Kölner Gemeinde gibt einsam Verstorbenen das letzte Geleit

Keiner soll allein gehen

Rosemarie Amberge gibt zusammen mit zehn Frauen und zwei Männern von der Gemeinde-Initiative "Keiner geht allein" Verstorbenen, die keine Angehörigen mehr haben, das letzte Geleit.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Mitglieder der Initiative Keiner geht allein / © Silvia Bins (privat)
Mitglieder der Initiative Keiner geht allein / © Silvia Bins ( privat )

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )

Der Friedhofswagen mit der Urne fährt im Schritttempo voran, ihm  folgen zunächst Marianne Ricking, die Beerdigungsbeauftragte der Kölner Südstadtgemeinde Sankt Severin, und ein Mann mit einem Kruzifix. Die anderen gehen bedächtig hinterher, mit den Rosen in der Hand. Nach etwa einem Kilometer erreicht der Zug das Feld mit den Sozialgräbern und kommt vor einer frisch ausgehobenen Grube zum Stehen. Ein Friedhofsangestellter lässt die Urne ins Grab herab, die Begleiterinnen und Begleiter stellen sich drum herum und lauschen dann den Worten von Marianne Rickings Abschiedsliturgie: "Ich begrüße Sie und euch und bedanke mich, dass ihr gekommen seid, um Klara Eisel das letzte Geleit zu geben. Wir nehmen sie in unsere Mitte und erinnern uns der Worte Jesu, der gesagt hat: 'Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter euch. Wo ihr den Menschen, der euch braucht, in eure Mitte nehmt, da wo ihr Menschen begleitet auf ihrer letzten Wegstrecke, da bin ich mitten unter euch.'"  Und so hoffen sie, dass Jesus auch jetzt mit dabei ist, am Grab dieser mit 96 Jahren Verstorbenen, deren Begräbnis sonst wohl eine ziemlich einsame Angelegenheit geworden wäre.

Marianne Ricking ist die einzige in der Runde, die Klara Eisel in der Seniorenresidenz kennengelernt hat, immer wieder mit ihr Wortgottesdienst feierte und sie als eine lebenslustige Person erlebte. Und so hat die Beerdigungsbeautragte der alten Dame einen Abschiedsbrief geschrieben, den sie jetzt vorliest. So erfahren die Umstehenden, dass Klara Eisel ein "echt kölsches Mädchen" war, dass sie lange mit ihrem Mann im Stadtteil Rodenkirchen lebte, dann aber früh kinderlos Witwe wurde, sich ans Alleinsein gewöhnen musste. Als ihr irgendwann das Treppensteigen zu mühsam wurde und sie schließlich mit über 90 Jahren ins Seniorenheim zog, bekam Klara Eisel einen gesetzlichen Vormund, denn "weit und breit war da niemand mehr: keine Familie, keine Freundinnen und Freunde von früher. Sie hatten Sie alle überlebt." Trotzdem aber, und das erwähnt Marianne Ricking als "bewundernswert", blieb Klara Eisel dem Leben zugewandt, war gesellig, machte sich gern schön und liebte Blume. Die Pflegerinnen nannten sie liebevoll "unser Eiselchen".

Würdevoller Abschied in Gemeinschaft

Marianne Ricking bei der Abschiedsliturgie / © Silvia Bins (privat)
Marianne Ricking bei der Abschiedsliturgie / © Silvia Bins ( privat )

Die persönlichen Worte geben der kleinen Trauergemeinde zumindest eine Vorstellung von der Frau, deren Asche sie da gerade zu Grab getragen haben. Sie beten noch ein Vaterunser und ein Avemaria, dann spricht Marianne Ricking den Schlusssegen, sagt mit zärtlicher Stimme "Frau Eisel, ich danke Ihnen für alles", legt den Brief auf die Urne und gibt eine Schaufel Erde hinterher. Dann treten eine nach dem anderen ans Grab, werfen ihre Blumen hinein und harren einen Moment in Stille aus. Ein würdevoller Abschied war das, ein Abschied in Gemeinschaft. Und natürlich ist genau das die Idee und das Anliegen von "Keiner geht allein". 

Rosemarie Amberge ist seit den Anfängen der Initiative 2009 mit dabei. Damals hatte ein Diakon in Sankt Severin von solchen begleiteten Beerdigungen in seiner vorherigen Gemeinde erzählt. Schnell fand sich eine Gruppe Interessierter auch in der Kölner Südstadt. Immer wenn ein Bestatter nun das Pfarrbüro darüber informierte, dass jemand ohne Angehörige verstorben war, schrieb Amberge die Leute aus dem Kreis an, teilte Ort und Uhrzeit der Beerdigung mit, besorgte die Blumen und jemanden, der die Trauerliturgie am Grab leitet. "Zehn Leute sind eigentlich immer gekommen", erzählt Rosemarie Amberge. "Und vor Corona sind wir nach den Bestattungen auch oft noch gemeinsam ins Café gegangen."

Reges Interesse in der Gemeinde

Auch Ingrid Rasch organisiert die Einsätze der "Keiner geht allein"-Gruppe mit; die Beerdigung von Klara Eisel, sagt sie, war die 86., die sie begleitet haben. Spannend findet sie, dass es ein reges Interesse in der Gemeinde für dieses ganz besondere Engagement: "Dass wir sagen, wir wollen Gemeinschaft nicht nur im Leben sein. Manchmal konnten wir im Leben Menschen gar nicht begleiten, so haben wir wenigstens im Tod die Chance sie zu begleiten. Zu zeigen: Wir sind als Glaubensgemeinschaft da und wir sind nicht allein. Das tut auch unserem Miteinander gut."

OR-Code zur Beerdigungsbegleitung Keiner geht allein / © Silvia Bins (privat)
OR-Code zur Beerdigungsbegleitung Keiner geht allein / © Silvia Bins ( privat )

Genauso sieht es auch Reiner Hüttemann:  Er sagt, er findet es grässlich, wenn schwarze Friedhofs-Karren ganz alleine zum Grab fahren. "Dass sich mich der Initiative der Gemeinde angeschlossen habe, war mir ein Herzensbedürfnis. Aus meinem Glauben heraus, weil ich an die Auferstehung glaube. Deswegen begleite ich."

Quelle:
DR