondern in seiner Alltäglichkeit ein Ablauf von Organisations- und Verwaltungsakten. Es ist eine entsprechende Bildsprache, die dem Film seine Spannung gibt: Charaktere spielen Schach, im übertragenen wie im tatsächlichen Sinne.
Im selben Tempo zeigt uns Berger die Banalität der Vorbereitungen für die nun bevorstehenden Tage in zahlreichen kurzen Vignetten, die ihrem Ton nach bisweilen an einen Dokumentarfilm denken lassen: Wir folgen dem päpstlichen Leichnam aus seinem Sterbezimmer in den Leichenwagen hinein, den Nonnen beim Decken eines Tisches, der Zubereitung von Essen, der Herrichtung der Sixtinischen Kapelle, Kaffeemaschinen beim Brühen von Heißgetränken.
Kardinäle gehen durch Sicherheitskontrollen, sie rauchen und stehen mit Koffern herum. Der Film wird hier zeitweilig zur Mikrostudie der Alltäglichkeiten, der Mühe und der Sorgfalt. Wer ein bildreiches Epos römischer Pracht erwartet, wird hier eher enttäuscht: Die Bildsprache des Films ist eher intim als imposant. Sie spielt bisweilen mit offensichtlicher Hässlichkeit und Drögerie und nur selten mit Schönheit und wenn der Film die Bellezza des Vatikans zeigt, dann stets eingerahmt durch das Banale.
Traditionalisten und Teufel
Mit der Ankunft der Kardinäle in Rom treten die Hauptfiguren des Films auf: Der venezianische Kardinal Goffredo Tedesco, dessen Darstellung durch Sergio Castellitto dem modernen Zuschauer in seiner Mischung aus Charme und Arroganz den Teufel, wie er in zahlreichen neueren Hollywood-Produktionen dargestellt wird, evoziert.
Er ist, als Verkörperung des Traditionalismus, der ausgesprochene Antagonist des Films, seine Charakterisierung bleibt jedoch äußerst dünn: Er scheint die Alte Messe zu mögen und offenbart sich in einer späten, aber entscheidenden Szene als offener Fremdenhasser.
Nicht viel besser ergeht es seinem Kollegen Joshua Adeyemi (gespielt von Lucian Msamati), der angeblich – hier kommt die unglückliche Neigung des Films zu Tage, viel Exposition auszusprechen ohne sie durch Handlung zu untermauern – noch konservativer als Tedesco sein soll, vorhersehbarer Weise aber über seine sexuelle Devianz stolpert.
Oberflächliche Charaktere und Themen
Menschenfeindlich und heuchlerisch zeichnet Berger seine Antagonisten. Dass der Film uns mit Kardinal Vincent Benitez zuletzt einen Außenseiter präsentiert, der vom Papst als Erzbischof von Kabul in pectore in den Purpur erhoben ist und denselben mit keinerlei negativen Eigenschaften ausweist, gibt dem Zuschauer schnell zu verstehen, wer am Ende Papst werden wird. "Wir haben alle 'In den Schuhen des Fischers' gesehen!", möchte man Herrn Berger zurufen.
Ebenso oberflächlich zeichnet der Film die großen Konflikte der zeitgenössischen Kirche: Der Toleranz einer Gruppe von liberalen Kardinälen, die Verhütung, Frauen in Weiheämtern und eine Öffnung der Kirche für Homosexuelle, generell also die Wiederkehr von 'ugly and repressive times' verhindern will, stehen Konservative gegenüber, welche zwar gegen den Verfall und für die römische Tradition predigen, dabei aber, wie es heißt, '60 Jahres des Fortschritts' rückgängig machen wollten und ohne Selbstdesavouierung nicht auszukommen scheinen.
Berger gibt dem Zuschauer insgesamt wenig Gelegenheit, die Charaktere in ihren menschlichen Vorzügen und Irrungen atmen zu lassen und verunmöglicht es dem Zuschauer so, seine Sympathien selbst zu verteilen: Irritierend im Rahmen eines sonst so stillen, beinahe andächtigen Films. Der US-Bischof Robert Barron merkte bereits an, der Film könne ebenso gut von der Redaktionsleitung der liberalen New York Times geschrieben worden sein. Man kann ihm nicht widersprechen.
In kleinen Gruppen diskutieren die Kardinäle die Papstwahl und das beste Vorgehen im Sinne der Gruppe, gewiss nicht anders als die entsprechenden Leaks uns dies für die letzten beiden Papstwahlen von 2005 und 2013 sowie die Forschung für frühere Epochen nahelegen. Die Sprache, die sie dabei verwenden, ist diejenige des Wahlkampfes. Dass die politischen Ränke hier weder besonders originell noch interessant oder dramatisch sind, ist schade, schreit doch das Konklave geradezu nach einem elaborierten Kammerspiel, das der vorliegende Film jedoch ebenso wenig sein möchte, wie ein vollwertiger Krimi (auch Krimis sind eigentlich immer spannender, wenn keiner das Haus verlassen darf) oder ein Glaubensdrama.
Abgeschlossenheit suggeriert Geheimnisse
Bergers Spiel hier ist das klassische Spiel mit diesem Sujet: Die Abgeschlossenheit der Wahlversammlung evoziert die Anwesenheit von Geheimnissen. Dies ist freilich auch im echten Leben gewollt: Die Welt soll keine zerstrittene Kirche sehen, keine Wahlversammlung, wo gezankt und gezerrt, bestochen und manipuliert wird, sondern einen im engeren Wortsinne mysteriösen Akt, an dessen Ende die gleichsam wundersame Wahl eines Papstes steht. Die Wahlverhandlungen bilden im Folgenden die Folie, vor der eine kleine Kriminalgeschichte abläuft. Das Drehbuch verflicht beide Stränge clever miteinander, auch wenn es dem Publikum einen emotionalen oder intellektuellen Impact schuldig bleibt.
