Nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko kochen in Belarus (Weißrussland) die Gemüter hoch. In den Straßen der Hauptstadt Minsk kommt es seit Tagen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Opposition.
In dieser Situation tritt der katholische Erzbischof von Minsk-Mahiljou, Tadeusz Kondrusiewicz, zunehmend als Mittler auf. Vor wenigen Tagen schlug der 74-Jährige die Einberufung eines runden Tischs vor und rief zum Gebet für eine "friedliche Beilegung aller Probleme" auf.
Seltenes politisches Engagement
Dass die katholische Kirche in Belarus mit politischem Engagement auffällt, kommt eher selten vor. Die Mehrheit der rund 9,5 Millionen Einwohner bekennt sich zur orthodoxen Kirche, nur etwa 15 Prozent sind Katholiken. Kondrusiewicz, gebürtig aus Belarus, wird bei offiziellen Anlässen eher als Vertreter des Vatikan wahrgenommen. Bisher äußerte er kaum Kritik an der Staatsführung; lediglich sein Nein zur Todesstrafe tat er mehrfach öffentlich kund.
Sein Schweigen zu politischen Themen lässt sich angesichts der Situation der Katholiken in Belarus nachvollziehen. Die meisten Priester stammen aus dem Ausland, hauptsächlich aus Polen. Als Zugezogene sind sie vom Wohlwollen der Behörden abhängig. "Europas letzter Diktator" Lukaschenko kontrolliert damit letzten Endes auch das Glaubensleben.
Das Erzbistum Minsk-Mahiljou
Dabei ist es bemerkenswert, dass der Ursprung des Erzbistums Minsk-Mahiljou durchaus ein Politikum von europäischer Tragweite war. 1782 erhob die russische Zarin Katharina die Große das Bistum Mahiljou zum lateinischen Erzbistum für ganz Russland - kraft eigener Autorität ohne Zustimmung des Papstes. Ein Affront, der in Rom zwar zu Stirnrunzeln führte, jedoch ungeahndet blieb, da man keine Handhabe gegen Sankt Petersburg hatte.
Der erste Erzbischof, Stanislaw Jan Siestrzencewicz Bohusz (1731-1826), war zuvor apostolischer Visitator für die Katholiken im Zarenreich und unterstand in dieser Funktion eigentlich direkt dem Papst. In der Folgezeit lavierte er geschickt zwischen Rom und Sankt Petersburg, bis er sich schließlich offen auf die Seite der Zarin stellen musste.
Die Erhebung von Mahiljou folgte einer klaren Agenda: Durch die polnische Teilung von 1772 lebte eine große katholische Minderheit auf dem Gebiet des orthodox geprägten Zarenreichs. Für sie sollte eine zentrale Anlaufstelle in Russland geschaffen werden, um die Katholiken in den Staat zu integrieren.
Im Austausch für die freie Glaubensausübung forderte die Zarin die katholischen Christen auf, ihr den Treueschwur zu leisten. Wie Lukaschenko wollte letztlich auch Katharina die Kontrolle über eine ihr geneigte katholische Kirche haben. Dabei wurde das Zarenreich für manche Katholiken zum Sehnsuchtsort, weil sich ein radikaler Antiklerikalismus im übrigen Europa ausbreitete.
Herausgehobene Stellung
Prominentester Nutznießer der Politik der Zarin waren die Jesuiten. Tatsächlich konnte der Orden in Russland nach seiner Aufhebung durch Papst Clemens XIV. im Jahr 1773 überwintern. Katharina weigerte sich, die päpstliche Anordnung in Kraft zu setzen. Auch diesem zweiten Affront musste Rom weitgehend tatenlos zuschauen. Papst Pius VI., seit 1775 auf dem Stuhl Petri, protestierte ohne Erfolg.
Das Kolleg im heute weißrussischen Polozk blieb auch nach der Wiederzulassung der Jesuiten 1814 zunächst das Zentrum des Ordens - bis nach dem Tod des Generaloberen Tadeusz Brzozowski 1820 das Zarenreich ironischerweise auch der erste Staat war, der die Jesuiten wieder von seinem Territorium vertrieb. Unter der Herrschaft von Nikolaus I. (1825-1855) begann schließlich eine antikatholische Politik, die auch Verfolgungen und Zwangsbekehrungen beinhaltete.
Dessen ungeachtet behielt das Erzbistum Mahiljou seine herausgehobene Stellung. Durch die Abwanderung der Jesuiten und anderer Katholiken verlor es international allerdings an Bedeutung. Bereits 1798 waren zudem Teile des Territoriums der Diözese zur Gründung eines Bistums Minsk herausgelöst worden. Über längere Zeit stand der Erzbischof von Mahiljou in Personalunion auch dem Minsker Bistum vor. 1991 folgte schließlich die Zusammenlegung, nun aber zugunsten der Hauptstadt als Sitz des Erzbischofs.