domradio.de: Der Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller sagt, dieser Papst lasse sich in keine Schublade einordnen, man müsse ihn aus seiner jesuitischen Tradition heraus verstehen. Wie sehen Sie das?
Ludwig Ring-Eifel (Chefredakteur KNA): Was Schüller damit wohl meinte, ist, dass man Franziskus weder als links, noch als rechts; weder als konservativ, noch als progressiv einordnen kann. Das ist sicher eine richtige Beobachtung, nur muss man sehen, dass von den Dingen, die Franziskus sagt und die er anstößt, in der Öffentlichkeit überwiegend diejenigen Dinge wahrgenommen werden, die eher in das progressive, in das erneuernde gehen. Seine konservativen Äußerungen werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Deswegen ist er in der öffentlichen Wahrnehmung eher ein Erneuerer als ein Bewahrer.
domradio.de: Wo liegen denn jetzt zum Beispiel eher konservative Schübe, die wie Sie sagen “gar nicht wahrgenommen werden“?
Ring-Eifel: Wenn er sich etwa zur Abtreibung äußert, wenn er sich über Homosexualität äußert. Da ist er in manchen Aussagen sehr, sehr hart auf einer konservativen Linie, aber das wird eben in den Medien eigentlich gar nicht transportiert.
domradio.de: Die Beliebtheit dieses Papstes ist sehr groß gerade auch bei Leuten, die der Kirche skeptisch gegenüberstehen. Die Kirchenaustritte sind dennoch gleichbleibend hoch. Wie muss man denn hier einen Franziskus-Effekt, von dem immer wieder die Rede gewesen ist, definieren?
Ring-Eifel: Ich glaube, dass der Franziskus-Effekt tatsächlich etwas stärker außerhalb der Kirche zu spüren ist, als innerhalb. Er hat wahrscheinlich mehr Bewunderer und Anhänger, die der Kirche fernstehen, die eben das an ihm schätzen, was so unkonventionell ist, eben das, was er erneuert hat. Er hat ja einen völlig neuen Stil des Auftretens geprägt, er hat einen völlig neuen Stil, auf die Menschen zuzugehen. Das sind alles Dinge, die Sympathien eintragen. Und er hat die verkrusteten Strukturen vor allen Dingen im Vatikan in Frage gestellt. Auch so etwas bringt Beifall sowohl innerhalb, aber eben auch außerhalb der Kirche.
domradio.de: Muss man denn jetzt das Wort ‘romtreu‘ neu verstehen? Hat es da einen Paradigmenwechsel gegeben im Gegensatz zu, sagen wir mal, vor fünf Jahren?
Ring-Eifel: Ja, wenn man heute von romtreu spricht oder von papstreu, dann meint man eigentlich, dass man sich eben an dieser neuen Linie des Papstes orientiert. Und dass man in den strittigen Fragen, wie jetzt etwa in der Morallehre insbesondere auch bei der Ehe-Moral und Frage nach den wiederverheirateten Geschiedenen, an den Öffnungen orientiert, die dieser Papst jetzt gesetzt hat. Dann ist man jetzt neuerdings romtreu. Oder aber, ob man konservativ bleibt und an den alten Auslegungen der Lehre festhält. Dann ist man allerdings nicht mehr romtreu, sondern ist jetzt auf einmal papstkritisch. Insofern hat sich das genau in das Gegenteil verkehrt zu dem früheren Diskurs, wo eben romtreu und konservativ identisch war.
domradio.de: Franziskus legt ja ein unwahrscheinliches Tempo vor, was seine Alltagsplanung anbelangt. Eine seiner Baustellen ist die Kurienreform, bei der er sich von einem kleinen Kreis von Kardinälen beraten lässt. Wie sieht es mit Ergebnissen mit Langzeitwirkung aus? Kristallisiert sich da für Sie schon etwas heraus, wo man sagen kann, das ist das, was am Ende bleiben wird?
