DOMRADIO.DE: Ein Stück Herz eines Seligen in einem Schaugefäß auf dem Altar. Das wird am Mittwoch hier im Dom zu sehen sein. DOMRADIO.DE überträgt live ab 18:30 Uhr. Was löst so ein Anblick einer Reliquie in Ihnen aus?
Prof. Dr. Christoph Ohly (Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und Kölner Domkapitular): Wenn ich vor allem die vielen jungen Menschen sehe, die sich offensichtlich durch das Lebenszeugnis des Carlo Acutis ansprechen lassen, dann löst dieser Anblick zunächst einmal den Gedanken aus, dass damit wohl etwas verbunden ist, was den Menschen tatsächlich im Herzen berührt.
Das Herz steht – biblisch gesprochen – immer für den ganzen Menschen. Diese Überzeugung, vielleicht auch dieses Empfinden, dass da ein Mensch ist, der mir im Glauben Vorbild ist, wird für diese Zeit und für diesen Moment erkennbar. Das beeindruckt mich natürlich, wenn ich das bei vielen jungen Menschen sehe.
Ich persönlich gehe da mit größerer Nüchternheit ran, mit einer Nüchternheit des Verstandes, aber auch mit einer Nüchternheit der Emotionen. Doch ich freue mich darüber, wenn Menschen durch das Lebenszeugnis eines Jugendlichen in eine Beziehung zu Jesus Christus finden und sie dafür mit diesem Jugendlichen einen Helfer und Begleiter an ihrer Seite wissen.
Die Verehrung von Heiligen – auch in einer solch spezifischen Weise – ist nicht notwendiger Bestandteil des Glaubens, doch der Blick auf die älteren Schwestern und Brüder im Glauben stellt eine große Hilfe dar, die sich in ihrem Vorbild und ihrer unterstützenden Fürsprache für uns zeigt, die wir den Weg des Glaubens heute gehen.
DOMRADIO.DE: Carlo Acutis hat zu seinen Lebzeiten im Internet über eucharistische Wunder informiert. Wer sich damit ein wenig beschäftigt, der wird dann vermutlich über blutende Hostien und die Blutgruppe Jesu AB den Kopf schütteln. Wie schauen Sie als Wissenschaftler auf diese eucharistischen Wunder?
Ohly: Die Beschäftigung mit rechtlichen Bestimmungen der Kirche zum Umgang mit möglicherweise übernatürlichen Phänomenen hat mir dafür einmal sehr geholfen. Da sind mir im Blick auf die eucharistischen Wunder zwei wichtige Gedanken in Erinnerung geblieben. Zum einen: Unser Glaube basiert nicht auf eucharistischen Wundern, sondern auf der Offenbarung Gottes, die uns in Jesus Christus geschenkt ist und die in Wort, Sakrament und im Leben der Kirche präsent bleibt und wirkt.
Daher besteht auch keine Verpflichtung für Gläubige, an eucharistische Wunder zu glauben. Zum anderen: Mit den Berichten über eucharistische Wunder und ihre Existenz ist aber zugleich noch einmal der Hinweis verbunden, dass es zwischen Himmel und Erde doch das eine oder andere gibt und geben mag, was wir so einfach oder möglicherweise gar nicht erklären können.
Das heißt: Die Berichte über eucharistische Wunder animieren und motivieren uns, mit aller Klarheit des Verstandes zugleich auch unsere Grenzen zu erkennen und anzuerkennen, dass Gott auch vielleicht in außerordentlicher Weise über das hinaus, was wir wahrnehmen können, wirken kann.
Kurzum: Es ist eine Herausforderung, eine Motivation, darüber nachzudenken. Wie gesagt, ich gehe da mit einer gewissen Nüchternheit heran, zumal dies meiner Auffassung nach immer auch eine Mentalitätsfrage ist, wie man den Glauben in seinen konkreten Vollzügen ausdrückt.
DOMRADIO.DE: Diese Mentalität ist in südlichen Ländern wie Spanien und Italien vermutlich ein bisschen anders. Da hat man einen anderen Zugang. Warum ist man denn hier in Mitteleuropa eher skeptisch, was solche Wunder angeht?
