Die rund 150 Bootsflüchtlinge, die an Bord eines Schiffes der italienischen Küstenwache im Hafen von Catania auf Sizilien festsaßen, sind in der Nacht zum Sonntag an Land gegangen. Innenminister Matteo Salvini erteilte nach Berichten des italienischen Rundfunks die dafür nötige Genehmigung, nachdem die Staatsanwaltschaft Agrigent Ermittlungen eingeleitet hatte. Der Chef der rechtsnationalen Lega steht im Verdacht, sich durch das Festsetzen der zehn Tage zuvor im südlichen Mittelmeer geretteten Flüchtlinge der Freiheitsberaubung, der unrechtmäßigen Festnahme und des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht zu haben.
Kirche nimmt knapp 100 Migranten auf
Der Sprecher der Italienischen Bischofskonferenz, Ivan Maffeis, sagte im italienischen Fernsehen (Sonntag), man habe eine "unerträgliche" humanitäre Situation beenden müssen. Zugleich erhob er Vorwürfe gegen Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega. Dieser betreibe "Politik auf dem Rücken der Armen", sagte Maffeis. Die Regierung habe die Migranten benutzt, um Europa zu einer Antwort zu zwingen; diese sei teils parteiisch, teils schwach ausgefallen.
Vorerst sei nur die Blockadehaltung von Innenminister Matteo Salvini beendet, so der Sprecher der Bischofskonferenz weiter. Die eigentliche Aufgabe bleibe, kulturelle und politische Lösungen für den "Exodus der Völker" zu finden. In welchen kirchlichen Einrichtungen die Migranten genau untergebracht werden, stand laut Maffeis zunächst noch nicht fest. Es hätten aber zahlreiche Bistümer angeboten, Flüchtlinge von der "Diciotti" aufzunehmen.
UN-Hochkommissar kritisiert Streit der EU-Staaten
Neben Irland erklärte sich zwar auch Albanien dazu bereit nach Angaben des italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, je 20 Flüchtlinge der "Diciotti" aufzunehmen. Aber der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, erklärte am Samstag in Genf, Flüchtlinge dürften nicht länger hin und her verschoben werden, während sich Staaten einen Wettbewerb darum lieferten, wer am wenigsten Verantwortung für Schiffbrüchige im Mittelmeer übernehme.
Der Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs vom Juni, sich gemeinsam um Bootsflüchtlinge auf europäischem Boden zu kümmern, müsse mittels verbindlicher Abkommen umgesetzt werden. Die derzeitige Politik gefährde Menschenleben, sagte der Italiener Grandi. Seit Jahresbeginn seien schon mehr als 1.600 Menschen im Mittelmeer ertrunken.
Seehofer spricht von "Trauerspiel"
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte am Samstag in Berlin, es könne nicht sein, dass jede Woche darüber diskutiert werde, wer welche Flüchtlinge aufnehme. "Es ist ein Trauerspiel, dass wir da in Europa nicht vorwärtskommen", sagte er. In München gingen am Samstag mehrere hundert Menschen auf die Straße, um Solidarität mit den Seenotrettern auf dem Mittelmeer zu bekunden. Aufgerufen zu der Demonstration hatte die Bewegung "Seebrücke".
Ermittlungen gegen Salvini eingeleitet
Der italienische Innenminister Salvini bezeichnete die Ermittlungen gegen seine Person als "Ehrenmedaille". Er dankte den Regierungen von Irland und Albanien für ihre Bereitschaft, einen Teil der Migranten aufzunehmen. Frankreich dagegen solle sich dafür schämen, dass es einer Verteilung nicht zugestimmt habe.
Der italienische Innenminister hatte in den vergangenen Tagen eine Verteilung der "Diciotti"-Flüchtlinge auf andere EU-Staaten zur Bedingung dafür gemacht, diese an Land gehen zu lassen. Die italienische Regierung sei gesprächsbereit. Mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban teile er das Ziel, die EU-Außengrenzen zu schützen und die illegale Einwanderung auf null zu reduzieren, sagte er bei einer Kundgebung in Pinzolo bei Trient.
Die Staatsanwaltschaft Agrigent hatte wegen des Festhaltens der Migranten auf der "Diciotti" zunächst Ermittlungen gegen unbekannt eingeleitet. Nachdem sie den Innenminister als Verdächtigen benannt hat, ist die Abteilung der Staatsanwaltschaft Palermo zuständig, die sich um Vergehen von Regierungsmitgliedern kümmert. Salvini genießt als Minister Immunität. Vor einem möglichen Gerichtsverfahren müsste eine Mehrheit im Parlament diese aufheben.