Kirche in Not: Nigeria braucht Machtwechsel

Neue Politiker braucht das Land

Wieder ein Anschlag auf eine katholische Kirche, wieder zahlreiche Tote: In Nigeria nimmt die Gewalt kein Ende. Schuld an der Situation ist laut dem katholischen Hilfswerk "Kirche in Not" vor allem eine korrupte politische und wirtschaftliche Elite. Im domradio.de-Interview erklärt Berthold Pelster, wie ausgerechnet die christlichen Kirchen dem Land helfen können.

 (DR)

domradio.de: Warum ist die Stimmung in diesem Land derartig aufgeheizt?

Pelster: Das hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgeschaukelt. Nigeria ist ein Staat mit Hunderten ethnischen Gruppen und ein religiös gemischtes Land. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung gehört dem christlichen Glauben an, die andere Hälfte dem islamischen. Schon das führt zu Spannungen, die noch durch die große soziale Ungerechtigkeit im Land verstärkt wird. Nigeria erwirtschaftet als einer der größten Erdölproduzenten zwar im Jahr ungefähr 50 Milliarden Dollar Gewinn, aber der kommt nur einer kleinen wirtschaftlichen und politischen Elite zugute. Die große Masse der Bevölkerung geht leer aus, und das fördert natürlich die Unzufriedenheit.



domradio.de: Nach dem Selbstmordattentat kam es zu Ausschreitungen zwischen Christen und Muslime. Junge Christen hätten mit Macheten und Stöcken Muslime angegriffen, heißt es. Kann man sagen, dass die Christen jetzt zurückschlagen?

Pelster: So kann man das nicht sagen. Natürlich produziert Gewalt Gegengewalt, und die Nerven in Nigeria liegen blank. Vor allen Dingen deswegen, weil in den letzten zwei Jahren die Anschläge militanter Islamisten, vor allem die der Terrorsekte Boko Haram deutlich zugenommen haben. Und oft sind christliche Einrichtungen betroffen, Kirchen und Gottesdienstgemeinden. Dabei sind viele Menschen gestorben. Mehr als 1000 Christen, sagen manche Statistiken.



domradio.de: Bisher weiß man noch nicht, wer hinter dem Anschlag steckt. Ähnliche Anschläge in der Vergangenheit wurden der Extremistengruppe Boko Haram zugeschrieben. Was will diese radikal-islamische Sekte?

Pelster: Boko Haram will die islamische Lebensweise stärken, dazu zählt insbesondere die Einführung der Scharia. Alle Menschen - zumindest im Norden des Landes, wo die Muslime die Mehrheit bilden - sollen nach den Vorschriften des Islam leben: den Koran, die islamischen Gesetze und Moralvorschriften ernst nehmen und danach leben. Boko Haram ist in gewisser Weise ein Sammelbecken. Es gibt im Land religiöse Ideologen, die versuchen einen Gottesstaat zu errichten. Es gibt aber auch Kriminelle, Terroristen, die aus anderen Staaten kommen, um Gewalt zu provozieren und das Land vielleicht mit einem Bürgerkrieg zu teilen - damit im Norden ein rein islamischer Staat entstehen kann.



domradio.de: Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Im Norden dominiert der Islam, im Süden das Christentum. Sie sagen, es geht nicht alleine um die religiöse Vorherrschaft oder um Macht und ist kein reiner Glaubenskonflikt?

Pelster: Man kann sagen, dass das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen dem Norden und dem Süden auch mit der religiösen Verteilung zu tun hat. Die Christen sind immer sehr engagiert gewesen, haben christliche Schulen errichtet, haben dafür gesorgt, dass die Menschen eine gute Ausbildung erhalten. Und das spiegelt sich auch ein bisschen in dem höheren wirtschaftlichen Wohlstand im Süden Nigerias wieder. Und im Norden hat damals die britische Besatzungsmacht dafür gesorgt, dass nur Koranschulen eine Berechtigung hatten, christliche Schulen durften nicht errichtet werden. Deshalb ist das Ausbildungsniveau dort ein wenig niedriger.



domradio.de: Der nigerianische Präsident Jonathan sagte im Frühjahr, er habe die Sache im Griff. Das zeigt nun dieser Anschlag, dass das nicht der Fall ist. Was kann man machen gegen diese Ungerechtigkeit? Was kann die Regierung, was kann möglicherweise auch die Kirche tun?

Pelster: Gegen die wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeit müssen die Politiker etwas tun. Leider gehört Nigeria zu den korruptesten Staaten der Welt, und wenn sich daran nichts ändert, wird sich auch nicht die Lage der Menschen verbessern. Die Gewinne aus dem Erdölgeschäft müssen einfach gerechter verteilt werden. Und dazu bedarf es einer neuen Politikergeneration, die Werte wie Gerechtigkeit, Ausgleich und Versöhnung verinnerlicht haben. Das wäre auch eine Chance der christlichen Kirchen mit ihren Schulen und ihren Universitäten: nämlich diese neue Generation von Politikern auszubilden.



Hintergrund: Die katholische Kirche Sankt Rita in Malali nahe der nordnigerianischen Stadt Kaduna war am Sonntagmorgen (28.10.2012) Ziel eines Bombenanschlags geworden. Nach ersten Presseberichten versuchten ein oder zwei Selbstmordattentäter, mit Autos während des Gottesdienstes in die Kirche hineinzufahren, und zündeten dabei Sprengsätze. Es soll mehrere Todesopfer und zahlreiche Verletzte gegeben haben. Wer hinter der Gewalttat steht, ist noch nicht bekannt. Mittlerweile kommen aus Kaduna, der Hauptstadt des gleichnamigen nigerianischen Bundesstaates, auch Berichte, dass aufgebrachte Christen versuchten, sich an muslimischen Mitbewohnern für den Anschlag zu rächen. Kaduna liegt in der Grenzregion zwischen dem christlich geprägten Süden und dem mehrheitlich islamischen Norden des westafrikanischen Landes. Die rund 1,5 Millionen Einwohner zählende Stadt, auch Sitz eines katholischen Erzbistums, ist in der Vergangenheit bereits mehrfach Schauplatz blutiger Gewalt zwischen Muslimen und Christen gewesen.



Das Gespräch führte Monika Weiß.