Kölner Domorganist Bönig freut sich auf Orgelfeierstunden

"Ein bisschen ist es wie Hof halten"

Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom während der Sommerwochen sind traditionell ein Stelldichein exzellenter Orgelexperten aus aller Welt. An diesem Dienstag startet die Konzertreihe in die 64. Runde – mit Winfried Bönig selbst.

Winfried Bönig ist seit 2001 Domorganist in Köln / © Beatrice Tomasetti (DR)
Winfried Bönig ist seit 2001 Domorganist in Köln / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Bildlich gesprochen könnte man meinen, dass sich der von Ihnen kuratierte Orgelkonzertzyklus mit 64 Jahren kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand befindet. Andererseits sind diese Orgelkonzerte zwischen Juni und August ein überaus erfolgreiches Format, das seinesgleichen sucht. Denn jährlich ziehen sie über 20.000 Besucher aus Nah und Fern an. Von daher: Was belebt diese traditionelle Konzertreihe immer wieder neu, dass das so ein Renner ist?

Prof. Winfried Bönig (Domorganist in Köln): Die Faszination dieser einzigartigen Verbindung von Musik und Architektur, Dom und Orgel, wie sie bei uns in Köln erlebbar ist, erschöpft sich einfach nicht. Zu meiner großen Freude. Und dann ist es natürlich auch diese lange Tradition über 64 Jahre, die hier speziell ein ganz eigenes Publikum herangezogen hat. Schon Monate vorher kommen Anfragen, wann denn das erste Konzert ist, ob es schon ein Programm oder eine Übersicht über die einzelnen Interpreten gibt, weil das für viele ein fester Bestandteil ihres Sommers ist, für sie mit der ersten Orgelfeierstunde überhaupt erst der Sommer beginnt. Jedenfalls hat mir das einmal ein Kollege an der Musikhochschule auf diese charmante Weise gesagt. So viel Identifikation mit dieser Veranstaltungsreihe klingt doch sehr sympathisch. Von daher ist diese alljährliche Orgelsaison für viele eine reizvolle Sache und verzeichnet einen ungebrochenen Zulauf.

Blick zur Orgelempore mit der großen Kölner Domorgel / © Beatrice Tomasetti (DR)
Blick zur Orgelempore mit der großen Kölner Domorgel / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Bleibt es bei der Gewohnheit, selbst drei dieser Konzerte zu spielen?

Bönig: Die Tradition, zu Beginn, zur Halbzeit und am Ende dieser Reihe ein Konzert zu spielen, habe ich von meinem Vorgänger übernommen. Was für mich immer eine große Herausforderung bedeutet, weil man ja dann drei verschiedene Programme erarbeiten muss und ich dabei Stücke wähle, die ich auch in früheren Konzerten noch nicht gespielt habe. Schließlich soll es für alle ja auch interessant und spannend bleiben. Aber bis jetzt ist mir immer noch etwas eingefallen.

DOMRADIO.DE: Gibt es – wie sonst auch – eine thematische Klammer, einen inhaltlichen "Aufhänger"?

Bönig: Bei der Zusammenstellung ihrer Programme sind die Kollegen grundsätzlich völlig frei. Aber in der Tat drängt sich manchmal ein Jubiläum oder ein Gedenkjahr geradezu auf. Und in diesem Jahr ist es der 200. Geburtstag von Anton Bruckner.

DOMRADIO.DE: Eine Steilvorlage für einen Kirchenmusiker?

Bönig: Auch wenn Bruckners Hauptwerk aus den Sinfonien besteht, ist eigentlich allen Kompositionen sein religiöser und theologischer Hintergrund anzumerken. Für die Orgel selbst hat er zwar nichts Nennenswertes hinterlassen – bekannter sind da seine großen Messen und das Te Deum – aber er war selbst ein grandioser Improvisator an der Orgel. Das sagen alle, die ihn mal gehört haben. Und so kann die Orgel natürlich nicht still halten, wenn Bruckner 200. Geburtstag hat. Daher findet eine zentrale Würdigung seiner Person in meinem zweiten Konzert am 16. Juli statt, bei dem ich Transkriptionen von einigen seiner Orchesterwerke und eine Sinfonie von Enjott Schneider spiele, die den Titel "In memoriam an Anton Bruckner" trägt. Ich weiß von Kollegen, dass mancherorts auch alle Sinfonien als Bearbeitungen gespielt werden. Für mich wäre eine komplette Sinfonie nicht so reizvoll, aber ich spiele zwei Sätze aus jeweils zwei verschiedenen Sinfonien: aus der siebten und der sogenannten "Nullten Sinfonie", die zwar spät komponiert wurde, dann aber vor die erste gesetzt wurde. Zugegeben ein etwas skurriler Name für ein solches Werk.

