Kleine Kirchen in Spaniens großer Pilgerstadt

Sakrale Perlen in Santiago

Um die Kathedrale von Santiago de Compostela herrscht Dauerbetrieb. Hier treffen sich Jakobspilger, Gott und die Welt. Ganz in der Nähe hingegen betritt man unbekanntere Kirchen, versteckte sakrale Perlen.

Autor/in:
Andreas Drouve
Die Kathedrale von Santiago de Compostela (KNA)
Die Kathedrale von Santiago de Compostela / ( KNA )

Plötzlich fühlt man sich weit weg. Kaum zwei Gehminuten von der Praza do Obradoiro entfernt, dem riesigen Freiplatz vor der Hauptfassade von Santiagos berühmter Kathedrale, sind die Pilger- und Besuchermassen verschwunden. Die wenigen Stimmen, die von der Gasse draußen ins Innere des Kirchleins San Fructuoso dringen, sind kaum der Rede wert. Hierher verirren sich nur wenige. Bescheidene Holzbänke bieten Platz, die Barockkuppel steigt umso eindrucksvoller hinauf. Seitlich vor dem Altarraum brennen Kerzen zu Ehren des heiligen Fructuosus von Braga, im 7. Jahrhundert Gründer zahlreicher Klöster in Portugal und Spanien.

Stärkerer Blickfang als die Skulptur des Namensgebers der Kirche ist die Schmerzensmutter im Hochaltar. Die Mater Dolorosa wird wie auf einer Bühne in Szene gesetzt, hinter der Figur hat der Bildhauer einen Vorhang gestaltet. Wirkungsvoll wirft Maria den Schatten ihrer grazilen rechten Hand darauf, mit der Linken umfasst sie den Sohn. Die Kirche San Fructuoso nimmt die Stelle eines vormaligen Friedhofs für Jakobspilger ein, die im königlichen Spital gestorben waren. Für Stadtführer Francisco Esteban Palomo ist sie "ein Musterbeispiel des geometrischen Barocks", wie er sich in Santiago de Compostela fantasiereich entwickelte.

Kunst im Dämmerdunkel

Der Barockstil setzt sich in der Klosterkirche San Pelayo fort, gleich gegenüber der Ostfassade der Kathedrale. Über Tag ist man oft allein hier, die Augen müssen sich an das Dämmerdunkel erst gewöhnen. Der Kirche angeschlossen ist ein Museum der sakralen Kunst, das allerdings kaum Zulauf findet. Geführt wird es von der Gemeinschaft der Benediktinerinnen, die das Gotteshaus bei den Abendmessen auf besondere Weise mit Leben erfüllen: durch ihre Chorgesänge.

Aus der Gemeinschaft, die heute 24 oft schon betagte Schwestern zählt, erheben sich hauchzarte Stimmen, unterlegt von Orgelspiel.
Nicht jeder Ton sitzt, manches wirkt ein wenig brüchig. «Wer nicht richtig singen kann, tut, was er kann», sagt Schwester Carmen García Castro. «Aber wir stehen alle in der Pflicht zu singen, um so den Herrn zu loben.» Eins ist gewiss: Die Gesänge kommen aus vollstem Herzen. Die Teilnahme an der Abendmesse der Benediktinerinnen ist eines der berührendsten Erlebnisse in Santiago.

Oase des Friedens

Erreichen Jakobspilger die Altstadt, eilen sie möglichst rasch zur Kathedrale und übergehen kleine Gotteshäuser wie Santa Maria do Camino. Das langgestreckte, einschiffige Innere empfängt wie eine Oase des Friedens und wurde über dem Vorläufer aus dem Mittelalter zur Barockzeit neu erbaut. Ebenso stimmungsvoll ist die im 18. Jahrhundert erneuerte Kirche San Bieito do Campo, gelegen an der Praza de Cervantes.

Besonderheiten dort sind zwei Reliefszenen links hinter dem Eingang, die aus dem gotischen Ursprungsbau stammen: Mariä Heimsuchung und die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenland. Die Vielfarbigkeit mit den rosigen Wangen Mariens, einem schwarzen König und den Gewändern in Rot- und Blautönen beeindruckt. Ungewöhnlich ist ein hoch an der Wand hängender Elfenbeinchristus, zu dem Aufpasserin Consuelo Couto eine besondere Beziehung hat. Vor Jahren verhinderte ihr mittlerweile verstorbener Mann Isidro im letzten Moment den Diebstahl der Skulptur, erzählt sie.

Ein kleiner Schatz

Und dann führt der Weg doch noch in die Kathedrale, aber nicht in die Haupthalle und nicht zum Jakobsgrab. Beim Nordportal gehen Stufen hinauf zur Kirche Santa Maria la Antigua de la Corticela. "Viele halten sie für eine Kapelle der Kathedrale, aber das ist falsch. Es handelt sich um eine eigene Pfarrei", stellt Stadtführer Francisco klar. Hinter einer Glastür und dem historischen Portal, das die Anbetung der Könige thematisiert, verebbt der Trubel. Die Ruhe schafft sich Raum.

Der Innenraum bewahrt die archaische Aura wiederhergestellter Präromanik. Nur spärlich dringt das Licht in die Kirche. Doch die Marienskulptur im Altarraum ist punktgenau angestrahlt, eine Großnische mit einem Bildnisdoppel an der Seite, das Hauptziel vieler Gläubiger. Andächtig, stillschweigend legen sie Dankes- und Bittzettel über die Hände Christi, den im Garten am Ölberg ein Engel tröstet.

 

Quelle:
KNA