"Kirche in Not" berichtet von steigender Gewalt im Sudan

Bischof verschanzt sich in der Kathedrale

Auch zum Ende des Fastenmonats Ramadan kommt der Sudan nicht zur Ruhe. Trotz vereinbarter Feuerpausen tobt der Konflikt. Tausende sind aus der Hauptstadt Khartum geflohen. "Kirche in Not" sieht nicht nur die Christen unter Druck.

Luftangriffe und Artilleriefeuer dauern im sudanesischen Khartum weiter an. / © Marwan Ali (dpa)
Luftangriffe und Artilleriefeuer dauern im sudanesischen Khartum weiter an. / © Marwan Ali ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie stehen in Kontakt mit Priestern und Bischöfen aus dem Sudan. Was wissen Sie über die Lage vor Ort?

Projektreferentin für Afrika für Kirche in Not (KiN)
Projektreferentin für Afrika für Kirche in Not / ( KiN )

Kinga Schierstädt (Projektreferentin für Afrika beim katholischen Hilfswerk "Kirche in Not"): Die Situation ist katastrophal, weil die Menschen nicht aus den Häusern können. Das betrifft nicht nur die Christen dort, weil es ja eigentlich kein ideologisch gefärbter Konflikt ist.

Es geht in diesem Fall nicht um einen Religionskampf, sondern um zwei Militärgeneräle, die gegeneinander kämpfen. Aber die Gefahr, dass Zivilisten dem zum Opfer fallen, ist sehr sehr groß, weil ohne Rücksicht auf Verluste geschossen wird. Somit ist die Gefahr außer Haus zu gehen, wahnsinnig groß.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit der Strom- und Wasserversorgung aus?

Schierstädt: Strom- und Wasser-Netzwerke sind teilweise zusammengebrochen, vor allem in den Städten. Die Kontaktperson, mit der ich zuletzt im Norden von Khartum gesprochen habe, hat mir gesagt, sie hätten kein Wasser mehr.

Deren Glück ist es, dass sie einen alten Brunnen im Garten haben. Sie haben zwar keinen Strom mehr, können aber mit dem bisschen Benzin oder Diesel, was sie noch haben, einen Generator anschalten und somit wenigstens an einigen Momenten am Tag mit einer Pumpe das Wasser hochpumpen. Das müssen sie dann natürlich abkochen, weil es eigentlich ein Brunnen ist, dessen Wasser nicht trinkbar ist, weil er eigentlich für den Garten genutzt wird.

Aber die haben wenigstens das Glück, ein bisschen Wasser zu haben. Andere haben das nicht und fliehen deswegen außerhalb der Stadt zu Verwandten, zu Bekannten, in Gegenden, wo das Wasser-Netzwerk noch funktioniert.

eine sudanesische Familie trinkt Wasser aus dem Brunnen / © Kinga Schierstädt (KiN)
eine sudanesische Familie trinkt Wasser aus dem Brunnen / © Kinga Schierstädt ( KiN )

Selbiges gilt auch für die Elektrizität. Die meisten Menschen sind von diesem Konflikt überrascht worden, als die Kämpfe letzten Samstag angefangen haben. Das heißt, sie haben sich nicht mit Essensvorräten eingedeckt. Und selbst wenn sie es getan hätten, würde es kaum etwas nützen. Denn dadurch, dass es keinen Strom mehr gibt, funktionieren die Kühlschränke nicht bei denjenigen, die einen Kühlschrank haben. Die Essensvorräte verfallen also wahnsinnig schnell.

Es kann momentan über 40 Grad im Schatten heiß werden. Ohne Wasser, ohne Strom ist das Überleben wirklich gefährdet.

DOMRADIO.DE: Worum geht es in dem Konflikt?

