"Das funktioniert doch nie im Leben", haben die meisten gesagt, als Oz Ben David sein orientalisches Restaurant in Berlin gründen wollte. Denn der Sohn einer jüdischen Siedlerfamilie aus dem Westjordanland hat das gemeinsam mit dem israelischen Palästinenser Jalil Dabit vor mittlerweile neun Jahren getan.
Längst hatten sich die beiden mit einem bunten Multi-Kulti-Team und nahöstlichen Fusions-Gerichten in die Herzen der Hauptstädter gekocht, da kam der 7. Oktober 2023. Nach der schrecklichen Attacke der Hamas dachte Ben David dann eine kurze Zeit lang selbst, dass es wirklich nicht funktioniert.
Zweifel und Entsetzen nach Hamas-Angriff
So groß war das Entsetzen über die Bilder aus seinem Heimatland, so groß der Schmerz über all die Toten und die Entführten. Zweifel und Angst fluteten seine Gedanken. "Ich habe mich gefragt, ob wir nicht zu naiv gewesen waren“, erzählt der Wahl-Berliner, der sich selbst als Zionisten bezeichnet.
Das Restaurant "Kanaan" in der Schliemannstraße am Prenzlauer Berg blieb ein paar Tage lang geschlossen. Dann aber hat ihn sein palästinensischer Partner überzeugt, dass es weitergehen muss. Jetzt erst recht. "Im schlimmsten Moment hat Jalil bewiesen, was für ein guter Freund er ist", sagt Ben David.
Und während viele jüdische Institutionen am Freitag nach dem Hamas-Attentat aus Angst vor muslimischen Demonstranten dicht machten, war das "Kanaan" schon wieder auf. Ben David wollte sich schlicht nicht von den eigenen Ängsten überwältigen lassen.
Vision eines friedlichen Miteinanders
Das "Kanaan"-Team, zu dessen Mitarbeitern Menschen aus dem Iran, Syrien und Pakistan genauso wie Israelis und Palästinenser gehören sowie religiöse Juden und Muslime genauso wie Leute aus der LGBTQ-Community, hatte sich von Anfang an als mehr als eine rein betriebliche Gemeinschaft verstanden, betont Ben David. "Wir hatten immer die Vision, zu zeigen, wie Zusammenleben gelingen kann."
So wurde der 7. Oktober zwar zur Bewährungsprobe, hat aber am Ende die Vision bestätigt, ja sogar vertieft. Indem nämlich die Freundschaft und Kollegialität innerhalb des Teams über Nationalitäts- und Religionsgrenzen hinweg getragen hat, sei gar etwas Neues entstanden. Schon vorher sei das "Kanaan" mehr als einfach nur ein Restaurant gewesen.
"Aber jetzt sind wir wirklich zu einem Zufluchtsort für Friedenssucher geworden“, sagt Ben David. "Wir haben einen Raum für alle die geschaffen, die ihren Schmerz sowohl über das Leid der Israelis als auch über das der Palästinenser zum Ausdruck bringen wollen, die Mitleid für die Menschen auf beiden Seiten fühlen.“
In Ruhe essen, den Frieden genießen
Jalil Dabit und Ben David führen keine Statistik über ihre Kundschaft. Seit der Wiedereröffnung nach dem 7. Oktober, so sagen sie, kommen aber definitiv mehr Israelis ins Kanaan – und auch mehr Muslime. Viele wollten einfach nur in Ruhe essen, in Frieden genießen.
"Aus guten Zutaten gutes Essen zuzubereiten, setzt Energien frei. Wenn wir das mit unserer eigenen, guten Energie bereichern, kann allein das schon heilend wirken", ist der Lokal-Gründer überzeugt. Wobei auch Gespräche über den Konflikt willkommen seien. "Unsere Mitarbeiter sind darauf vorbereitet. Sie können jederzeit unsere Standpunkte vermitteln und erklären, wofür wir stehen."
Auch Oz Ben David selbst unterhält sich regelmäßig mit Gästen über das, was gerade in Nahost passiert. Natürlich werde das auch mal anstrengend, bisweilen auch unerfreulich. Eskaliert seien solche Diskussionen bisher aber nicht, sagt Ben David. Und auch antisemitische Schmierereien hatten sie am Kanaan noch nicht.
Bemerkenswert insofern, als es natürlich den Hardlinern der verfeindeten Lager nicht gefallen kann, was die Leute vom "Kanaan" am Berliner Prenzelberg vormachen: Dass Frieden trotz allen Schmerzes möglich ist; dass man andere Meinungen stehen lassen kann, auch wenn man sie nicht teilt; dass auch dann, wenn längst nicht alles gut ist, nicht gleich automatisch das Schlimmste passieren muss.
"Make Hummus not war! – Macht Hummus, keinen Krieg!" Dieser Spruch prangt neben einem Peace-Zeichen auf dem Plakat neben der Eingangstür des "Kanaan". "Make Hummus not war!" – so hieß auch der Workshop, bei dem sie vor ein paar Jahren palästinensische Frauen aus den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln eingeladen hatten, zusammen mit Jüdinnen und Juden zu kochen.
Als beim gemeinsamen Kichererbsen-Pürieren die Wände zwischen den Menschen fielen, war das wie ein kleines Wunder, erinnert sich Ben David. Genau das stecke doch hinter dem scheinbar so naiven Spruch: "Ihr müsst einfach etwas gemeinsam tun, der Rest kommt von alleine. Es ist immer die bessere Wahl, zusammenzuarbeiten." Jetzt also erst recht: "Make Hummus not war!"