Ohly: Ich bin davon überzeugt, dass dies etwas mit unserer Mentalität, also einer stärkeren Zurückhaltung, Nüchternheit, Vernünftigkeit zu tun hat, was Emotion ja nicht ausschließen soll und darf. Umgekehrt muss eine übertriebene Emotionalität immer auch durch die Kraft der Vernunft gereinigt werden.
Wenn ich sage, ich habe einen nüchternen Zugang dazu, dann meine ich das in beide Richtungen. Ich muss immer auch sagen dürfen, dass ich mit meiner Vernunft nicht alles erkennen kann. Es gibt Dinge, die ich nicht zu fassen vermag. Und umgekehrt: Ich kann mich nicht allein auf die Emotion verlassen, sondern muss es auch nüchtern durchdenken und erfragen und hinterfragen. Das gehört zu meiner menschlichen Existenz im Ganzen dazu.
DOMRADIO.DE: Ist diese andere Mentalität oder diese Nüchternheit auch ein Grund dafür, weshalb gerade aus dem akademisch-theologischen Bereich Kritik an der Form der Verehrung des seligen Carlo Acutis kommt?
Ohly: Das mag ein Motiv dafür sein, weil die Wissenschaft stets rational hinterfragt und untersucht. Aber ich meine auch, dass es eine innere Haltung wissenschaftlichen Arbeitens sein muss, anzuerkennen, dass ich in meinem Denken das eine oder andere Mal an eine Grenze komme, die ich nicht überschreiten oder noch nicht überwinden kann.
Ich muss anerkennen, dass es Dinge gibt, die in einer außerordentlichen Weise geschehen, die meinem Denken noch nicht zugänglich sind. Damit ist letztlich eine demütige Seite der Wissenschaft benannt, das heißt, bei aller Rationalität und Exzellenz im Denken, das uns Menschen auszeichnet, auch Grenzen anzuerkennen, über die ich nicht oder noch nicht zu springen vermag.
DOMRADIO.DE: Eine ganze Woche ist die Herzreliquie des seligen Carlo Acutis durch Deutschland, die Niederlande und Belgien unterwegs, jeden Tag in einer anderen Stadt. Doch nur in Köln ist eine Domkirche das Ziel. Hat das eine ganz besondere Bedeutung?
Ohly: Wenn ich auf die aktuelle Entwicklung zurückblicke, glaube ich nicht, dass es eine besondere Bedeutung oder Bewandtnis hat. Die Anfrage kam aus dem Kreis der Freunde von Carlo Acutis, ob sie auf ihrer Reise mit der Reliquie des seligen Carlo Acutis auch im Rahmen einer Abendmesse, die ja regulär im Dom gefeiert wird, Station machen dürften. Dieser Anfrage wurde entsprochen. Und im Anschluss an die Messfeier findet dann im Domforum ein Vortrag zu Carlo Acutis statt, den der Kapuzinerpater Marco Gaballo aus Assisi halten wird.
Man hätte die Messfeier auch in einer Kölner Stadtkirche feiern können. Aber, ehrlich gesagt, die zentrale Nähe von Dom, Domforum, Bahnhof, Anreise, und all dem, was damit verbunden ist, hat letztlich zu dieser Entscheidung geführt. Ein anderes Motiv wie beispielsweise eine größere Aufmerksamkeit oder eine weitreichendere Wertschätzung als an den übrigen Stationsorten sehe ich nicht.
DOMRADIO.DE: Das heißt, dass Sie der Hauptzelebrant der Messfeier sind, das ist auch eher Zufall. Oder haben Sie eine besondere Beziehung zu Carlo Acutis?
Ohly: Sowohl als auch. Ich feiere regulär die Abendmesse an diesem Tag im Dom. Gleichzeitig war ich tatsächlich im vergangenen Jahr in Assisi, um diese Stadt des heiligen Franziskus nach vielen Jahren wieder einmal aufzusuchen. Da Carlo Acutis im Santuario della Spogliazione in Assisi aufgebahrt ist, sind wir mit unserer Gruppe auch einmal da gewesen und haben dort einige ruhige Momente verbracht.
Der Ort konnte so auf jeden und jede persönlich wirken. In diesem Sinne kommen die beiden Motive dann Mittwochabend im Dom bei mir zusammen. Ich bin selbst ein wenig gespannt und freue mich auf die Begegnung mit den Menschen, die kommen werden.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.