Ring-Eifel: Das ist sehr schwer zu sagen, weil er doch sehr viel länger dafür braucht, als man ursprünglich dachte. Die Beratungen gehen jetzt schon in das dritte Jahr, ich glaube, das war schon das 17. oder 18. Treffen der Kardinäle jetzt. Diese Struktur, diese vatikanische Kurie sinnvoll umzubauen, ist tatsächlich ein Mammutunternehmen und bis es da konkret Ergebnisse gibt, das dauert. Das erste, wo ich jetzt konkrete Ergebnisse tatsächlich sehe ist im Medienbereich. Da werden tatsächlich viele Doppelstrukturen, die überflüssig waren, die unproduktiv waren, abgebaut. Der ganze Medienbereich wird modernisiert, wird im Rahmen der digitalen Revolution erneuert. Also, da passiert wirklich was, das ist auch mit Händen zu greifen. Bei den übrigen Ministerien ist der ganz große Wurf noch nicht zu erkennen. Da werden mal zwei oder drei Behörden zusammengelegt zu einer neuen Behörde. Das schafft vielleicht Synergien, das spart vielleicht ein paar Kräfte, aber so der ganz große Wurf ist da für mich noch nicht zu erkennen.
domradio.de: Dieses Kardinalskollegium wird seit einigen Kardinalsversammlungen kräftig umgebaut. Traditionelle Sitze wie Berlin oder Philadelphia gehen leer aus. Hingegen sind Tonga und Port Louis nun Kardinalsitze. Wie bewerten Sie die Personalpolitik des Papstes?
Ring-Eifel: Ich denke, diese 'Globalisierung' des Kardinalskollegiums war überfällig. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche, und dass da an den Kardinalstiteln die Europäer und insbesondere die Italiener so überproportionalen hohen Anteil haben, das war eigentlich durch nichts mehr gerechtfertigt. Fragwürdig finde ich manche Entscheidungen im Einzelnen, wo man sich dann wirklich fragt: Ist das jetzt ein zukunftsweisender Kardinalstitel oder wird da vielleicht auch manchmal nur ein bisschen Symbolpolitik gemacht?
domradio.de: Also, Sie meinen, ob jetzt der Kardinal am selben Ort noch einmal einen nachfolgenden Kardinal bekommt?
Ring-Eifel: Zum Beispiel. Es gibt einen ganz klaren Willen zur Globalisierung und auch an die Ränder zu gehen, das gehört auch zu dem Programm von Franziskus. Aber ob dahinter eine systematische Idee steckt, dass man sagt, ab jetzt soll immer Ozeanien zum Beispiel mit so und so viel Kardinalstiteln vertreten sein, das vermag ich noch nicht zu erkennen.
domradio.de: Das heißt, es ist durchaus auch immer ein persönlicher Verdienst, der dahintersteckt? Oder wie sucht sich Franziskus diese entlegenen Ränder aus, die mit in das Kardinalskollegium kommen?
Ring-Eifel: Ich glaube, das macht er recht ähnlich wie seine Vorgänger. Letztlich hört er bei den unbekannten Sitzen auch auf Empfehlungen von Menschen, denen er vertraut. Er kann ja nicht alle Weltgegenden gleich gut kennen. Im spanischsprachigen Raum kennt er sich recht gut aus. Da sind, glaube ich, die Kardinalsernennungen ganz gezielte päpstliche Politik, aber an den anderen Rändern muss er sich auch auf das Urteil von befreundeten Bischöfen verlassen, die ihn im Vatikan besuchen und ihm jemanden empfehlen.
domradio.de: Kommen wir mal auf ein spannendes Thema, was vor allem in Deutschland immer wieder beobachtet worden ist, nämlich die beiden Familiensynoden, die hinter uns liegen. So wie auch das postsynodale Schreiben ‘Amoris laetitia‘. Ist dieses Thema jetzt für Franziskus abgeschlossen oder kommt da noch etwas?
