Es war eine bemerkenswerte Würdigung: Als einen "von der Kirche verkannten Propheten" bezeichnete der katholische Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer Ende 2018 den Paderborner Ex-Priester und Psychotherapeuten Eugen Drewermann. Was er in seinen Büchern "Strukturen des Bösen" und "Kleriker" über die Kirche geschrieben habe, sei aus heutiger Sicht "prophetisch", so Wilmer. Es brauche solche Menschen, die den "Bischöfen auf die Füße treten, und mag das noch so weh tun".
Austritt zum 65. Geburtstag
Ob Wilmer im Kreis der Bischöfe damit allein steht? Das ließe sich an den Gratulationsbriefen ablesen, die Drewermann am 20. Juni erhält. Denn dann wird der Paderborner mit der monotonen Stimme und der Vorliebe für gestrickte Westen und Rollkragenpullover 80 Jahre alt. 15 Jahre zuvor hatte er demonstrativ seinen 65. Geburtstag genutzt und einen Schlussstrich gezogen: Er erklärte seinen Austritt aus der Kirche - ein "Geschenk der Freiheit an mich selber".
Drewermann verbindet in seinen Werken Theologie und Tiefenpsychologie. Noch 2019 veröffentlichte er ein Buch über den Dichter Hermann Hesse, zu dem er eine Seelenverwandtschaft fühlt, weil Hesse die Suche des Menschen nach sich selbst und die persönlich verantwortete Existenz zu zentralen Themen gemacht hat. Drewermann hat die Summe seines Denkens in seinem 2014 erschienenen Buch "Wendepunkte, oder: Was eigentlich besagt das Christentum?" veröffentlicht: Es ist das Plädoyer für einen Perspektivwechsel von einem institutionell-äußerlichen zu einem spirituellen, innerlichen Christentum.
Ein Kirchenkritiker, der aneckt
Für die einen war der aus einer Bergmannsfamilie stammende Drewermann ein Guru, für andere ein Ärgernis. Nach Ansicht der Bischöfe leugnete er zentrale Wahrheiten des Glaubens. Drewermann seinerseits wirft der Kirche vor, sie sei in dogmatischen Formeln erstarrt, verdecke die heilende Botschaft des Evangeliums und schreibe den Gläubigen eine lebensfremde Moral vor.
Geboren in Bergkamen bei Dortmund, studierte Drewermann Philosophie und Theologie, später Psychoanalyse. Ab 1972 war er als Priester in Paderborn tätig. Seit 1979 hielt er Vorlesungen in Religionsgeschichte und Dogmatik an der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät. Bereits 1989 versuchte Drewermann in seinem Buch "Kleriker", "ekklesiogene Neurosen" des Priester- und Mönchsstandes aufzudecken.
Eskalation nach "Spiegel"-Gespräch an Weihnachten 1991
Im Oktober 1991 entzog Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt seinem populären Priester die Lehrerlaubnis. Drei Monate später verbot er ihm zu predigen, seit März 1992 durfte der Theologe auch sein Priesteramt nicht mehr ausüben. Auslöser für die Eskalation war ein "Spiegel"-Gespräch an Weihnachten 1991. Darin bezweifelte der Theologe, dass Jesus die Sakramente in der von der Kirche verkündeten Form eingesetzt habe. Er bezeichnete Jungfrauengeburt, Weihnachtsgeschichte und Himmelfahrt als Mythen.
Zu den mehr als 80 in zahlreiche Sprachen übersetzten Büchern des Auflagen-Millionärs gehören ein mehrbändiges Werk über "Glauben in Freiheit", ein Roman über den als Ketzer verbrannten Giordano Bruno, dicke Wälzer über das Markus-, Johannes- und Lukas-Evangelium sowie Märchen-Interpretationen. Andere Werke bewegen sich im Grenzgebiet von Biologie und Kosmologie und Theologie.
Einsatz in der Politik
Auch politisch mischte sich Drewermann ein. Er wandte sich gegen eine Militarisierung der Politik, setzte sich für den Tierschutz ein und prangerte Umweltzerstörung an. "Die Nato ist das aggressivste Bündnis, das die Menschheit je gesehen hat", polterte er. Und scheute sich Ende 2014 auch nicht, bei einer Demonstration von Altkommunisten, Neu-Rechten wie den "Reichsbürgern" und Verschwörungstheoretikern aufzutreten. Kritiker halten ihm vor, er psychologisiere die Politik und greife auf konservativ-reaktionäre Denktraditionen zurück.
Kirchlich gab es zuletzt versöhnliche Signale: 2019 lud die Theologische Fakultät in Paderborn ihn zu einem Vortrag an seine frühere Wirkungsstätte ein. Drewermann selber bezeichnete Papst Franziskus als "aufrechte Person", die es allerdings oft schwer habe, sich im Vatikan durchzusetzen. Für ihn selbst, so Drewermann, gebe es keinen Weg zurück. "Jesus hat nicht einmal das Christentum gegründet und ganz sicher keine Kirche."