Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst fordert vernünftige Asylverfahren für diejenigen, denen einen Rückführung droht. "Häufig ist der Asylanspruch dieser Menschen noch nicht einmal geprüft worden, weil sie weder in der Türkei, noch in Griechenland ein vernünftiges Asylverfahren bekommen haben", sagt der Referent für Recht und Politik beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Stefan Kessler am Montag gegenüber domradio.de.
32 Syrer in Hannover gelandet
Unter den 202 zurückgeschickten Menschen seien nur wenige Syrer gewesen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag mit. Sie gehörten verschiedenen Nationen an. Die Rückführungen seien sehr friedlich verlaufen.
Im Gegenzug seien insgesamt 32 Mitglieder schutzsuchender syrischer Familien mit dem Flugzeug in Hannover angekommen. In den kommenden Tagen werde der Austausch fortgesetzt. Der Start des EU-Türkei-Abkommens wurde unterschiedlich bewertet.
Zur Rücknahme übermittelt die Türkei dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Liste Schutzbedürftiger, wie ein Sprecher des Innenministeriums erläuterte. Die EU-Länder teilen dem UNHCR zugleich mit, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen wollen. Vor einer Übernahme fänden eine Sicherheitsüberprüfung und ein Identitätsabgleich statt.
Als Kriterien gelten demnach unter anderem die Schutzbedürftigkeit, die Einheit von Familien sowie vorhandene Beziehungen, die für eine Integration förderlich sein könnten. Deutschland will im Rahmen des EU-weiten Ressetlement-Programms von 22.504 Personen zunächst 1.600 Schutzsuchende übernehmen.
Keine Kraft gegen Überstellung
Die Menschen seien verzweifelt, müde und erschöpft. "Sie haben schlicht und einfach keine Kraft, sich großartig gegen die Überstellungen zu wehren", sagte Kessler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst.
Die Türkei beherberge momentan mehr als zwei Millionen Flüchtlinge. Dadurch seien "die Kapazitäten mehr als erschöpft". Zudem gebe es kaum Kapazitäten, um faire Verfahren durchzuführen, sagte Kessler. Die Türkei werde mit der Rücknahme der Flüchtlinge "zum Türsteher für die europäische Union unter Verletzung sowohl von internationalem als auch von EU-Recht".
Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst befürchtet, dass nun mehr Menschen versuchen, durch das gefährliche Libyen über das Mittelmeer nach Lampedusa zu kommen.
Erzbischof Schick in Flüchtlingslagern
Der Bamberger katholische Erzbischof Ludwig Schick forderte einen "menschlich sensiblen und rücksichtsvollen Umgang" mit den betroffenen Flüchtlingen. Viele "sind wirklich traumatisiert und sehen auch keinen Weg mehr zurück", sagte Schick der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Dies habe er bei seinen Besuchen in mehreren Flüchtlingslagern in den letzten Tagen erlebt. Und wenn diese traumatisierten Menschen die Rückführung nicht verstünden, dann werde "sie für sie die Hölle", denn "Recht ohne Menschlichkeit wird unmenschlich".
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, kritisierte die Umsetzung des EU-Türkei-Pakts mit Blick auf humanitäre und rechtliche Anforderungen. So existierten zum Beispiel "offensichtlich noch nicht" die notwendigen Voraussetzungen, um geordnete rechtsstaatliche Verfahren zu gewährleisten, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Das alles deutet nicht darauf hin, dass die jetzt praktizierte Regelung gegenwärtig den geforderten humanitären und rechtlichen Standards genügt."
EKD-Chef Bedford-Strohm vermisst Standards
Grundsätzlich sei es unterstützenswert, Schlepperbanden das Handwerk legen zu wollen, sagte der bayerische Landesbischof, betonte aber auch: "Das Abkommen darf nicht dazu dienen, dass Europa sich abschottet und damit die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen an andere abschiebt."
Auch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl äußerte sich besorgt über die Rückführung der Schutzsuchenden. Das Verfahren sei ein "Akt der Unmenschlichkeit". "Auf Kosten der Schutzbedürftigen wird ein rechtswidriges Exempel statuiert", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu haben laut Seibert in einem Telefonat die Flüchtlingsvereinbarung zwischen der EU und der Türkei bekräftigt. Dagegen sprach Grünenpolitikerin Claudia Roth im Interview der "Passauer Neuen Presse" von einem "unmoralischen Menschentausch". Sie kritisierte, dass die Türkei Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak wieder in die Kriegsgebiete zurückschicke.
Roth: Unmoralischer Menschentausch
"Es geht nur noch darum, die Festung Europa abzusichern. Da sucht man sogar den Schulterschluss mit Erdogan", sagte die Bundestagsvizepräsidentin: "Die Bundesregierung will wie die drei Affen nichts sehen, nichts hören und nichts sagen, um den Deal nicht zu gefährden." Durch das Abkommen mit Ankara gebe es keinen einzigen Flüchtling weniger.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) betonte auf der Konferenz "Asyl und Migration in der Europäischen Union" im Berlin, das Abkommen solle vor allem Schleppern das Handwerk legen. Die Botschaft laute: Wer regulär komme, werde schneller verteilt als derjenige, der sich einem Schlepper ausliefere.
Grünen-Chef Cem Özdemir forderte bereits am Sonntagabend die Unionsparteien auf, die Christen in dem muslimisch geprägten Land "nicht ganz" zu vergessen. "In der Türkei werden Kirchen geschändet. In der Türkei werden christlichen Gemeinschaften die Gebäude enteignet", sagte Özdemir in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Von den C-Partein höre er "da gar nichts dazu".
EU-Kommission weist pauschale Abschiebungen zurück
Die EU-Kommission widerspricht Befürchtungen hinsichtlich pauschaler Abschiebungen im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Abkommen. Jeder Asylantrag in Griechenland werde rechtmäßig geprüft, betonte ein Kommissionssprecher am Montag in Brüssel. Ziel des Abkommens sei es, chaotische, irreguläre und gefährliche Migrationsflüsse durch organisierte, sichere und legale Wege nach Europa zu ersetzen.
Mehrere Länder hätten bereits zugesagt, weitere Asylexperten nach Griechenland zu schicken, damit die Asylanträge dort schneller bearbeitet werden könnten, teilte die Kommission mit. Bisher seien 120 zusätzliche Experten vor Ort, davon 12 deutsche Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen hatte zusätzlich 400 Asylbeamte, 400 Dolmetscher und 30 Richter angefragt.