Ring-Eifel: Ich glaube, für den Papst ist es eigentlich abgeschlossen. Zumindest deutet die Äußerung in dem letzten großen Interview daraufhin. Da weißt er ja darauf hin, Mensch Leute, wir haben im Kardinalskollegium darüber gesprochen, wir haben zwei große Synoden gemacht, wir haben Abstimmungen gehabt, wir haben alle Abstimmungen mit Zwei-Drittel-Mehrheit gemacht. Das ist doch jetzt ein Prozess, der am Ende dann dieses Dokument hervorgebracht hat und jetzt ist eigentlich auch mal gut. Das ist so paraphrasiert die Aussage dieses Interviews gewesen. Nur hat er natürlich dadurch, dass es doch erheblichen Widerstand gibt, etwa den berühmten Brief der vier pensionierten Kardinäle, die eben Zweifel anmelden an der richtigen Auslegung von Amoris laetitia, weiterhin eine Diskussion im Hause, die er nicht austreten kann. Das hängt ein bisschen mit seinem Regierungsstil zusammen. Er hat ja die Bischöfe und Kardinäle immer wieder ermutigt, freimütig zu diskutieren und dieser neue Stil der freimütigen Debatte, der wird jetzt von den Konservativen genutzt, um ihre Position vorzubringen. Und das ist ganz schwierig, man kriegt diesen Geist der Freimütigkeit nicht wieder so schnell in die Flasche zurück. Der ist jetzt entwichen, das heißt, die Debatte wird geführt und entwickelt sich in eine Richtung, die dem Papst, glaube ich, nicht so recht ist.
domradio.de: Sie sprachen gerade diesen Brief der vier Kardinäle an. Direkt beantwortet worden ist er ja nicht. Zweimal indirekt ist Franziskus darauf eingegangen in Interviews oder in Ansprachen. Welche Botschaft sehen Sie denn dahinter, dass dieser Brief dieser vier Kardinäle jetzt nicht direkt beantwortet worden ist?
Ring-Eifel: Früher hätte man ganz einfach gesagt: "Roma locuta, causa finita". Also, Rom hat gesprochen. Die Sache ist beendet. Das war dieser Basta-Stil, den es in Rom lange Zeit gab. Diesen Stil gibt es jetzt eben nicht mehr. Es wird lange und ausführlich diskutiert. Dennoch sagt der Papst ja durch die Blume: Leute, wir haben lange genug diskutiert. Wir haben abgestimmt. Ich habe es jetzt beschlossen und so ist es. Und deswegen geht er jetzt auch nicht mehr direkt auf den Brief der Kardinäle ein, das ist in sich natürlich auch folgerichtig.
domradio.de: Schauen wir mal in die Zukunft: Es ist ja immer wieder spekuliert worden, ob Franziskus eines Tages wie sein Vorgänger zurücktreten wird.
Ring-Eifel: Das hat sich im Laufe des Pontifikats ein paar Mal verändert. Er hat ja anfangs davon gesprochen, dass er ein kurzes Pontifikat erwartet, dass er selbst seine Lebenserwartung gar nicht so hoch einschätze. Dann hat ihn mal jemand darauf aufmerksam gemacht, dass er doch jetzt schon zwei, drei Jahre im Amt ist, dass das Pontifikat also doch gar nicht SO kurz zu werden scheint. Da hat er sich korrigiert und gesagt: "Naja, vielleicht werden es auch fünf oder zehn Jahre." Also, ich glaube, er ist besser in Form, als er sich das selber vorgestellt hatte und das Amt schlaucht ihn auch weniger, als er es erwartet hatte. Das hängt auch mit seinem Zeitmanagement zusammen, wo er eben sehr klug und sehr umsichtig ist und sich zum Beispiel immer Mittagsschlaf gönnt und auch immer wieder Auszeiten, wenn er sich mal gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe fühlt. Das trägt dazu bei, dass eben seine Lebenserwartung doch recht hoch ist. Und ich vermute, er wird mindestens bis 85 sein Amt ausüben. Sollte er dann oder früher aber merken, dass er körperlich oder geistig sehr, sehr schwach wird, dann wird er ähnlich handeln wie Benedikt. Das heißt, er wird sich prüfen und beten und im Gebet dann um die Entscheidung bitten, ob er jetzt zurücktreten soll oder nicht. Aber es wird da keinen Automatismus geben. Er wird da einfach schauen, ob er sich selber noch dazu in der Lage sieht.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.