General Abdel-Fattah Burhan, Kommandeur der sudanesischen Streitkräfte / © Uncredited/Sudan Armed Forces/AP (dpa)
General Abdel-Fattah Burhan, Kommandeur der sudanesischen Streitkräfte / © Uncredited/Sudan Armed Forces/AP ( dpa )

Schierstädt: Es geht um zwei Militärmächte, die gegeneinander kämpfe.: Auf der einen Seite gibt es das offizielle Heer. Dem steht der Präsident vor, General Abdel Fattah al-Burhan. Und auf der anderen Seite sind die Paramilitärs, denen der Vizepräsident Hemeti vorsteht. Die kämpfen gegeneinander um die Macht.

Es war bis 2019 Umar al-Bashir an der Macht, der um die 30 Jahre das Land als Diktator geführt hatte. Als dieser mit einem Militärputsch abgesetzt wurde, hat sich natürlich ein Machtvakuum gebildet, das mit einer Übergangsregierung hätte ausgefüllt werden sollen. Nur diese Übergangsregierung hat nicht wirklich funktioniert. So sind die Spannungen zwischen den Militärs und Paramilitärs in den letzten Monaten, vor allem im letzten Jahr, immer stärker gewachsen.

DOMRADIO.DE: Der Papst war zuletzt im Südsudan, wo die Mehrheit der Bevölkerung christlich ist. Wie sieht die religiöse Konstellation im Sudan aus?

Schierstädt: Im Sudan ist es ganz anders. Da sind ungefähr 95 Prozent der Einwohner muslimisch. Heute ist ja auch das Ende des Ramadan, also ein wichtiger Tag für die Muslime dort. Die Christen sind eine Minderheit von unter 5 Prozent. 

Stichwort Sudan

Der Sudan ist mit 1,8 Millionen Quadratkilometern Fläche nach Algerien und dem Kongo der drittgrößte Flächenstaat Afrikas. Die Bevölkerungszahl wird laut jüngsten Schätzungen auf etwa 46,7 Millionen Menschen beziffert. Politisch instabile Verhältnisse, massive wirtschaftliche Probleme und eine unsichere Ernährungslage schlagen sich unter anderem im Entwicklungsindex HDI nieder: Dort stand der Sudan 2021 auf Platz 172 von 191 Nationen.

Sudanesische Flagge / © BUTENKOV ALEKSEI (shutterstock)
Sudanesische Flagge / © BUTENKOV ALEKSEI ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie versucht das katholische Hilfswerk "Kirche in Not" den Menschen im Sudan zu helfen?

Schierstädt: Momentan können wir nur telefonisch beistehen. Ich versuche die verschiedenen Kontakte täglich anzurufen und sage einfach, dass wir da sind. Ich frage jedes Mal nach, was wir tun können. Was können unsere Spender und Spenderinnen hier tun?

Sie sagen: Bitte nur Beten. Momentan kommt einfach nichts ins Land hinein. Weder materielle Hilfe noch Geld würde ihnen etwas nützen. Sie können nicht aus den Häusern heraus.

Einer von den Bischöfen hat mir gesagt, dass er sich inzwischen in der Kathedrale verschanzt hat beziehungsweise dahin geflohen ist: "Hier bin ich wenigstens in der Nähe vom Allerheiligsten. Das ist momentan mein einziger Schutz."

Ein Bischof versteckt sich während der Kämpfe in dieser sudanesischen Kathedrale / © Kinga Schierstädt (KiN)
Ein Bischof versteckt sich während der Kämpfe in dieser sudanesischen Kathedrale / © Kinga Schierstädt ( KiN )

DOMRADIO.DE: Was schätzen Sie, wie lange die Kämpfe noch dauern könnten? Gibt es eine Prognose oder ist eine weitere Eskalation zu befürchten?

Schierstädt: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich habe diese Frage auch unseren Projektpartnern im Land gestellt. Die meisten sagen: Wenn nicht einer von den beiden Anführern siegt, ist ein Ende nicht abzusehen, weil die Fronten so verhärtet sind und keiner bereit ist aufzugeben.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR