Kirchen werden im Ukrainekrieg zum Machtfaktor

Der Papst vermittelt, doch verurteilt er auch? 

Der Krieg in der Ukraine ist auch religiös aufgeladen. Während der Papst Vermittler schickt, bangt ein Bischof um sein Leben.

Autor/in:
Johannes Senk
Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus (shutterstock)
Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus ( shutterstock )

Als ehemalige Boxweltmeister genießen die Brüder Vitali und Wladimir Klitschko eine weltweite Prominenz und Wertschätzung. Diese dürften zuletzt noch weiter gestiegen sein, seitdem immer wieder Bilder auftauchen, wie die beiden, der ältere Vitali inzwischen als Bürgermeister von Kiew, im Krieg gegen Russland ihre ukrainische Heimat verteidigen.

Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew und ehemaliger Box-Profi, gestikuliert während eines Interviews mit der Associated Press (AP) in seinem Büro im Rathaus / © Efrem Lukatsky (dpa)
Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew und ehemaliger Box-Profi, gestikuliert während eines Interviews mit der Associated Press (AP) in seinem Büro im Rathaus / © Efrem Lukatsky ( dpa )

Dementsprechend medienwirksam war auch der Appell, den die Klitschko-Brüder am Wochenende an religiöse Oberhäupter in der ganzen Welt gerichtet haben: "Was im Herzen Europas passiert, berührt die Herzen aller auf dem Planeten, die Gerechtigkeit und das Gute lieben, unabhängig von ihrer Herkunft und Religion", so die Botschaft.

Haltung der Kirche gefordert

Die geistlichen Oberhäupter der Welt, müssten Stellung beziehen und "stolz die Verantwortung ihrer Religionen für den Frieden übernehmen".

Namentlich wandten sich die Brüder unter anderem an Papst Franziskus, aber auch an den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. in Moskau. "Ich lade Sie ein, nach Kiew zu kommen, um ihre Solidarität und ihr Mitgefühl mit dem ukrainischen Volk zu zeigen", so Vitali Klitschko. "Machen wir Kiew zu einer Hauptstadt der Menschlichkeit, der Spiritualität und des Friedens."

Papst: Es ist Krieg

Papst Franziskus leistete dieser Einladung nun zumindest indirekt Folge. Am Sonntag gab das Kirchenoberhaupt bekannt, zwei Kardinäle aus seinem engsten Umfeld in die Ukraine beordert zu haben.

Papst Franziskus telefoniert / © Riccardo De Luca (dpa)
Papst Franziskus telefoniert / © Riccardo De Luca ( dpa )

Mit den Kurienkardinälen Konrad Krajewski und Michael Czerny gehen zwei vatikanische Topkräfte in das Kriegsland, "um dem Volk zu dienen und helfen", wie Franziskus sagte, aber auch, um sich als mögliche Vermittler anzubieten. Der Pole Krajewski ist Sozialbeauftragter des Papstes, Czerny leitet derzeit die Entwicklungsbehörde.

Bevor er sich bis Freitag zu den traditionellen Fasten-Exerzitien kurzzeitig aus der Öffentlichkeit zurückziehen wird, erneuerte Papst Franziskus auch sein Flehen um Frieden. "Ströme von Blut und Tränen fließen in der Ukraine. Es handelt sich nicht nur um eine Militäroperation, sondern um einen Krieg, der Tod, Zerstörung und Elend mit sich bringt", klagte das Kirchenoberhaupt.

Kyrill: Enge Verbindung zu Putin

Frieden und ein Ende des Blutvergießen wünscht sich auch sein Moskauer Konterpart Kyrill I. Dennoch liegen die Voraussetzungen beim russisch-orthodoxen Kirchenoberhaupt signifikant anders. Schon seit längerem wird dem Patriarchen eine allzu große Nähe zu Präsident Wladimir Putin vorgeworfen.

Tatsächlich sind die Bindungen zwischen dem Kreml und der Kirche unter Putins Regierung sehr eng geworden: Die Kirche profitiert von der Unterstützung durch die Regierung, diese kann durch die Kirche Einfluss auf die konservativen orthodoxen Kreise ausüben.

Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und Patriarch Kyrill / © Alexander Nemenov (dpa)
Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und Patriarch Kyrill / © Alexander Nemenov ( dpa )

Dass Kyrill eine andere Position als der Präsident vertritt, wäre deswegen wohl nicht zu erwarten gewesen. Dennoch dürfte der Legitimationsgrund, den der Patriarch am Sonntag für den Einmarsch anbrachte, viele überrascht haben. Laut Kyrill geht es auch darum, die Gläubigen im Donbass, dieser Region in der Ostukraine, die seit 2014 durch von Moskau unterstützte russische Separatisten kontrolliert wird, zu schützen - vor offen ausgelebter Homosexualität.

Wörtlich nennt Kyrill "Gay-Pride-Paraden", die er den Gläubigen von nicht näher definierten "Mächten" aufgezwungen sieht als Angriff auf die christlichen Werte. Hier entstehe ein Druck, um in "den Club" aufgenommen zu werden. Doch handle es sich um schwere Sünde und einen "Verstoß gegen die Gesetze Gottes", betonte Kyrill: "Und wenn wir Verstöße gegen dieses Gesetz sehen, werden wir niemals diejenigen dulden, die dieses Gesetz zerstören".

Krieg soll vor Homosexualität "schützen"

Derartige Legitimationen sind indes nichts Neues. Schon mehrfach in den vergangenen Wochen hatten Akteure aus Kirche, Politik und Gesellschaft, darunter auch die deutschen Bischöfe, den Patriarchen für seine Versuche einer religiösen Rechtfertigung des Krieges kritisiert.

Zudem forderten sie ihn auf, sich deutlich gegen die militärische Aggression Russlands in der Ukraine zu wenden. Diesem kam Kyrill bislang nicht nach; es wird dazu wohl auch nicht kommen.

Kritik am Verhalten des Papstes

Papst Franziskus stand mit solchen Forderungen jedoch bislang zurück, was nicht unbemerkt geblieben ist. Er schone Kyrill, statt Klartext zu reden, warf nun der Salzburger katholische Theologe Hans-Joachim Sander Franziskus vor. Zwar stelle sich der Papst natürlich gegen den Krieg, so Sander in einem Beitrag für das Portal katholisch.de. "Aber zugleich will er die potenzielle Einladung nach Moskau durch eben diesen Patriarchen noch nicht in den Wind schreiben und lässt dessen symbolische Jacht weiter im Vatikan ankern."

Der Moskauer Patriarch, so Sander weiter, fabuliere von der "Einheit der Rus, als ob ein Mythos, wird er nur kirchlich bedient, über einen brutalen Angriffskrieg und die Vergewaltigung eines ganzen Volkes hinwegtäuschen könnte."

Eine gespaltene Kirche

Russisch-orthodoxe Kirche

Die russisch-orthodoxe Kirche ist mit rund 150 Millionen Gläubigen die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. In Russland bekennen sich gut zwei Drittel der Bevölkerung zu ihr - etwa 100 Millionen Menschen. Fast alle übrigen früheren Sowjetrepubliken zählt das Moskauer Patriarchat ebenfalls zu seinem kanonischen Territorium.

Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate (shutterstock)
Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate ( shutterstock )

Tatsächlich sind die innerkirchlichen Spannungen in der orthodoxen Kirche in der Ukraine enorm: Dort hatte sich 2018 die Orthodoxe Kirche der Ukraine als autokephale (eigenständige) Teilkirche vom Moskauer Patriarchat losgesagt. Seitdem existiert sie neben der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die weiterhin Kyrill untersteht.

Die Anerkennung der neuen eigenständigen Kirche durch den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., das zeremonielle Oberhaupt der Weltorthodoxie, sorgte denn auch für reichlich Verstimmung in Moskau.

Bischof auf Todesliste

Es stehen sich in diesem Krieg also auch zwei Kirchen gegenüber, deren Selbstverständnis eng an den nationalen Rahmen gebunden ist.

Aussagen des Oberhauptes der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius, wonach es seit dem Beginn der russischen Invasion bereits drei versuchte Mordanschläge auf ihn gegeben haben soll, scheinen deshalb durchaus plausibel.

Metropolit Epiphanius / © Sergey Korovayny (KNA)
Metropolit Epiphanius / © Sergey Korovayny ( KNA )

Dem griechischen Staatssender ERT sagte der Geistliche, er sei "Ziel Nummer fünf auf einer Liste der Russen mit zu tötenden Personen" - darüber hätten ihn andere ausländische Geheimdienste informiert.

Quelle:
KNA