domradio.de: Nach UN-Angaben sind rund vier Millionen Menschen von Nahrungsmittelblockaden betroffen. Vergangene Woche gab es erschütternde Berichte über die syrische Stadt Madaja. Die wird systematisch von Assads Soldaten und der Hisbollah ausgehungert. Was wissen Sie über die humanitäre Lage in Syrien?
Berthold Pelster (Nahost-Experte des kirchlichen Hilfswerks "Kirche in Not"): Madaja ist eins von vielen Beispielen, wo Hunger als tödliche Waffe im Krieg eingesetzt wird. Wir haben letzte Woche die Bilder gesehen - im Fernsehen, in den Zeitungen. Diese Stadt wurde vor längerer Zeit von syrischen Rebellen der Opposition erobert. Die Regierung versucht seit etwa einem halben Jahr, die Stadt zurückzuerobern. Sie hat mit ihren Truppen die Stadt umzingelt, lässt kaum noch jemanden rein oder raus. Das hat zur Folge, dass auch kaum noch Lebensmittel in diese Stadt hineinkommen, wo rund 40.000 Menschen leben sollen. Die Stadt soll ausgehungert werden und damit soll eben der Widerstand der Rebellen gebrochen werden. Die Menschen haben seit Monaten keine Nahrungsmittel mehr erhalten. Im Oktober ist wohl nochmal ein Hilfskonvoi in die Stadt hineingelassen worden, aber das war natürlich nur eine punktuelle Hilfe. Die Lebensmittel sind inzwischen längst aufgebraucht, und die Menschen hungern.
domradio.de: Was passiert mit diesen Konvois, mit den Lebensmitteln, die einfach nicht reingelassen werden?
Pelster: Zum Teil werden solche Lebensmittelkonvois von irgendwelchen Milizen überfallen. Diese Nahrungsmittel werden dann von IS-Truppen zum Beispiel weiterverkauft, auf Schwarzmärkten zu horrenden Preisen. Ich habe gelesen, dass in Madaja zum Beispiel ein Pfund Reis inzwischen hundert oder zweihundert Dollar kosten soll. Das kann sich kaum noch ein Mensch leisten. Viele Menschen sind wirklich vom Hungertod bedroht.
domradio.de: Die Christen sind in der Region durch die Terrormiliz IS und andere terroristische Gruppen unter Druck. Wie sehr setzen ihnen jetzt Winter und Hunger zusätzlich zu?
Pelster: Der Winter bringt natürlich zusätzliche Probleme. Viele Häuser sind zerstört, da funktioniert nichts mehr - kein Strom und keine Heizung. Andere Häuser sind zwar noch intakt, aber wegen vielfacher Stromausfälle lassen sich da auch Heizungsanlagen nicht betreiben, die zum Teil mit Strom betrieben werden. Die Menschen müssen also sehen, dass sie gerade jetzt im kalten Winter, der ja in Syrien sehr kalt werden kann, Zuflucht finden in den noch intakten Wohnungen. Zum Teil wird auch mit Heizöl geheizt, aber auch das können die Menschen nicht bezahlen. Deswegen ist auch in diesem Bereich humanitäre Hilfe erforderlich. Kirche in Not zum Beispiel gibt dort finanzielle Hilfen, dass die Kirchengemeinden Heizöl kaufen können und die Menschen versorgen können.
domradio.de: Mit welchen Maßnahmen helfen Sie den Menschen sonst noch vor Ort in Syrien?
Pelster: Viele Menschen sind arbeitslos, was man sich leicht vorstellen kann. Die Fabriken sind zum großen Teil zerstört, Büros sind zerstört. Unternehmen, Banken, Behörden - das alles funktioniert ja nicht mehr. Das heißt, die Menschen haben kein Einkommen mehr, die Ersparnisse sind längst aufgebraucht. Wenn jetzt jemand noch zur Miete wohnt, kann er die Miete nicht bezahlen. Auch diese Menschen unterstützt Kirche in Not mit finanziellen Zuschüssen. Ansonsten versuchen wir, Medikamente bereitzustellen, warme Kleidung jetzt für den Winter und dergleichen Dinge mehr.
domradio.de: Es ist ein eingekesseltes Gebiet, wo über die Straßen nichts reinkommt. Vielleicht ist es naiv, aber ich habe gerade an die Rosinenbomber gedacht. Gibt es Möglichkeiten, die Menschen aus der Luft zu versorgen.
Pelster: Das müssen Militärexperten sagen, ob das möglich ist. Denn es wird ja überall geschossen und es gibt sicherlich auch Luftabwehrraketen oder andere Anlagen. Also es ist vielleicht nicht ganz ungefährlich, auf diese Art und Weise zu operieren. Das können aber nur Militärexperten beantworten.
domradio.de. Seit Beginn des Syrienkrieges im Jahr 2011 har Kirche in Not rund 11 Millionen Euro an Nothilfe zur Verfügung gestellt, über ihre Kontakte, die sie in Syrien haben. Gibt es da irgendwelche Anzeichen, dass dieser Krieg irgendwann ein Ende fände?
Pelster: Das hoffen wir natürlich alle und die Menschen in Syrien mehr als alle anderen, dass dieser entsetzlich brutale Krieg endlich ein Ende findet. Aber die Situation ist meines Erachtens so verfahren wie selten zuvor. Zwei Regionalmächte sind ja in diesen Konflikt involviert, der Iran und Saudi-Arabien. Hier hat es ja erst vor wenigen Tagen eine deutliche Zunahme der Spannungen zwischen den beiden Ländern gegeben, nachdem in Saudi-Arabien ein schiitischer Geistlicher hingerichtet worden ist. Die diplomatischen Kontakte sind abgebrochen. Und solche diplomatischen Kontakte wären eine der Grundvoraussetzungen für Gespräche zu einer Lösung dieses Syrienkonfliktes.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.