"Es hat sehr viel Gewalt gegeben. Hier ist es aber heute zum Glück ruhig geblieben." Die Ordensfrau Kathleen McGarvey sitzt in ihrem kleinen Haus im südlichen Teil der Stadt Kaduna. Am Tag nach den schweren Ausschreitungen hat sie das Haus noch nicht wieder verlassen können. Als am Sonntag die ersten Nachrichten von den Anschlägen auf die Shalom-Pfingstkirche in Kaduna sowie die katholische Christkönig-Kirche und die ECWA-Kirche der Frohen Botschaft in der nahen Universitätsstadt Zaria durchsickerten, verhängte Gouverneur Patrick Yakowa umgehend eine 24-stündige Ausgangssperre. Wann diese wieder aufgehoben wird, ist völlig unklar.
Die Ordensschwester, die aus Irland stammt, ist schockiert, wie so viele andere der rund sieben Millionen Einwohner im Bundesstaat Kaduna. Seit vielen Jahren betreut sie die Frauengruppe des Interreligiösen Rates und versucht, Christinnen und Musliminnen an einen Tisch zu bringen, damit sie sich gemeinsam für Frieden einsetzen. "Mir ist dabei wichtig zu betonen, dass Boko Haram nicht nur der Feind der Christen ist. Boko Haram ist unser aller Feind."
Boko Haram schafft es, immer wieder zuzuschlagen
Dass die islamistische Terrorgruppe offenbar vor nichts zurückschreckt, hat sie in den vergangenen zwölf Monaten jede Woche gezeigt. Nach spektakulären Angriffen - etwa auf das Hauptquartier der Polizei in Abuja oder das Gebäude der Vereinten Nationen - sind nun wieder verstärkt christliche Kirchen ins Visier gerückt. Vor zwei gut zwei Wochen griffen Mitglieder in Bauchi an. Einen Sonntag später rückte Jos im Bundesstaat Plateau ins Visier.
Niemand kann auch nur erahnen, welche Stadt, welche Kirchen vielleicht schon am kommenden Sonntag folgen könnte. Vor allem die Kirchen im muslimisch geprägten Norden sind seit Monaten bemüht, sich so gut es geht zu schützen. Sie haben Sperren und Taschenkontrollen eingerichtet und tasten jeden Gottesdienstbesucher ab. Die Maßnahmen werden von oberster Stelle begrüßt. "Wir raten den Kirchen sehr dazu, so gut es eben geht für Sicherheit der Gottesdienstbesucher zu sorgen", sagt Pastor William Okoye von Christlichen Vereinigung Nigerias (CAN), dem Verbund der christlichen Kirchen im Land.
Doch es hilft nicht, ebenso wenig wie eine stärkere Präsenz von Polizei und Militär auf den Straßen. Boko Haram schafft es trotzdem, immer wieder zuzuschlagen. Die offensichtliche Machtlosigkeit hat sich am Sonntagabend auch in der Reaktion von Präsident Goodluck Jonathan gezeigt. Er zeigte sich "sprachlos".
Ende der Gewalt in weiter Ferne
Was allerdings die Situation in Kaduna besonders macht, sind die Gegenangriffe auf muslimische Einwohner. "Vor allem als sich die Nachricht von dem Anschlag auf die Pfingstkirche verbreitet hat, haben Jugendliche mit Gewalt geantwortet und randaliert", berichtet der Bischof von Zaria, George Jonathan Dodo. Genau damit hat Kaduna seit Ende des Militärregimes 1998 wiederholt traurige Berühmtheit erlangt.
Als die Scharia im Norden Nigerias eingeführt wurde, kam es im Jahr 2000 zu blutigen Unruhen; mehrere hundert Menschen starben. Seitdem ist die Stadt gespalten: Während die Muslime im Norden leben, haben sich die Christen in die südlichen Stadtteile zurückgezogen.
Nichtstaatliche Organisationen versuchen seit Jahren, mit Projekten, Workshops und Konferenzen Vertrauen zwischen den Gruppen zu schaffen. Doch sie werden immer wieder zurückgeworfen.
2011, nach den Ausschreitungen im Zuge der Präsidentenwahl, brodelte es im ganzen Bundesstaat viele Tage lang. Amnesty International ging damals von mehr als 800 Toten aus. Mit Boko Haram gibt es nun einen neuen Unsicherheitsfaktor; ein Ende der Gewalt scheint in weiter Ferne.
Nach neuen Anschlägen ist Boko Haram jedermanns Feind in Nigeria
Sonntage der Angst
Auch zwei Tage nach den neuerlichen Anschlägen auf drei Kirchen geht die Suche nach Opfern weiter. Mindestens 45 Menschen sollen in den nordnigerianischen Städten Kaduna und Zaira ums Leben gekommen sein, die Zahl könnte noch steigen. Ein ganzer Bundesstaat ist entsetzt.
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