Kirche ist in Kolumbien in der Schiedsrichterrolle

Präsident verhandelt mit Guerilla

Im eigenen Land von Skandalen verfolgt, kann Kolumbiens Präsident Gustavo Petro bei seinem Deutschland-Besuch einen wichtigen Verhandlungserfolg im Friedensprozess präsentieren. Der Kirche kommt dabei eine besondere Rolle zu.

Autor/in:
Tobias Käufer
Kolumbianische Fahne / © Jerome9009 (shutterstock)

Als mit dem ehemaligen M19-Rebellen Gustavo Petro am 19. Juni 2022 der erste wirklich linke Präsident Kolumbiens gewählt wurde, war die Euphorie unter seinen Anhängern groß. Elf Millionen Stimmen sammelte der Ex-Bürgermeister Bogotas in der Stichwahl und setzte sich gegen Rodolfo Hernandez durch, der nach den Wahlen weitgehend in der Versenkung verschwand.

Ein Jahr später ist der Euphorie Ernüchterung gewichen. Neun Minister wurden in den ersten zwölf Amtsmonaten ausgetauscht. Zudem mussten nach einer dubiosen Affäre um den Diebstahl von ein paar tausend Dollar im Präsidentenpalast Kabinettschefin Laura Sarabia und der Diplomat Armando Benedetti ihre Posten räumen.

Benedetti sprach obendrein in einem Telefongespräch über illegale Wahlkampffinanzierung. Seine Aussagen sind inzwischen Gegenstand juristischer Untersuchungen. Hinzu kommt der mysteriöse Suizid eines Angehörigen der Sicherheitskräfte, der in den Fall verwickelt war.

Kernbotschaft "totaler Frieden"

Dem konservativen Ex-Präsidentschaftskandidaten Federico Gutierrez reichten die Aussagen Benedettis, um von einer "illegalen Präsidentschaft" Petros zu sprechen. Hinzu kommen Inflation und eine gefühlt zunehmend unsichere Lage im Land. In dieser Woche rief Petro dazu auf, Diesel zu sparen, um die Importe zu reduzieren.

Gustavo Petro hat die Präsidentschaftswahl in Kolumbien gewonnen / © Camila Díaz (dpa)
Gustavo Petro hat die Präsidentschaftswahl in Kolumbien gewonnen / © Camila Díaz ( dpa )

Das alles hat messbare Folgen: Je nach Umfrageinstitut ist die Zustimmungsrate für ihn von 48 bis 43 Prozent im Dezember auf inzwischen 33 bis 26 Prozent im Juni zusammengeschmolzen.

Wenn Petro am Freitag in Berlin empfangen wird, kann er aber trotz aller Rückschläge einen ersten großen Verhandlungserfolg präsentieren. Kernbotschaft seiner Präsidentschaft ist die Umsetzung seiner Strategie "Paz total", eines "totalen Friedens" in Kolumbien.

Petro reist zur Friedensverhandlung

Erreicht werden soll dies auf dem Verhandlungswege mit allen bewaffneten Gruppen. Eine ebenso mutige wie riskante Herangehensweise. Mutig, weil sie voraussetzt, dass der Staat Kompromisse macht. Riskant, weil stets das Risiko besteht, dass die illegalen Gruppen die Zurückhaltung des Militärs ausnutzen, um ihre Vormachtstellung in den eigenen Territorien auszubauen.

Als historisch bezeichnet das Regierungslager nun den vereinbarten Waffenstillstand zwischen der größten noch aktiven Guerillagruppe im Land, der ELN, und dem kolumbianischen Staat. Petro reiste eigens in den Verhandlungsort Havanna, um dort mit ELN-Chef Antonio Garcia den Pakt zu besiegeln.

Kubas Machthaber Miguel Diaz-Canel stellte sich symbolisch dazu. Der "bilaterale, nationale und vorübergehende" Waffenstillstand wird laut offiziellen Angaben am 3. August für einen Zeitraum von 180 Tagen in Kraft treten und "nach einer Bewertung durch die Parteien auf Dauer angelegt sein".

Schutzgelderpressung und Lösegeld

Damit ist es der längste Waffenstillstand zwischen Staat und ELN in der Geschichte des Landes. Es gibt allerdings einen bedeutenden Haken: Nach Angaben von ELN-Funktionär Pablo Beltran behält sich die Guerilla vor, an der Praxis von "Steuern", also Schutzgelderpressungen und Lösegeldeinnahmen über Geiselnahmen, festzuhalten. "Die Diskussion über die finanziellen Operationen der ELN hat hier begonnen, aber sie ist noch nicht beendet", wird Beltran zitiert.

Guerilla-Kämpfer im Kolumbien / © Henry Agudelo (shutterstock)
Guerilla-Kämpfer im Kolumbien / © Henry Agudelo ( shutterstock )

Die katholischen Bischöfe in Kolumbien, die den Verhandlungsprozess in Havanna beobachten, reagierten verhalten zuversichtlich auf die Ergebnisse. Die Kirche habe die Nachricht mit Hoffnung aufgenommen, hieß es aus der Kolumbianischen Bischofskonferenz.

Angesichts der jahrzehntelangen Erfahrung mit Rückschlägen und Fortschritten bei den verschiedenen Friedensprozessen boten die Bischöfe erneut ihre Unterstützung an. Die katholische Kirche sei bereit zu helfen, damit das erwartete Ziel erreicht werden könne: "Das Ziel muss die Erreichung eines umfassenden Friedens sein, als Frucht eines aufrichtigen Wunsches nach Versöhnung und wirksamer sozialer Gerechtigkeit."

Dass sich die Kirche verbal etwas zurückhält, hat auch damit zu tun, dass sie gemeinsam mit den Vereinten Nationen den Waffenstillstand überwachen soll. Sie übernimmt damit die Rolle eines Schiedsrichters im Konflikt zwischen Staat und Guerilla.

Gustavo Petro zum neuen Präsidenten in Kolumbien gewählt

Erstmals in der jüngeren Geschichte Kolumbiens hat ein Linker die Präsidentenwahl in Kolumbien gewonnen. Der ehemalige Guerillero und Ex-Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá, Gustavo Petro, kam nach der vorläufigen Auszählung auf 50,4 Prozent der Stimmen. Der Immobilien-Unternehmer Rodolfo Hernández erhielt bei der Stichwahl demnach 47,3 Prozent. "Wir schreiben eine neue Geschichte für Kolumbien, für Lateinamerika und die Welt", sagte Petro am 19. Juni 2022 vor seinen Anhängern. "Was jetzt kommt, ist ein echter Wandel."

Gustavo Petro und Francia Márquez feiern den Wahlsieg um das Präsidentamt in Kolumbien / © Fernando Vergara (dpa)
Gustavo Petro und Francia Márquez feiern den Wahlsieg um das Präsidentamt in Kolumbien / © Fernando Vergara ( dpa )
Quelle:
KNA