DOMRADIO.DE: Auf welche Programme dürfen sich die Freunde von Orgelliteratur darüber hinaus freuen?

Bönig: Auf sehr farbige, sehr gemischte und total unterschiedliche Programme. Wie immer gibt es von allem etwas – je nach dem, welche Vorlieben die Kollegen haben. Das ist ja auch meine Intention: möglichst verschiedene Charaktere einzuladen. Hier spannt sich ein Bogen – wie gesagt – von Bruckner bis hin zum Programm von Roger Sayer aus London, der am 23. Juli Teile aus der Filmmusik der Science-Fiction-Produktion "Interstellar" spielen wird, zumal er als Organist auch bei der Originaleinspielung mitgewirkt hat. Er spielt das also gewissermaßen aus erster Hand, was auf der Orgel ganz grandios klingt.

Winfried Bönig

"Ich spiele im ersten Konzert hauptsächlich Messiaen, was in diesem Raum und mit diesem Instrument immer gut passt."

Bach gibt es auch, ist aber in diesem Raum aus akustischen Gründen kein Hauptthema. Grundsätzlich wird diesmal viel romantisch-sinfonische Literatur dargeboten, zum Beispiel die Suite Opus 5 von Duruflé. Und auch große Orgelwerke von Franz Liszt sind wieder mit dabei. Ich spiele im ersten Konzert hauptsächlich Messiaen, was in diesem Raum und mit diesem Instrument immer gut passt. Die Kollegin Sarah Kim aus Paris setzt auf eine Mischung von Mozart über Tschaikowsky und Widor bis Philipp Glass, einen 1937 geborenen und noch lebenden Komponisten, und Matthew Lewis aus Scarsdale/USA bringt ein Programm von César Franck, Charles Tournemire und Maurice Duruflé mit, während Martin Sturm aus Weimar Brahms, Reger und Schubert auf seine Agenda gesetzt hat.

Außerdem möchte ich ganz besonders meinen neuen Kollegen am Dom, Matthias Wand, bei den Orgelfeierstunden begrüßen, der zum ersten Mal mit von der Partie ist und gleich in der kommenden Woche ein großes anspruchsvolles Werk von Reger spielt: die 1. Sonate fis-moll, die äußerst selten zu hören ist, sowie die Sonate B-Dur von Felix Mendelssohn-Bartholdy und zwei Stücke von Bach: Präludium und Fuge D-Dur und die Triosonate G-Dur, ebenfalls nicht oft aufgeführt. Auch das wird ganz sicher ein vielversprechender Abend.

Matthias Wand, Organist am Dom, gestaltet die zweite Orgelfeierstunde am 18. Juni / © Beatrice Tomasetti (DR)
Matthias Wand, Organist am Dom, gestaltet die zweite Orgelfeierstunde am 18. Juni / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Ansonsten, Sie erwähnten es bereits, sind diesmal die Interpreten wieder sehr international. Gleich zwei Kollegen, Matthew Lewis und Nathan Laube, der sich durch eine große Konzerttätigkeit auszeichnet und gerade eine große Karriere macht, kommen aus den USA. Wie entsteht eine solche Zusammenarbeit?

Bönig: Aus den Kontakten, die man im Laufe des Jahres in der Szene ansammelt. Mehr als auf Anfragen und auf Bewerbungen reagiere ich auf Empfehlungen anderer Kollegen, die schon mal sagen: Ich habe da jemanden gehört, der war ganz toll. Darauf kann man sich in der Regel viel mehr verlassen. Oder ich selbst höre jemanden, dessen Spiel mich begeistert. Manchen Kollegen, zum Beispiel Willibald Guggenmos aus München, kenne ich noch aus meiner Studienzeit. Neben denen, die auch schon mal hier in Köln als Wiederholungstäter auftreten, weil sie vor Jahren bereits im Dom waren, bin ich ansonsten immer auch auf der Suche nach neuen Namen. Einer davon – zumindest am Kölner Dom – ist zum Beispiel Anna-Victoria Baltrusch aus Halle, die übrigens unter anderem auch ganz klassisch eine Passacaglia und Fuge von Bach spielt.