Neben dem eigentlichen Konklave versucht sich der Film auch in spirituellem Tiefgang: Leitendes Motiv soll dabei 'Zweifel' an der Kirche sein, mit dem der Gläubige sich auseinanderzusetzen hat. Verschiedene Charaktere sprechen in der Tat von ihren Zweifeln, jedoch erfahren wir nicht, worin diese genau bestehen. Dafür bekommt der Zuschauer sofort die unmissverständlich die Antwort geliefert: Ohne Zweifel keine Unsicherheit, ohne Unsicherheit kein Glaube. Gewissheit, lässt Berger seinen Protagonisten – den Kardinaldekan Lawrence – bei der Eröffnungsrede des Konklaves sagen, sei der Feind der Einigkeit wie der Toleranz: die kirchliche Lehre – Lehre überhaupt – als Fehler.
Eine Bombe in der Sixtina
Die Vorgänge in der Sixtinischen Kapelle sind weitgehend korrekt dargestellt, auch wenn die Art und Faltung der Stimmzettel vereinfacht und der übliche zweite (Akzess-)Wahlgang ausgespart wurden. Insbesondere der Fokus auf das Jüngste Gericht Michelangelos, das auch in das Blickfeld des Protagonisten im Moment seiner Wahlabgabe fällt, erhält seinen korrekten Platz, ist es doch, wie die jüngere Forschung (Günther Wassilowsky) herausgestellt hat, nicht zufällig der Ort, an dem die Kardinäle den auch im Film korrekt rezitierten Wahl-Eid schwören: „Ich schwöre vor dem Herrn Christus, der mein Richter sein wird, dass ich denjenigen wählen werde, den ich nach göttlichem Beschluss wählen muss.“
Der Heilige Geist nämlich ist es, der den Papst erwählt und nicht die politischen Ränke der Kardinäle, was der vorliegende Film zwar größtenteils negiert, da seine Kardinäle offen Politik betreiben, dem er jedoch im Verlauf der Handlung zumindest ein wenig Platz lässt, ist es doch gerade der Moment der Selbstwahl durch den Kardinaldekan, als eine Bombe die Glasfront der Sixtina zerschmettert und mit der Sonne zugleich den Willen Gottes hineinlässt. Die Wahrheit also liegt draußen, außerhalb der Kirche. Auch diese Botschaft ist nicht sehr subtil.
Eine nicht weiter elaborierte Nebenhandlung – ein klassisches Adaptionsproblem – äußert sich nämlich in zwei Bombenattentaten, deren Kontext der Zuschauer nicht erfährt, der aber die Bühne für die zentrale Szene des Films bereitet: Tedesco, mit blutigem Gesicht, fordert ein Ende des Relativismus und einen entschlossenen Kampf gegen den Islam. Er tut dies jedoch mit so hasserfülltem Gestus, dass Benitez, der passenderweise in Kriegsgebieten gearbeitet hat, seinen großen Auftritt als "Anti-Hass-Kandidat" hat. Die Kirche, sagt er, sei nicht die Tradition oder die Vergangenheit, sondern eine Frage der Zukunft. Dogma wird so zum Urgrund zum Hass, Relativismus zum Ausdruck von Liebe.
Unnötige Wendungen
Der letzte Wahlgang ist unspektakulär: Auf Musik folgt Applaus und der gewählte Benitez gibt sich dem Namen 'Innocentius', also 'der Unschuldige'. Gewissermaßen in einem Nachsatz erfährt der Zuschauer, dass der Gewählte biologisch vermutlich kein Mann sei, ein Twist, der freilich nur funktioniert, weil derselbe eben durch einen biologischen Mann gespielt wird.
Diese letzte Wende ist unnötig, unglaubwürdig, sensationalistisch und zieht den Film ins extreme Identitätspolitische. Die Kirche wird am Ende gerettet durch die (kanonisch sehr wahrscheinlich unzulässige) Wahl eines biologisch nicht männlichen Papstes, der eine Kirche ohne Wurzeln in Tradition und Lehre wünscht, diese vielmehr eingetauscht sehen will für eine 'Existenz zwischen der Welt der Gewissheiten'. Wenn aber die Kirche nicht die Tradition und nicht die Lehre sei, wie Berger seinen neuen Papst verkünden lässt, was bleibt dann noch vom Katholizismus, außer ein paar schmucker Liegenschaften in begehrten Innenstadtlagen? Diese Frage könnte man stellen, auch wenn gewiss ist, dass diese Botschaft dem Film auch in Deutschland gewiss einige Freunde bescheren wird.
An die Stelle der Theologie tritt am Ende der Triumph des Zweifels: Ein Papst mit ungeklärter Geschlechtsidentität wird Herr über eine Kirche ohne Lehre. Und jeder ist zufrieden. Oder doch nicht? Da Romanautor Harris noch kein Sequel zum in der Welt des Films gewiss folgenden Schisma geschrieben hat, wird uns ein zweiter Teil wohl vorenthalten bleiben.
Dr. Kevin Hecken ist Autor des Buches "Wahl und Wunder. Papstwahlrecht und Papstwahlpraxis im 17. Jahrhundert" und arbeitet an der Universität Wien.