Ausgerechnet vor der "First Baptist"-Kirche von Robert Jeffress, Hausprediger von Präsident Donald Trump. Wahlwerbung für den Überraschungskandidaten der Demokraten im US-Senat; Autoaufkleber für den charismatischen Beto O'Rourke (46). Einer klebt auf Sarah Baileys Auto, die über Trumps Polit-Pastor verärgert ist. "Wir können uns das nicht länger gefallen lassen", sagte die evangelikale Christin der "New York Times" - und meint politische Bevormundungen von der Kanzel.
Evangelikale protestieren gegen "Politisierung" des Glaubens
Bislang habe sie - wegen des Themas Lebensschutz und Abtreibung - stets die Republikaner gewählt. Wie viele andere reibt sich Bailey nun aber am Umgang mit Einwanderern und Flüchtlingen, aber auch dem sexistischen Verhalten des US-Präsidenten. Sarahs Freundin Emily Mooney hat ebenfalls einen "Beto"-Aufkleber auf ihrem SUV. Sie wehre sich damit gegen eine "Politisierung" ihres Glaubens durch trumphörige Kirchenführer, die in Texas zur Wahl des ultrakonservativen Ted Cruz (47) auffordern.
Unter dem Radar der Öffentlichkeit beobachten Meinungsforscher zuletzt eine Verschiebung in der Wählergunst weißer evangelikaler Frauen in Texas. Sie ignorieren vermehrt die Aufrufe von der Kanzel und unterstützen nun den jungen Demokraten O'Rourke. Da sich jeder dritte Wähler dort als "evangelikal" bezeichnet und 2016 zu rund 85 Prozent Trump gewählt wurde, könnten selbst kleinere Verschiebungen große Konsequenzen für Cruz haben. "Ich interessiere mich genauso sehr für Babys an der Grenze wie für Babys in der Gebärmutter", stimmt Tess Clarke ihrer Freundin Emily Mooney bei. Die Trennung von Einwandererfamilien an der US-Grenze zu Mexiko sei nicht hinnehmbar und schlicht unchristlich. "Wir haben geschlafen. Jetzt sind wir aufgewacht", sagt sie.
Ordensfrauen werben auf Bustour für Gerechtigkeit
Vor den sogenannten Midterm-Wahlen am 6. November mobilisieren auch Katholikinnen gegen Trumps Politik, die von vielen als familien- und frauenfeindlich wahrgenommen wird. So etwa katholische Ordensfrauen mit einer Bustour für soziale Gerechtigkeit. Die von Schwester Simone Campbell organisierte Tournee führt quer durch das Land. Campbell gilt nicht nur unter Katholiken als moralische Institution. Lautstark trommelte sie zuletzt gegen die Bestätigung von "Supreme Court"-Richter Brett Kavanaugh.
Bei 54 Stopps in 21 Bundesstaaten wollen die Ordensfrauen für Kandidaten werben, die sich für die Schwächeren in der Gesellschaft stark machen. Gezielt versuchen sie, in den katholisch geprägten Stimmbezirken und in knappen Rennen bei den Kongresswahlen Frauenstimmen zu mobilisieren. Die Abschlusskundgebung ist für 2. November in Mar-a-Lago im US-Bundesstaat Florida geplant, direkt vor Trumps Golf-Villa.
In einem anderen Bus mobilisieren evangelikale Christen, die ähnlich empfinden wie Sarah Bailey und die "Beto"-Anhängerinnen. Unter dem Motto "Kipp den Kongress - Wähle fürs Gemeinwohl" wollen sie Gläubige ansprechen, die Trumps Politik für nicht kompatibel mit ihren Werten halten. Geplant sind bis zum Wahltag im November landesweit Stopps in 30 Kongressbezirken. Allein in Texas, dem Bundesstaat mit dem Showdown zwischen O'Rourke und Cruz, will der Bus sechs Tage bleiben.
Der Organisator der Tour, Pastor Doug Pagitt aus Minneapolis, nennt die Bewegung progressiver Evangelikaler nicht parteiisch. Immer mehr Christen seien empört über die Behandlung von Einwanderern und Flüchtlingen, aber auch den Umgang mit der Schöpfung sowie eine ungerechte Sozial- und Steuerpolitik. "Es wird Zeit, dass wir nicht länger Politiker wählen, die sich nicht um die Geringsten unter uns kümmern", appelliert er an die Evangelikalen. Entschieden wird freilich an der Urne.
Von Thomas Spang