Winfried Bönig

"Worauf man immer vertrauen kann, ist, dass es ganz unterschiedliche Konzerte geben wird, weil alle Künstler aus sehr unterschiedlichen Traditionen und Orgelwelten kommen, die mit ihrer eigenen Interpretation groß werden, was sehr abwechslungsreich ist."

Meistens spreche ich die Leute selber an und stelle daraufhin meine Agenda zusammen. Worauf man immer vertrauen kann, ist, dass es ganz unterschiedliche Konzerte geben wird, weil alle Künstler aus sehr unterschiedlichen Traditionen und Orgelwelten kommen, die mit ihrer eigenen Interpretation groß werden, was sehr abwechslungsreich ist. Auch für mich selber ist immer spannend zu erleben, wie sich meine eigene Orgel von unten dann anhört – manchmal auch mit Stücken, die mir eigentlich zunächst gar nicht gefallen haben, aber dann doch so gespielt werden, dass man denkt: Das würde ich ja doch gerne auch mal selber machen. Auf diese Weise sind neuen Inspirationen keine Grenzen gesetzt. 

Die Schwalbennestorgel hängt seit 1998 über dem Mittelschiff des Domes / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Schwalbennestorgel hängt seit 1998 über dem Mittelschiff des Domes / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Oben auf der Orgelempore scheinen Sie dem Publikum immer etwas weit entrückt. Bekommen Sie eigentlich neben dem Applaus auch ein differenzierteres Feedback auf die einzelnen Konzerte? Kommen Sie in Kontakt mit Ihren Zuhörern?

Bönig: Heutzutage kommt viel Resonanz über Social Media. Natürlich sind Applaus und Rückmeldungen immer das Schönste. Denn man spielt schließlich für die Menschen und will diesen unmittelbaren Kontakt ja auch. Als Musiker leben wir doch davon, dass etwas angekommen ist. Das zu spüren ist immer schön. Aber auch Kritik, wenn Stücke nicht gefallen haben, ist wichtig. Es gibt ja immer auch sehr aufmerksam zuhörende Konzertbesucher, die dann ihre Anmerkungen haben. Aber auch dafür bin ich offen. Denn dann kann man manchmal erklären, warum man ein bestimmtes Stück gewählt hat. Mitunter entsteht per Mail sogar ein richtiger Gedankenaustausch, was in der Regel sehr fruchtbar ist.

DOMRADIO.DE: Handelt es sich denn vorwiegend um ein sachverständiges Publikum oder einen Fanclub von Menschen, die einfach Orgelmusik lieben?

Bönig: Sehr unterschiedlich. Oft geht es ja in der Kunst auch nur darum: Gefällt mir oder gefällt mir nicht. Aber überwiegend erreicht mich fast ausschließlich positive Resonanz. Und das freut mich natürlich sehr.

DOMRADIO.DE: Apropos: Worauf freuen Sie sich am meisten?

Bönig: Auf die Kollegen. Es ist ja ein bisschen wie Hof halten, weil man jede Woche von jemand anderem Besuch bekommt, der etwas mitbringt und sich freut, eingeladen zu sein, während die grandiose Architektur den äußeren Rahmen dafür schafft. Da kommt es eigentlich immer zu sehr schönen Begegnungen – auch außerhalb der Konzerte, weil es meist viel zu erzählen gibt. Manche Kollegen kenne ich – wie gesagt – seit Jahrzehnten. Andere lernt man erst kennen und hat trotzdem auf Anhieb viele gemeinsame Themen. Diese Orgelfeierstunden und der anschließende intensive Austausch bilden für mich eine Einheit und sind eine ganz wundervolle Art, den Dienstagabend im Sommer zu verbringen.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Internationale Orgelfeierstunden

Die Orgelfeierstunden mit namhaften Organisten aus dem europäischen Ausland finden in den Sommermonaten immer dienstags um 20 Uhr im Kölner Dom statt. Künstlerischer Leiter ist Domorganist Professor Winfried Bönig, der die Reihe kuratiert und auch selbst drei der Orgelkonzerte spielt. 2024 feiert die Konzertreihe vom 11. Juni bis 27. August ihr 64-jähriges Bestehen. Die Konzerte am 11. Juni, 16. Juli und 27. August werden live auf DOMRADIO.DE sowie auf Facebook @koelnerdom & @Dommusik übertragen. Der Eintritt ist frei, Einlass ab 19.30 Uhr.

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Quelle:
DR